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Friedrich Liechtenstein Trio | Ich bin dein Radio
Das Herz Arnold Kasars schlägt für alte Männer. Hat er uns gerade erst die wunderbare Kollaboration Einfluss mit dem 1934 geborenen Avantgarde-Großmeister Hans-Joachim Roedelius beschert, legt er jetzt als Produzent des neuen Albums von „Kult-Opa“ (Berliner Kurier) Friedrich Liechtenstein nach, genauer: des Friedrich Liechtenstein Trios, als dessen Pianist er praktischerweise in Personalunion fungiert. Ich bin dein Radio heißt das Werk, das dem 2015 direkt in die Vinyl-Schneideanlage aufgenommenen Schönes Boot Aus Klang – über das ein Amazon-Rezensent voller Ehrfurcht schrieb: „Die Sinnlosigkeit der Texte ist respekteinflößend“ – folgt.
Auch dieses Album setzt nach einem sich ambientig, loungig, chillig heranwabernden Auftakt („Sparkling Love“) mit atmosphärischen Pianotupfern sowie allerlei Gebrizzel und Gepfeife ganz auf Dadaistisches: „Shave The Monkeys“ bettet Liechtensteins mit Barry-White-Organ vorgetragene Nonsens-Lyrics in eine Woge aus Sixties-Soul-Streichern – gekrönt vom Achtzigerjahre-Gedächtnis-Saxophonsolo Sebastian Borkowskis, seines Zeichens dritter Mann des Trios, der noch von Projekten wie Jazzanova oder 2raumwohnung im Ohr sein dürfte. Die technoid pulsierenden, mit ihrer urbanen Energie bestechenden „Terrestrische[n]Wellen“ dagegen tragen Liechtensteins Sprechgesang, der sich aufgrund zu großer Melodiösität als Rap nicht bezeichnen lässt, weit fort.
Im nächsten Song dann wurden einfach „Überschriften aus der New York Times wahllos aneinandergeheftet“. Der Ernst-Busch-studierte Schauspieler und Volksbühnen-erprobte Regisseur gibt einem im Intro von „New York Times“ gleich eine Art Gebrauchsanweisung für das Stück mit an die Hand. So, wie er aus dem Lied heraustritt und sich direkt an den Hörer wendet, zeichnet sich allmählich ab, dass wir es hier weniger mit einer Elektro-Pop-Platte denn einer in CD-Form gegossenen Performance zu tun haben. Daraus ein nichtsdestoweniger wohnzimmerkompatibles, sprich (durch-)hörbares Album zu machen, ist letzten Endes große Kunst!
„Bademeister“ wiederum zeigt, dass Liechtenstein recht eigentlich Storyteller ist, hört man doch seiner Hörbuch-tauglichen Stimme, ob man dem Text nun aufmerksam folgt oder nicht, einfach aufgrund ihres angenehmen Duktus‘ mit immer breiter werdendem Lächeln gerne zu, und wenn das ganze Wohlfühlige, mit dem Kasars Piano einen in Sicherheit zu wiegen versteht, mit einem Mal zum Krimi wird, ist der weggeträumte Hörer auch wieder ganz bei der Sache. Dass Liechtenstein, auch wenn er singt, in erster Linie Geschichtenerzähler bleibt, zeigt „Das Zimmer“, das es versteht, mit absurd wenigen Worten ganze Assoziationswelten zu entfalten.
