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Daniel Merriweather | Nouvelle Vague

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Daniel Merriweather | Nouvelle Vague

Juli 2009 / Victoriah Szirmai

Auch wenn ich natürlich immer froh bin, für fairaudio zu arbeiten, war ich in den letzten Wochen ganz besonders froh, dass ich hier nicht zum tagesaktuellen Musikjournalismus verdammt bin. Nur ungern hätte ich Worte finden müssen zum Tod von Michael Jackson, möge seine gequälte Seele endlich zur Ruhe kommen und Frieden finden.

Ich war, seitdem ich 12 Jahre alt bin, ein großer Fan. Auch wenn sich die kultische Verehrung in den letzten Jahren verloren, um nicht zu sagen: ausgewachsen hat, mag ich die Musik immer noch sehr gern; und ja, ich komme nicht umhin zu sagen, dass ihm der Löwenanteil meiner musikalischen Sozialisation gebührt. Man kann von Jackson halten, was man will, aber er war zweifelsfrei ein ganz großer Vokalist. Jeder, der im Geiste nur kieksige Huhu- und Hihi-Rufe hört, wenn er an Jacko denkt, möge sich doch einmal in aller Ruhe die Ballade Liberian Girl reinziehen. Solche Sänger sind selten.

Daniel Merriweather / Love & War

Daniel Merriweather / Love & War

Und doch habe ich einen gefunden, der das Potenzial dazu hat, wenn auch wohl nicht der nächste Michael Jackson, so doch ein Sänger von prägendem Einfluss zu werden. Die Rede ist vom bereits im Vorfeld ebenso hochgelobten wie auch vielgeschmähten Daniel Merriweather. Diesem gelingt es, selbst die schwächeren Momente seines Nicht-ganz-Debütalbums Love & War (sein erster Longplayer The Fifth Season, 2006 für das Indielabel Marlin aufgenommen, sollte aufgrund interner Differenzen unveröffentlicht bleiben), allein durch seine Stimme herauszureißen – und zugegebenermaßen gibt es einige solcher Momente, die doch sehr an Teeniemusik und Boygroups erinnern. Doch was auch immer ins Seichte abzurutschen droht, rettet Merriweather – ganz Profi – auf elegante Art.

Daniel MerriweatherMit Blick auf seinen musikalischen Werdegang vermag dies nicht weiter zu verwundern, ist der 1982 in Melbourne, Australien Geborene, der unter anderem Stevie Wonder, Prince, Jeff Buckley und Herbie Hancock zu seinen wichtigsten Einflüssen zählt, doch längst ein alter Hase im Geschäft. Im Jahre 2002 spielte der damals gerade 20-jährige seine erste kommerzielle Veröffentlichung All I Want ein. Ein Jahr darauf folgte ein Gastauftritt auf Mark Ronsons Album Here Comes The Fuzz (She’s Got Me), und Mark Ronson war es auch, der Anfang 2004 Merriweathers Solo-Debütsingle City Rules produzierte. Die Zusammenarbeit mit dem Star-Produzenten (u.a. Nikka Costa Everybody Got Their Something, Amy Winehouse Back to Black) trug auch weiterhin Früchte: 2007 nahmen Merriweather und Ronson das The Smiths-Cover Stop Me If You Think You’ve Heard This Before auf, das ihnen mit einem Platz 2 in den UK-Charts (wo es sich 17 Wochen hielt) großen kommerziellen Erfolg bescheiden sollte.

Daniel Merriweather

Weitere 18 Monate des Schreibens und Aufnehmens, immer wieder unterbrochen von monatelangen Konzertreisen mit Ronsons Show-Band, den Version Players, waren nötig, um das nächste Projekt der Patenschaft zwischen dem Produzenten und dem Sänger an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Love & War ist sowohl musikalischer Initiationsroman als auch klassisches R&B-Album. „Der rote Faden, der sich durch alle Songs zieht, ist wohl mein eigenes Erwachsenwerden. Es gibt auf jeden Fall ein paar altbewährte Ich-heule-in-mein-Bier-Nummern. Ich wollte schon immer ein Album machen, das klassisch klingt. Eins, das ich in zwanzig Jahren noch immer gerne anhöre“, so der von gewissen Stimmen in der Redaktion hämisch „Merri-Baby“ Getaufte.

