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Veronika Harcsa & Bálint Gyémánt

Mai 2015 / Victoriah Szirmai

Mit ihrem Album Lifelover sind die Sängerin Veronika Harcsa und der Gitarrist Bálint Gyémánt angetreten, nach ihrer Heimat Ungarn auch den Rest Europas zu erobern. Ihr Geheimrezept ist eine intelligente Mischung aus struktureller Klarheit, prägnanter Rhythmik und einem trotz weitestmöglicher Reduktion über die gesamte Plattenlänge gehaltenen Spannungsbogen. Im Interview sprechen Harcsa und Gyémánt über die Schönheit des Prozesses der Duowerdung, zu der auch fehlgeschlagene Versuche musikalischer Kompensation gehören, über Klang als Wohlfühlfaktor und darüber, wie wichtig es ist, auf der Bühne nicht nur das Publikum, sondern vor allem sich selbst immer wieder aufs Neue zu überraschen.

Interview: Veronika Harcsa & Bálint Gyémánt Cover

VSz: Lifelover ist euer erstes Album, das beim deutschen Label Traumton Records veröffentlicht wurde. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?

Harcsa: Ganz einfach: Durch Google! Bálint und ich haben in den letzten Jahren in verschiedenen Formationen zusammengearbeitet, im Quartett, im Quintett und in einem Trio namens Bin-Jip. Vor etwa drei Jahren dann haben wir uns entschlossen, ein Album als Duo aufzunehmen. Als es fertig war, hielten wir es für eine gute Idee, es auch mit einem Publikum außerhalb Ungarns zu teilen, denn unsere vorherigen Alben wurden alle nur in Ungarn und Japan veröffentlicht, aber nicht in Westeuropa. Wir dachten, dass wir es einfach mal versuchen sollten! Und wie fängt man so etwas an? Man spricht mit Leuten, die man kennt und die einem vielleicht dabei helfen könnten. Das hat in diesem Falle nicht wirklich funktioniert. Also dachte ich, okay, setz ich mich eben hin und googele deutsche Jazz-Labels. Ich habe ein paar gefunden, deren Repertoire zu unserem Musikstil passte, und ihnen einige Demo-CDs geschickt. Die Reaktion von Traumton war daraufhin sehr positiv.

Gyémánt: Ja, sie waren offen genug, mit uns zu arbeiten. Das ist wirklich eine großartige Gelegenheit für uns – und ein großes Risiko für sie, mit …

Harcsa: … unbekannten Künstlern …

Gyémánt: … zur arbeiten. Insbesondere mit unbekannten Künstlern, die nicht in Deutschland leben. Sie haben uns diese tolle Chance gegeben – und jetzt sind wir hier. Und wir sind sehr froh, hier zu sein!

Ich weiß nicht, ob ich eurer Selbstbeschreibung als unbekannte Künstler wirklich zustimmen kann. Zumindest Veronika, die auf einem Album des Thomas Siffling Trios zu hören war, dürfte auch dem deutschen Jazz-Publikum ein Begriff sein …

Harcsa: Stimmt, aber dafür muss man schon ein eingefleischter Jazz-Fan sein. Natürlich bin ich schon in Deutschland aufgetreten, aber nicht wirklich oft, gemessen an lokalen Künstlern.

Gyémánt: Es gibt eben bestimmte Schritte für die Karriere in einem Land. Der erste ist, ein einheimisches Label zu finden, das stark genug ist und mutig genug, „Ja“ zu deinem Album zu sagen und es zu veröffentlichen.

Interview: Veronika Harcsa & Bálint Gyémánt 4

Wie sind denn die Reaktionen bisher?

Harcsa: Gut, sie sind wirklich gut! Ich denke, das Beste daran ist, dass wir neben dem Label mit artribute auch eine Konzertagentur gefunden haben, die ebenfalls in Berlin ansässig ist. Für uns ist das die positivste aller Reaktionen, bedeutet sie doch, dass Menschen aus einem professionellen Umfeld mit uns arbeiten wollen. Wir sind in Bezug auf unsere Musik sehr leidenschaftlich – und auch sehr abenteuerlustig! In Ungarn haben wir ein uns wirklich freundlich gesonnenes Publikum, aber was wir hier tun, ist ein Abenteuer. Wir versuchen es einfach und werden dann sehen, ob wir hier ein neues Publikum für unsere Musik finden.

