Emma-Jean Thackray – Yellow
Emma-Jean Thackray aus England ist die gefeierte Jazzerin, Produzentin, Trompeterin, Keyboarderin und Sängerin der Stunde. Sie hat gerade ihr Debütalbum Yellow auf ihrem eigenen Label Movementt veröffentlicht und damit auch international große Wellen geschlagen. Und das zurecht: Denn wie sie an Musik herangeht und eine Mischung aus Disko und Spiritual Jazz kreiert, das ist erfrischend, aufregend und funky.
Auf dem ersten Song Mercury baut sich eine Klangwand aus wirbelndem Schlagzeug, Synthies sowie einer Trompete auf, bis Thackray in Spoken-Word-Manier „to listen is to know and to know is to love“ spricht. Das Stück kommt nach fast sechs Minuten sanft zum Erliegen und die nächste Nummer beginnt. Hier wird es groovy und man möchte fast das Tanzbein schwingen. Say Something ist kosmischer Jazz, der in der ersten Strophe mit einem straighten Beat unterlegt ist und so smooth in neue Harmonien wechselt, dass man sich das Stück gar nicht anders vorstellen kann. Hier singt Thackray und wird von einem vokalen Arrangement unterstützt. Die starken Frauen- und Männerstimmen gehen mit ihr in ein A-Cappella-Finale, das gleich im nächsten Song About That von einem wirbelnden Drum-Solo abgelöst wird.
About That kann als zweiminütiges Intermezzo interpretiert werden. Die Trompete kreischt, der Gesang setzt erst nach ungefähr der Hälfte des Stücks ein und ist repetitiv. Thackray singt „How `bout that, about that?!“ und man bemerkt, dass der Bass dieses Gesangsmotiv schon zu Anfang angekündigt hat. Schließlich verlaufen der Bass und Gesang unisono. Nur gelegentlich weicht der Bass mit virtuosen Einspielern ab. Genau diese Details sind toll und machen Yellow zu einem spannenden Hörerlebnis. Thackray schrieb die Arrangements so fantasievoll, dass man bei jedem neuen Hören etwas neues in den Songs entdeckt. Diese Platte wird sich nicht nur kurzfristig durchsetzen!
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The Goon Sax – Mirror ll
Louis Forster – Frontmann von The Goon Sax – hebt sich mit dem neuen Album Mirror ll endgültig vom Schatten seines Vaters Robert Forster und dessen Erfolgsband The Go-Betweens ab. Zwar haben The Goon Sax mit ihrem poppigen, weiblich-männlichen Doppelgesang auf angenehme Weise auch etwas von den Go-Betweens. The Goon Sax heben sich aber vor allem mit ihrem experimentellen Songwriting, Noise-Einlagen und verzerrten Indie-Gitarren, die kantig klingen, ab.
Im Song In the Stone wechseln sich Forster und Schlagzeugerin Riley Jones gesanglich oft ab, überzeugen aber auch, wenn sie die Strophe in einer Oktave verschoben zusammen singen. Der Song ist geprägt von einem Gitarrenriff, Klatschern, Schellenring und einem simplen Schlagzeugbeat. Im Chorus kommt eine verzerrte Gitarre dazu, die den poppigen Gesang mit einem Solo unterlegt und so die Dynamik verändert. Der Bass läuft dabei melodisch nebenher und bekommt in einem Break sogar einen Solo-Moment. Lauter wird es auf Psychic. Hier dröhnen Noise-Gitarren über den gesamten Song und spiegeln das Psychedelische in den Lyrics wider.
Die Musik auf dem Album ist so eingespielt und organisch, dass man sich sicher sein kann, dass hier kein oder kaum Autotune oder Klick in der Produktion von John Parish notwendig war – das beweist vor allem der Song Bathwater, der zum Chorus hin abrupt das Tempo wechselt und wie zwei Songs in einem klingt. Mit experimentellen Synthie-Effekten, einem smoothen Solo-Saxophon und einem spektakulären Finale, in dem Forster sogar auf deutsch singt, gehört der Song zu den interessantesten des Albums. Hier offenbart sich die ganze Bandbreite der Band: wild, sanft und cool – das alles können sie definitiv.
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Rắn Cạp Đuôi – Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế
Seit 2012 gibt es das Kollektiv Rắn Cạp Đuôi aus Vietnam, das neben Kunst vor allem für seine experimentelle Musik bekannt ist. Die internationalen Mitglieder des Kollektivs wechseln oft und arbeiten mit Musikern zusammen, die sie einladen – so wie bei ihrem neuen Album Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế. Hier hatten Rắn Cạp Đuôi Musiker zu einer 48-Stunden Session eingeladen, aus der anschließend das Album zusammengeflickt wurde. Das Improvisieren steht bei Rắn Cạp Đuôi im Vordergrund und dabei sind sie unglaublich produktiv. Seit 2012 veröffentlichten sie mehrere EPs und inklusive der neusten Platte zählt man auf Spotify sieben Alben des Kollektivs.
Die neuste Veröffentlichung Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế heißt übersetzt „durch die Apokalypse schlafen“ und lässt damit viel Interpretationsraum für Sounds offen – denn einerseits stellt man sich die Apokalypse wie ein lautes Noise-Arrangement vor und das Schlafen wie ein gleichmäßiges Atmen von langgezogenen Klängen.
Tatsächlich findet man diese Gegensätze gleich im ersten Song Images. Das Stück ist unterteilt in verschiedene Soundpassagen, wobei die erste mit einem gelooptem „Aah“ beginnt das in eine meditative Soundwolke übergeht und von synthetischen Schlägen durchbrochen wird, die wie Soundeffekte eines Science-Fiction-Films klingen. Hier zischt und klappert es in Industrial-Manier. Doch nichts ist unkontrolliert, denn im Arrangement haben Rắn Cạp Đuôi auf klare Strukturen geachtet. Nach knapp 1:30 Minuten beginnt ein mystischer Teil, in dem eine effekt-beladene männliche Stimme wiederholt einen Text rappt. Die Stimme wird begleitet von blubbernden Sounds und einem taktgebenden Blech. Diese Passage holen Rắn Cạp Đuôi auch gen Ende des Stücks wieder hervor. Der Wiedererkennungswert ist dabei so hoch, dass der Abschnitt als Chorus gelten könnte.
Einen ähnlichen Flickenteppich an Sounds mit schnellen Wechseln zwischen einzelnen Passagen findet man auf dem gesamten Album. In Distant People wird der erste Übergang vom elektrisch-zwitschernden Intro zur klirrenden Ambient-Welt mit einer kurzen Pause eingeleitet, in der man nur so etwas wie raschelnde Watte in den Kopfhörern hört. Es sind genau diese kurzen Momente, in denen sich ein Wechsel ankündigt, die die Songs unvorhersehbar und so unterhaltsam machen.
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