Daniel MerriweatherUnd ja, er ist niedlich! Er sieht zuckersüß aus, wie er da seine junge Stirn in James-Dean-Falten legt und etwas unbeholfen posiert. Wenn ich ihn so betrachte, weiß ich nicht, ob sich jetzt mein Mutterinstinkt oder mein Demi-More-Trieb regen soll. Das heißt aber nicht, dass auch Merriweathers Musik zuckersüß ist, selbst wenn Love & War mit einigen (wenigen!) nah am Kitsch gestrickten Herzschmerz-Balladen aufwartet, allen voran Water and a Flame, ein Sie-konnten-einander-nicht-finden-Duett mit der blutjungenAdele britischen Soulsängerin Adele, die mit Merriweather das Unterschätzt- und Belächeltsein teilt. Mit diesen Stimmen allerdings könnten die beiden singen was sie wollten, man würde ihnen verzeihen.

Das ist im Falle von Love & War aber gar nicht nötig, denn Daniel Merriweather macht Musik, die einem auf angenehme Art vertraut ist. Es gibt ja Lieder, da denkt man, gähn, nix Neues unter der Sonne, kenn ich alles schon, ist fade, das nächste bitte. Und es gibt welche, die kennt man zwar auch schon irgendwie, aber sie fühlen sich angenehm heimelig an. Als ich 14 war, ist mir im Plattenregal der Eltern meiner damals besten Freundin ein Schatz in die Hände gefallen: ein Motown-Doppelalbum, eine seltene tschechische Prägung, die ich bis heute vergeblich nachzukaufen suche. Überspielt auf Kassette hat mich das Ding gut und gerne zwei Jahre begleitet, und ich freue mich immer noch, wenn ich überraschend auf einen jener Songs stoße oder mich etwas daran erinnert. Sofort entsteht bei mir dann dieses gänzlich unbeschwerte Happier than the Morning Sun & Easy like Sunday Morning-Gefühl. Auf Love & War gibt es nun kaum einen Track, der mir dieses Gefühl nicht vermittelt – deshalb mag ich diese Platte auch so! -, aber eben auch keinen, wo nicht unüberhörbar ein altbekannter Song Pate gestanden hätte. So könnte man versucht sein zu glauben, dass bei der Singleauskopplung Change, wenngleich leicht modifiziert, das charakteristische Piano-Sample von Mary J. Blidges I Love You-Remix anklingt, das, wie die wenigsten wissen, seinerseits auf einem Sample von Isaac Hayes’ Ike’s Mood beruht – wer etwas für seine pophistorische Bildung tun möchte, kann ruhig mal bei Minute 1:44 des Originals reinhören 😉

Der Opener For your Money hingegen wiegt einen zunächst in eine trügerische, weil pianolastige Billie Joel / Elton John New York State of Mind / Your Song-Sicherheit, steigert sich aber zu einer furiosen, gitarrendominierten Retro-Soul-Rock-Hymne Kravitz’scher Manier – viele Sänger würden von solch einem gewaltigen musikalischen Background schlicht erschlagen, nichtDaniel Merriweather so Merriweather. Souverän, ja: gleichberechtigt korrespondiert seine Stimme auf dieser zwischen Hoffnung und Verzweiflung oszillierenden Hommage an seine Wahlheimat mit dem hinreißenden Gitarrensolo Sean Lennons.

Auch die nachfolgenden Songs beweisen, dass man sich in Daniel Merriweathers Kompositionen sofort Zuhause fühlen kann, zumindest dann, wenn man musikalisch von Marvin Gaye, Stevie Wonder und deren derzeitigen Epigonen sozialisiert wurde. So beispielsweise scheint Chainsaw seinen Rhythmus direkt von Macy Grays Ooh adaptiert zu haben und Could You seinen Satzgesang vom Mamas & Papas-Klassiker California Dreaming, wäre da nicht dieser irgendwo zwischen Charles & Eddie und Maroon 5 angesiedelte Stil, dessen man sich ganz offensichtlich auch bei den Tracks 2 und 8 bedient zu haben scheint. Diese beiden Gruppen zählen bekanntlich auch Marvin Gaye und Stevie Wonder zu ihren Vorbildern, sodass sich unser Kreis aus Einflussnahme und Beeinflussung hier schließt. Immerhin gemahnt der letzte Song des Albums an die Diamonds & Pearls des Kopistentums gänzlich unverdächtigen Altmeisters Prince.

Wenn Merriweather jetzt noch zu seiner eigenen musikalischen Sprache findet, sollte einer großen Karriere nichts mehr im Wege stehen. Wir harren der Dinge und begnügen uns solange mit Love & War – einem wunderschönen, positiven Album.

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Plattenkritik: Daniel Merriweather | Nouvelle Vague

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