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Dry Cleaning – New Long Leg

Die Londoner Band Dry Cleaning bringt mit New Long Leg ihr Debütalbum heraus. Beim
eigentümlichen Namen der Gruppe muss man womöglich kurz zögern, weil sich dahinter vielleicht ein Witz oder Ironie vermuten ließe. Doch die post-punkige Musik, auf die Frontfrau Florence Shaw scheinbar emotionslos ihre Songtexte spricht, ist so direkt und ungekünstelt, dass jegliche Bedenkzeit abrupt endet.

Dry Cleaning New Long Leg

Das Album startet mit Scratchcard Lanyard, einer perfekten Einführung in den musikalischen Ansatz der Band, deren Mitglieder sich teilweise aus der Kunstszene Londons kennen. Das Intro des Songs besteht aus einem Drum-Machine-Beat, über den sich alle zwei Zählzeiten ein Snare-Schlag gesellt und schließlich die Instrumente
einsetzen. Der Beat aus Gitarre, Bass und Drums treibt den Song an und steht im starken Kontrast zur monotonen und über dem Klanggerüst schwebenden Stimme von Shaw. Inhaltlich wird man in ihre innere Welt transportiert, sie spricht scheinbar zusammenhangslose Gedankenfetzen. Da wird eine Person mit „Don’t send me it, you keep it“ aufgefordert etwas zu behalten. Doch was genau das sein soll, erfährt man nicht. Ein anderes Mal sagt sie „I think of myself as a hearty banana“ und wird in ihrer anschließenden Beschreibung zunehmend surrealistischer. Ihre Stimme erhebt sich dabei minimal. Es sind kleinste Nuancen, die hier hörbar werden. In den Gesangs-Pausen geht die Gitarre in Solo-Momente über, doch kann sich nie so in den Vordergrund stellen, wie Shaws vokale Performance.

In dem Song Strong Feelings setzt die Gitarre zunächst aus und spielt erst nach der Strophe langgezogene Noten. Es ist ein minimalistisches Setting, das die Band hier verfolgt, denn der Beat besteht anfänglich nur aus den Drums und einem Basslauf, der entfernt an „Billie Jean“ von Michael Jackson erinnert. So konzentriert sich alles auf die vokale Performance. Shaw beginnt die Strophen mit den Worten „Just an Emo, dead stuff collector“ und bleibt dabei trocken und in der Akzentuierung monoton. Inhaltlich wechselt sie in manchen Sätzen in die Ich-Perspektive und fügt dem Puzzle an Interpretationsansätzen ihrer Worte weitere Komplexität zu. Das Unvollendete der Lyrics und die objektive Vortragsweise ist genau das, was einem beim Hören des Albums so anspricht.

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Gabriels – Love and Hate in a Different Time

Gabriels Love and Hate in a Different Time

Gabriels ist ein Musikprojekt aus Los Angeles, das aus Sänger Jacob Luk, der schon für
Diana Ross oder Beck sang, und den Produzenten Ari Balouzian und Ryan Hope besteht. Mit ihrer EP Love and Hate in a Different Time haben sie im Streaming-Markt große Wellen geschlagen, obwohl sie die EP ohne Label veröffentlichten. Das passierte nicht ohne Grund, denn von Gabriels Musik geht eine mysteriöse Atmosphäre aus, die enge Genrebeschreibungen unmöglich machen. Grob könnte man sagen, dass der Sound der EP von Soul, Funk und Gospel beeinflusst ist. Das erklärt jedoch nicht die futuristischen Einlagen, Effekte und die teilweise experimentelle Produktion, welche die Musik in neue Dimensionen tragen.