„The Body Talker“ und „Strawberry Red“ dagegen sind pumpende Clubtracks, die vor des Hörers geistigem Auge die liechtenstein’schen Dancemoves aus der legendären Edeka-Werbung („Supergeil“) heraufbeschwören, mit denen sich der Grimme-Preis-Nominierte – wie auch auf dem nicht minder legendären „Kackvogel“ – durch Berlin tänzelte. Als urbane Traumballade, die sich schnell zum pulsierenden Disco-Boogie auswächst, präsentiert sich „Nicht Singen Beim Schwimmen“, und spätestens mit dem ersten unwiderstehlichen Refrain wird klar, warum der Song auf dem Albumcover mittels Werbaufkleber als „Hitsingle“ annonciert ist: Schließlich haben wir es hier mit einem jener seltenen Stücke zu tun, denen es gelingt, Soundtrack eines Lebensgefühls zu werden, alldieweil diskoide Bee Gees-Anklänge für ein Übermaß an guter Laune sorgen, verstärkt nur von den Earth, Wind & Fire-Reminiszenzen, die sich mit Kasars Vorliebe für Siebzigerjahrestreicher erklären lassen. Da will das zunächst arg schlagerersk daherkommende „1.000 Liter“ so gar nicht zum Rest der Platte passen, doch entwickelt die super-simple, lediglich von Piano und Bassklarinette getragene Songstruktur eine zunehmende Liedermacher-Aura, bis das Stück – nicht zuletzt dank mehrerer, von Liechtenstein höchstselbst eingespielter Geigenspuren – letztendlich zu einem der charmantesten des Albums werden soll. Als Bonus gibt’s noch „Schönes Boot Aus Klang“, das uns schon auf dem 2015er-Vinyl begegnet ist.
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No Lega feat. Oli Rubow
Charmant ist auch das Stichwort für das neue Album des Trios No Lega, das hier um „Organic Electro Drummer“ Oli Rubow, besser bekannt als Hattler– oder DePhazz-Schlagzeuger, ergänzt wird. Erst einmal äußerlich, denn die auf nur zweihundert Exemplare limitierte Spezialauflage besticht schon rein optisch durch jeweils verschiedene, handgearbeitete Cover in LP-Format, die allesamt Unikate mit jeweils eigener Seriennummer sind. Wer sagt, dass es auf Äußerlichkeiten nicht ankommt, wird aber auch mit dem Inhalt glücklich, denn Kontrabassist Matthias Akeo Nowak, Gitarrist Martin Lejeune und der argentinische Trompeter Valentin Garvie haben sich, verstärkt von Rubows Beats, unter dem Motto Bix Beiderbecke reloaded dem frühen Jazz verschrieben, den sie mit Eigenkompositionen mischen oder besser: konterkarieren.
Gleich der Opener „In A Mist“, 1927 komponiert von Chicago Jazzer Bix Beiderbecke, zieht den Hörer vom ersten Moment an in den Free-affinen Jazzclub, es trötet, klappert, zupft, vereint sich, driftet auseinander, um dann doch wieder zu einem Groove mit Wiedererkennungseffekt zusammenzufinden. Groove ist auch auf der Lejeune-Komposition „Indian Weib“ das Stichwort – der gerät hier nämlich nahezu hypnotisch und von Stück zu Stück faszinierender: So scheint sich beim Folgetrack exotisch Angehauchtes mit einer Art Trauermarsch zu paaren, eigentlich haben wir es aber mit einer nachgerade genialen Interpretation von Gambler Blues „St. James Infirmary“ zu tun, der wohl in der 1928er-Aufnahme Louis Armstrongs höchste Bekanntheit erreichte.
Mitten hinein in eine pulsierende Metropole dagegen entführt Valentin Garvies „Spy Boy“, der – allein, da er aus einer Trio-Session ohne Schlagwerk stammt – weniger auf Rhythmus denn aufs freie Spiel setzt, das im Grunde ein Katz-und-Maus-Geplänkel samt Weglaufen, Verstecken und Vorwitzig-ums-Eck-Lugen ist, eingewoben in die geschmeidigen Klänge einer Milonga-Gitarre, die sich auf der Lejeune-Nummer „Music Between Hope And Disaster“ ganz dem langsamen Tango hingeben kann, der aber genauso gut modernes Requiem sein könnte. Mit einer Art Cajun-Gitarre und angezerrtem Grammophon-Klang, gelegentlich durchkreuzt von verschiedenerlei Raschelgeräusch, geht’s auf in den alten Süden, wo No Lega in Trio-Besetzung den Razaf/Redman-Klassiker „Gee Baby, Ain’t I Good To You?“ mit gehörigen Dixie-Anleihen als klanggewordenes Summertimegefühl erstehen lassen. Dem gegenüber kommt der „Davenport Blues“ Beiderbecke’scher Provenienz ob eines die Bässe abschneidenden Filters, der eine Art Telefonsound zaubert, dezent elektrifiziert daher, findet jedoch schon nach wenigen Takten zurück ins retroselige Zwanzigerjahre-Flair, entartet zwischendurch in eine verschwenderische Parade mit Stelzenmännern und Zuckerwatte und Rührtrommlerzug, bis die extramikrophonierte, halbakustische E-Gitarre mit ihren British-Beat-Anleihen wieder übernimmt.