Du hast dir in der hiesigen Jazz-Szene ja auch durch den monatlich von dir präsentierten Jazzclub im Berliner Restaurant Budapest Calling schon ein neues Publikum erschlossen. Kannst du mir mehr darüber erzählen?

Harcsa: Die hiesige Jazz-Szene ist riesig und ich bin darin klitzeklein. Aber ich bin sehr froh, als ungarische Sängerin diese monatliche Konzertserie in Berlin ausrichten zu dürfen. Es ist im Grunde eine Duo-Serie, das heißt, ich lade jeden Monat einen anderen Gast ein, um mit ihm im Duo zu musizieren. Hauptsächlich aus der lokalen Szene, was für mich großartig ist, weil ich so die lokale Szene besser kennenlerne – und die Gäste lernen mich besser kennen. Es ist eine fantastische Erfahrung, weil ich jeden Monat ganz in einem anderen Musiker, einer anderen musikalischen Rolle aufgehen kann.

Gyémánt: Ich hatte die Gelegenheit, im letzten Oktober zu Gast zu sein und war sehr beeindruckt von all den Erfahrungen, die man da macht. Gut für die Musiker ist außerdem, dass, wenn sich jemand für seine Musik interessiert, er sie dort nicht nur live auschecken, sondern auch gleich vor Ort das Album bekommen kann.

Apropos Album: Lifelover beeindruckt in erster Linie durch seine klaren Strukturen und eine maximale Reduktion. Könnt ihr etwas mehr über dieses Konzept sagen?

Harcsa: Reduktion ist ein sehr passender Begriff, denn wir reduzieren das, was wir machen, immer weiter und weiter. Als wir im Duo zu spielen begannen, haben wir zunächst versucht, alle „fehlenden“ Instrumente zu substituieren, indem wir mit hoher Energie spielten und uns wie verrückt geloopt haben. Nach und nach haben wir herausgefunden, dass es tatsächlich eine bloße Substitution war, als ob wir etwas kompensieren müssten, das wir gar nicht sind. Dann kam die Erkenntnis, dass wir überhaupt nichts kompensieren müssen! Und das war der Moment, an dem wir mit der Reduktion begannen. Jetzt versuchen wir, es immer weniger zu forcieren und immer mehr wir selbst zu werden.

Gyémánt: Ich hatte die Ehre, mit Veronikas Quartett zu arbeiten, auf dessen letzten drei Alben ich als Gast zu hören bin. Außerdem haben wir in einem komplett anderen Projekt namens Bin-Jip zusammengearbeitet. Aber was wir hier als Duo machen, ist wieder komplett anders. Für mich war das der schwierigste Teil: All das zu vergessen, was wir zusammen hatten, und etwas Brandneues zu erschaffen. Ein eigenes Repertoire zu erstellen, nur für uns beide, und ein eigenes Projekt aus der Taufe zu heben, nur für uns beide. Eine Basis zu finden, wie wir kommunizieren können – nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Publikum. Und, was sehr wichtig ist, einen Weg zu finden, nicht nach anderthalb Stunden langweilig zu werden. Ich meine, wir haben keine Congas, wir haben kein Saxophon, kein Schlagzeugsolo – man muss das einfach alles vergessen!

Harcsa: Man muss sehr beweglich sein.

Gyémánt: Und man muss eine eigene Dynamik finden, die als Duo möglich ist. Das ist komplett anders verglichen mit allem, was wir bis jetzt hatten!

Der Weg zum ureigenen Ton?

Harcsa: Es ist ein nie endender Prozess. Aktuell arbeiten wir an den Stücken für unser zweites gemeinsames Album, wir konzentrieren uns jetzt also sehr auf das Duo. Und ich kann sehen, wie es sich verändert! Das zweite Album wird ganz anders als das erste, und ich glaube nicht, dass wir je an einen Punkt gelangen, wo wir sagen, ja, jetzt haben wir’s gefunden! Für mich liegt die Schönheit in der Suche, in dem Prozess an sich, in der Art und Weise, wie es sich fortwährend verändert.