Der erste Song The Blind ist geprägt von schweren Klavierakkorden, die mit akzentuierten Drums und Klatschern getragen werden. Am wichtigsten ist jedoch die Gesangsperformance von Luk, der emotional über Lügen und das Verheimlichen singt. Das Arrangement mit später auflebenden Streichern und einem Chor machen das Stück opulent. Die atmosphärische Produktion vermittelt das Gefühl, dass hier ausgiebig an Details gearbeitet wurde. In den wenigen Beschreibungen des Projektes liest man, dass das Trio bereits seit vier Jahren an seinem Album arbeitet. Diese lange Zeit ist hörbar: Alles ist bedacht platziert und optimiert, ohne an Authentizität zu verlieren. Aufrichtiger, moderner Soul mit einem mysteriösen Twist.

Das Herz und Titelstück der EP erinnert in der Strophe an „I heard it through the Grapevine“, entwickelt sich im Chorus jedoch ganz anders. Auch hier sind es die Details, wie das Klavierintro, das mit dem einsetzenden, schwungvollen Beat weiterläuft, eine effekt-beladene futuristische Stimme nach dem Chorus oder ein experimentelles Synthie-Solo, das quietscht und piepst. Gabriels fasziniert genau wegen dieser Elemente – stets bleibt offen, was als nächstes kommt und die mysteriöse Aura der Musik wirkt hypnotisch. Man kann einfach nicht weghören.

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Four Tet – Parallel

Four Tet Parallel

Der britische Electro-Musiker Kieran Hebden veröffentlichte im Jahr 2020 mehrere Alben. Parallel war zusammen mit dem Album 871 eines seiner letzten Werke, das kurz vor dem Jahreswechsel ohne richtige Ankündigung bei Spotify erschien. Das passierte unter Hebdens wohl bekanntesten Künstlernamen Four Tet. Ein wenig Recherche ergibt, dass einige Songversionen bereits auf Soundcloud oder Bandcamp zu finden waren. Unter einem mysteriösen Alias veröffentlicht, der fast unmöglich zu googeln ist, weil er nicht aus Buchstaben, sondern aus Zeichen und Mustern besteht.

Doch egal, unter welchem Namen, allen Veröffentlichungen ist gemein, dass Hebdens musikalische Sprache identifizierbar bleibt. Hier mischen sich lange, meditative Ambient-Phasen mit scheinbar in Watte gehüllten Synthie-Tönen. Der wohl beeindruckendste Song auf Parallel ist der Opener. Parallel 1 ist ein 26-minütiges Stück, das man als Ouvertüre und Abbild für das gesamte Album bezeichnen kann – es beinhaltet alle spielerischen und musikalischen Zutaten, die sich in den folgenden Liedern wiederfinden lassen.

Der Track beginnt mit einer ambientartigen Soundwolke, die wie eine Vinyl-Platte knistert. Four Tet fügt langgezogene Töne hinzu, die teilweise als Delay ausklingen, sodass nach und nach mehrere Schichten von Tönen vibrieren. Nach einer kurzen Walkie-Talkie-Ansage einer Frauen-Stimme beginnt ein neuer, lebendiger Teil in Parallel 1, der in den Synthie-Klängen, der an- und abschwellenden Dynamik sowie der Rhythmisierung Hebdens Handschrift trägt. Hier verbinden sich die Soundsphären zu einem tropfenden Ton-Gerüst, das einem Beat ohne Bass und Schlaginstrumenten ähnelt.

Einem Fluss gleich läuft das Stück über Minuten weiter, findet neue Richtungen, entfernt sich trotz teilweise heftig prasselnder Tönen aber nie zu weit von seinem Ursprung. Das passiert nur gegen Ende in der 21. Minute, wenn mit dem minutenlangen Verharren auf einem Sound, der wie ein langgezogenes „Om“ klingt, schließlich Stillstand einkehrt. Eingemischt ist eine atmosphärische, gepitchte Stimme. Die finale Spannung wird durch den schleichenden, ruhigen Abschluss wieder aufgehoben.

Four Tet baut Musik, die in einem weiter klingt – egal ob man aufgeregt, freudig oder traurig ist, die Klänge passen sich der eigenen Stimmungslage an und formen sie weiter.

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