Ethel Cain – Perverts
Ethel Cains neues Album Perverts beginnt apokalyptisch. Die für Drone, Dark Ambient und Electro bekannte US-amerikanische Musikerin und Produzentin gestaltet das Intro des Titelsongs a capella, fast folkartig sind ihre Melodien, die Nähe und Verletzlichkeit ausstrahlen. Ihre Stimme ist mit Effekten belegt, sodass sie wie durch ein Megafon verzerrt klingt.
Was danach folgt ist ein langes Rauschen, das den 12-minütigen Track zu einer Herausforderung macht. Aber auch dafür ist Cain bekannt. Sie macht es den Hörern und Hörerinnen nicht immer einfach und punktet genau damit. Denn die Art und Weise ihres langsamen Songaufbaus gleicht einem vorsichtigen Herantasten an ein immer noch tabubehaftetes Thema. In diesem Album ist das die Perversion. Wie Sirenen heult der erste Song über die langen Minuten immer wieder auf und wird von Soundschnipseln aus Cains Sprechstimme angereichert. Die bedrohliche Atmosphäre wird am Ende abgeschnitten mit Cains Worten „it’s happening to everybody“.
In „Punish“, dem folgenden Song wird die Musikerin sanfter. Unschuldige Klavierakkorde bestimmen hier den Song und Cain singt im Sopran darüber. Die Singleauskopplung setzt sich mit dem schweren Thema von Kindesmissbrauch und der Scham auseinander. Musikalisch baut sich über sechs Minuten ein Crescendo auf – und zu dem Klavier gesellen sich neben minimalen Electro-Effekten auch Gitarrenklänge. Diese werden von Angel Diaz beigesteuert, die sich bretternder und verzerrter Baritongitarre und Lap-Steel-Gitarren bedient. Der Gesang von Ethel Cain und das instrumentale Zusammenspiel geraten im Aufbau zunehmend hypnotischer, was den Song so faszinierend macht. Sowieso beschleicht einen das Gefühl mit dem Album in den Soundtrack eines düsteren oscarprämierten Films hineingezogen zu werden. Die große Stärke von Ethel Cain ist es, dass sie mit ihrer Musik eigene Welten zu kreieren vermag.
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Marshall Allen – New Dawn
Mit unglaublichen 100 Jahren nahm Marshall Allen, der große US-Jazz-Saxofonist, sein erstes Soloalbum New Dawn auf, das dieses Jahr erschien. Der Musiker ist ansonsten auf etlichen weiteren Alben mit seinem sanften, mal verrücktem und wildem, aber auch melancholischem Spiel vertreten: Als Original-Mitglied des Arkestra spielte er damals noch unter Sun Ra und seit 1995 als Leiter des Arkestra zahlreiche Platten ein, die als Meilensteine des Jazz gelten.
Auf seinem eigenen Werk hört man zwar den Avantgarde-Einfluss vom Großmeister Sun Ra seltener, aber umso mehr Allens persönliche Note, die weniger experimentell, dafür umso swingender, geradezu jazzhistorisch aus den Musikboxen tönt.
Und auch das siebeneinhalb-minütige „African Sunset“ überzeugt mit einem klassischen Jazz-Sound. Das lässige Hauptmotiv wird von Marshall Allen melodiös vorgetragen und von Trommeln, Streichern, Keys und Bass begleitet. Das Saxofon-Spiel und das ganze Stück versprühen Wärme und ein wohliges Gefühl. Dass man hier den Soundtrack eines „African Sunset“ hört, macht absolut Sinn. Auch Allens Solo-Part überzeugt mit Gefühl und swinging Notes. Weil das Hauptmotiv später von weiteren Blechbläsern unterstützt wird, klingt „African Sunset“ gen Ende majestätisch und endet harmonisch mit einem lang ausklingenden Akkord.
Das darauffolgende zentrale Stück des Albums, „New Dawn“, wird von Neneh Cherry, der Stieftochter des legendären Jazzmusikers Don Cherry, gesungen. Allein das macht es zu einem Highlight. Hier überzeugt ebenfalls die entspannte Stimmung des Stücks, das von einem langsamen Drumbeat getragen wird. Die Instrumente halten sich im Hintergrund und lassen Cherrys Stimme glänzen. Dass Allen trotzdem seinen Moment hat, ist offensichtlich: Im hinteren Drittel des Stücks bläst er für sein Solo mit sanftem Anstoß in sein Instrument und trägt so zur verträumten Atmosphäre bei. Und das ist nicht nur hier so: Die Stücke auf dem Album kommen allesamt mit diesen Effekt – sie lassen einen wahrlich verzaubert zurück.
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Saya Gray – SAYA
Nach mehreren EPs und Singles brachte die kanadische Künstlerin Saya Gray nun ihr Debütalbum SAYA heraus. Der Mix aus Folk, Indie und Grunge auf der Platte geht dabei wunderbar auf. Aus einem Musikerhaushalt stammend, war für Gray schon früh klar, dass die Musik ihr Leben bestimmen wird. Neben ihrem Sopran-Gesang hört man die Multi-Instrumentalistin deshalb auch Akustikgitarre spielen. Besonders schön geraten auf der Platte aber die mehrstimmigen Passagen, in denen man ihre Stimme wie aufgefächert hört.
So auch im Song „LIE DOWN..“. Die fünfminütige Single überzeugt mit einem folkigen, poppigen Sound und klackerndem Beat. Die Gitarren-Soli am Anfang leiten in die melodiöse Strophe ein, in der Gray solo singt. Das Highlight kommt, wenn die Strophe ohne richtige Ankündigung geradezu unprätentiös in den Chorus übergeht. Hier wirkt Grays Mehrstimmigkeit geradezu hypnotisch und die schöne Melodie avanciert zu einem akustischen Sog, dem man gerne folgt. Was am Ende vom Song bleibt, ist ein von Klavierakkorden getragenes Outro. Hier mündet der Sound in piependen und blubbernden Synthie-Tönen und verstummt schließlich.
Mehr Country und Folk hört man auf „SHELL ( OF A MAN )“. Hier stehen Grays Akustikgitarre sowie eine Slide Guitar im musikalischen Fokus. Mit einer interessanten Bridge, die harmonisch in neue Welten führt, bricht der Song in der Mitte auf, bevor er wieder in das Country-Riff der Gitarren übergeht. Auch hier punktet Saya Gray mit bezirzenden Gesangseinlagen, die wirklich herausstechen.
Dass Gray mehr als Country und Folk kann, zeigen Songs wie „H.B.W.“. Hier dominieren neben ihrer Arpeggio-gezupften Gitarre ein tiefer, wabernder Bass sowie eine Drum-Machine, sodass man den Song eher dem Hip-Hop und Electro zuschreiben würde. Grays Stimmbeiträge überzeugen hier abermals. Mit musikalischer Vielfältigkeit und interessanten Arrangements nutzt Saya Gray ihre Chance zu zeigen, was sie drauf hat. Super!
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