Gyémánt: Und das passiert nicht nur vom ersten zum zweiten Album, das passiert die ganze Zeit über! Wenn wir jetzt unsere „alten“ Songs spielen, klingen sie anders als noch vor einem Jahr. Wir nehmen uns ständig auf, nicht nur die Konzerte, sondern auch die Proben, damit wir immer weiter an unserer Musik und unseren Songs arbeiten können.

Ist dieses ständige Reflektieren über eure Musik ein Kennzeichen eurer künstlerischen Arbeit?

Harcsa: Ja. Wir nehmen unsere Konzerte immer wieder auf, um sie anzuhören und uns dann zu kritisieren – oder einfach, um zu analysieren, was wir da tun und was …

Gyémánt: … was besser sein könnte, und noch besser, noch aufregender …

Harcsa: Ja, wir versuchen es für uns selbst aufregend zu halten!

Gyémánt: Genau! Es ist wahnsinnig wichtig, nicht nur das Publikum, sondern vor allem auch sich selbst zu überraschen. Das macht den größten Teil aus, denn wir verbringen wirklich viel Zeit miteinander auf der Bühne. Das ist die Herausforderung schlechthin!

Interview: Veronika Harcsa & Bálint Gyémánt 3

Ihr kommt beide aus Ungarn. Würdet ihr sagen, dass lokale Traditionen den Stil eurer Musik beeinflusst haben?

Gyémánt: Absolut!

Harcsa: Sicherlich. Als Kind habe ich beispielsweise in einer Volkstanzgruppe getanzt. Aber es ist nie eine eins-zu-eins-Beeinflussung. Wir haben heute ein traditionelles ungarisches Volkslied gespielt, welches wir oft in unser Programm einbinden. Aber das ist nicht der wichtigste Teil oder die primäre Richtung. Der Einfluss ist eher subtil, all die phrygischen Skalen und die ganze Rhythmik … Als ich begann, am Brüsseler Konservatorium zu studieren, mochte mein Lehrer David Linx die Art, wie ich mit Rhythmus umging. Er sagte immer, er sei überzeugt, das sei mein osteuropäisches Blut! (lacht) Ich bin da nicht ganz so sicher, es klingt doch arg nach Klischee … Aber vielleicht ist da ja doch was dran, wer weiß.

Ich bilde mir ein, in eurer Musik ein fernes Echo der ältesten Schicht ungarischer Volksmusik wahrzunehmen, die im Asiatischen wurzelt …

Gyémánt: (lacht) Möglich ist das!

Harcsa: Ich denke, da hört man etwas im Hintergrund. Das ist nicht traditionell ungarisch, aber irgendwie … ethnisch.

Gyémánt: Beeinflussen heißt ja nicht, dass man etwas nimmt und nach dem Copy&Paste-Prinzip woanders einfügt. Einflüsse können in ganz anderer Gestalt als ihrer ursprünglichen wieder erscheinen.

Harcsa: Und wir sind keine Volksmusiker, wir haben nie Volksmusik gelernt. Es ist einfach ein Teil unserer Kultur, den wir uns zu Eigen machen.

Gyémánt: Jeder fragt uns, was für eine Art Musik wir denn da eigentlich spielen … Ich würde es als zeitgenössische improvisierte Musik bezeichnen. Es gibt eine Menge Einflüsse wie Jazz, wie Pop oder auch traditionelle Volksmusik, aber die wesentliche Idee ist andersgeartet, nämlich, zusammen unseren ganz eigenen Klang zu erschaffen. Das ist das Allerwichtigste für uns.

Wir sind hier auf der Jazzahead!, wo ihr gerade euren Showcase gespielt habt. Die Festivalbroschüre kündigt dich, Veronika, als „Singer/Songwriter“ an. Bist du damit glücklich?

Harcsa: Ich bin glücklich damit, ja. Zunächst, weil ich mich selbst als Sängerin betrachte, nicht notwendigerweise als Jazzsängerin. Improvisation ist für mich zwar sehr wichtig, aber was wir spielen, ist kein traditioneller Jazz. Den haben wir studiert und er ist unbestritten eine unserer wichtigsten Inspirationsquellen, aber mir gefällt es, meinen Beruf zu „Sängerin“ zu vereinfachen. Und Songwriting ist auch sehr wichtig, vielleicht für mich noch mehr als für Bálint …

Gyémánt: (nickt)

Harcsa: … aber wir sind natürlich beide Teil des Songwritingprozesses.