In die Jetztzeit versetzt der Lejeune’sche, auf moderne Art seltsam erhabene „Pure Opening March“, dem allerlei Klopfendes, Klapperndes, Schnarrendes anhaftet – dazu gesellen sich weiche Gitarrenklänge, die sich durch das (gar nicht mal so störende) Störgeräusch hindurcharbeiten, wie Sonnenstrahlen durch die Lamellen einer Jalousie, die sich jedoch erst von den Trompetentönen ganz öffnen lassen. Wenn zupackende Grooves auf loungige Flächen treffen, um von Free-Jazz-nahen Trompetentupfern übertönt zu werden, haben wir es dagegen mit einem waschechten „Jazzmob“ zu tun: Man stelle sich einen beliebigen Platz in der City vor, am besten vor einer Bank oder einem sonstigen völlig jazzunverdächtigen Gebäude, und dann kommen von allen Seiten Menschen mit Instrumentenkoffern herbeigeeilt, packen diese aus und fallen, einer nach dem anderen, in den Groove mit ein, derweil die Banker ihre Krawatten fort werfen und mitgrooven.
Und dann ist da noch „Griseta“, eine von Pianist Enrique Delfino 1924 komponierte Tango-Romanze, die bis heute auf keiner Milonga fehlen darf, auch wenn ihr als musikalischer Kammergattung eher konzertante Züge eignen. Einen krassen Kontrast dazu bietet das funky „Opium“, geschrieben von Valentin Garvie und seinem Vater Esteban, das trotz aller Seventies-Aspekte immer wieder in diesen irgendwie niedlichen Retro-Rhythmus fällt und damit – wie überhaupt das gesamte Album – eine ganz charmante Mischung aus neu und alt, forsch und scheu, hier und fort, leisem Rascheln und stakkatoartigem Auftrumpfen bietet.
Und dann auch noch „Mood Indigo“. Die zum Standard gewordene 1930er-Duke-Ellington-Komposition, die wir gerade erst in der luxuriös-perlenden Interpretation Charnett Moffetts gehört haben, klingt hier schon (allein, weil es bis auf angelegentlich percussive Elemente, die mal von der Trompete selbst, mal vom schabend bearbeiteten Bass und mal vom Klopfen auf den Gitarrenkorpus stammen, schlagzeugfrei ist, und das Schlagzeug ist es schließlich, das als zuverlässiger Indikator für das Alter einer Aufnahme dient) nahezu prä-retro mit ihrer gedämpften, fast kammbläserartig daherkommenden Trompete, man sieht regelrecht die sich drehenden Tanzpaare, die gestärkten Baumwollkleider und die von Sportgürteln gehaltenen Anzughosen, aber dann übernimmt diese supergemütlich daherspazierende Gitarre über einem ebensolchen Bass, und das sentimentale Bild zerplatzt, während sich im Stück die Jahrzehnte schichtenweise zu überlagern scheinen, im Hintergrund das alte New York, damals, als es Schmelztiegel wohl mehr noch denn heute war, und darüber schiebt sich ein Berliner Tangocafé der Zweitausender, dazwischen nicht nur ein Ozean, sondern auch 80 Jahre Musikgeschichte.
Weniger defragmentiert wirkt der abschließende, fast schon zum Klischee verkommene „Creole Love Call“ mit seinem prägnanten Weckruf, der – nicht zuletzt aufgrund des Sechsachteltaktes – immer ein bisschen etwas von alpiner Terzseligkeit hat, später jedoch, wenn Garvie mit zwei Trompeten gleichzeitig spielt, völlig abdreht in weitaus wildere Intervalle, ohne dabei, und das gilt wiederum für die ganze Platte, den Respekt vor den Originalen aus den Augen zu verlieren.
Plattenkritik: Friedrich Liechtenstein Trio | No Lega