Wo wir gerade die Jazzahead! angesprochen haben: Hier finden auch Diskussionspanels mit Titeln wie „Auf der Suche nach Umbruch & Verjüngung in der deutschen Jazzszene“ statt. Glaubt ihr, Jazz bedarf der Veränderung und Verjüngung?

Harcsa: Ich glaube, die ganz Welt verändert sich beständig. Heutzutage sind Trends superschnell und superkurz, wie eine Welle, sie kommen und gehen so schnell wie nie zuvor. Darum denke ich, Veränderung ist eine natürliche Sache. Ich würde also nicht sagen, dass sie notwendig ist oder dass man ihrer bedarf – sie ist einfach da.

Gyémánt: Außerdem war Jazz immer die ideale Musik, um mit allem möglichen zu fusionieren, mit Pop, mit elektronischer Musik oder mit komplett akustischer Musik …

Harcsa: Genau, in jeder Ära war Jazz von der populären, der zeitgenössischen und der Volksmusik beeinflusst, in jeder Ära! Das liegt in der Natur des Jazz.

Gyémánt: Ich glaube, dass Jazz in gewisser Weise die zeitgenössische Volksmusik ist, weil er die Stimme von allem ist. Und Umbruch ist wichtig, weil er echt bleiben, etwas von heute zu erzählen haben muss.

Interview: Veronika Harcsa & Bálint Gyémánt 5

Trotzdem denken einige immer noch, dass Jazz eher etwas für ältere Menschen, für Traditionalisten ist. Wie kann Jazz ein jüngeres Publikum anziehen?

Harcsa: Im Allgemeinen bevorzugen die jungen Hörer etwas mit einem Aufhänger aus ihrem Alltag. Dieser Aufhänger ist im Jazz oft der Popeinfluss, zum Beispiel, wenn Brad Mehldau Radiohead spielt. Die jungen Leute denken dann, dass es jetzt hip ist, Brad Mehldau zu hören. Ich glaube, der Aufhänger für ein jüngeres Publikum muss aus einer kommerzielleren, leichter zugänglichen Ecke kommen.

Lasst uns über Klang sprechen. Ist der – im Sinne von Klangqualität – ein wichtiges Kriterium für euch?

Harcsa: Natürlich!

Gyémánt: Absolut!

Harcsa: Wobei wir da ziemlich flexibel sind. Zumindest im Vergleich mit unserem elektronischen Trio-Projekt, wo wir mit einem DJ arbeiten und der Klang präzise vorgegeben ist. Der DJ nämlich ist auch Musikproduzent und hat in dieser Eigenschaft den Sound für das Trio entworfen. Wenn wir mit ihm auftreten, muss es genau so und nicht anders klingen. Als Duo sind wir viel flexibler. Wir können in einer Kirche mit einem stundenlangen Hall spielen oder wie heute in einer Messehalle. Wir können unseren Klang viel leichter an die Umgebung anpassen als ein elektronisches Projekt, weil wir eine supereinfache Orchestration – Stimme und Gitarre – haben. Trotzdem ist Klang natürlich essenziell. Er bestimmt, wie wir uns auf der Bühne fühlen.

Gyémánt: Gleichzeitig ist Klang für mich in dem Sinne wichtig, deinen eigenen Klang, deine eigene Persönlichkeit zu bewahren. Es ist egal, welche Art von Musik du spielst, solange du eine eigene künstlerische Persönlichkeit hast. Das ist für mich das Ziel als Musiker.

Um wiedererkannt zu werden?

Gyémánt: Vielleicht, aber nicht dafür, dass du die ganze Zeit über das Gleiche machst. Du musst wie ein Chamäleon sein, du veränderst zwar deine Farben, bist aber trotzdem klar wiederzuerkennen. Deine Stimme muss einmalig sein. Nicht nur als Musiker, sondern generell als Künstler.

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