Juli 2014 / Victoriah Szirmai
Unter der nur (ganz dezent sperrigen) Überschrift „Jazz für Leute, die eigentlich keinen Jazz hören, aber auf der Suche nach guter neuer Musik sind“ besprach der „stern“ kürzlich das neue, mittlerweile schon sechste Album der Hamburger Sängerin/Songwriterin Ulita Knaus. Und da wäre es wieder: das Scheuen vor, das Fremdeln mit dem Jazz, sobald der Begriff auch nur fällt. Es braucht wohl noch viele öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen – wie etwa das erst jüngst an dieser Stelle vorgestellte XJAZZ Festival -, um diesen Abwehrreflex abzubauen. Und natürlich Alben wie dieses, denn Berührungsängste muss man hier nun wirklich nicht haben.
Gleich das Opening mit Tom Waits‘ Klassiker „Clap Hands“ aus seinem 1985er-Album Rain Dogs, dem treue fairaudio-Leser gerade erst auf Erika Stuckys Black Widow wiederbegegnet sind, zeigt mit seinen perkussiven Schüttel-deinen-Allerwertesten-Elementen einerseits und dem butterweichentspannten Hängemattenfeeling andererseits die Pole auf, zwischen denen sich The Moon On My Doorstep bewegt – und das größtenteils gleichzeitig. Groove ist hier genauso wichtig wie eine gesunde Laidbackness, die nur solchen Menschen zu eigen ist, die im Laufe der Zeit schon so manche Aufreger weggesteckt haben. Gemessen an ihrem gelassenen Gesang hat Ulita Knaus wohl schon so einiges durchge- und glücklich überstanden. Solch ein Mensch darf nun aber nicht verwechselt werden mit jenem, der einfach nur satt ist und nicht weiß, was er inmitten seiner Antiquitätensammlung, vor einem Glas exquisiten Weins sitzend, mit seiner Zeit noch anfangen soll, als sich auf das zeitaufwändige Zubereiten täglich frischer Speisen zu verlegen und sich dabei insgeheim zu fragen, ob es nicht vielleicht doch noch mehr im Leben gibt („Slice of Everyday“).
Doch sind es nicht nur Knaus‘ lebensgereifte, warme Stimme und ihre hintergründigen Texte, die den Zauber von The Moon On My Doorstep begründen. Ein gar nicht hoch genug zu schätzender Anteil daran gebührt auch ihrer Vier-Mann-Band – etwa dem gebürtigen Peruaner Jorge Roeder, der seinen Bass sonst bei „Jazz-Jazzern“ wie der Julian Lage Group rührt und dessen samtiges Spiel, das der Platte einen anheimelnden Float-Effekt verleiht, auf Stücken wie „Accordion Player“ so richtig zum Tragen kommt. Mit „She Says No“, einem Wechselspiel zwischen Kanus‘ Vocals und den aberwitzigen Bodypercussions des Kolumbianers Túpac Mantilla, können all jene, denen das Neinsagen schwer fällt, auf den Geschmack kommen, bis er, so versichert uns die Sängerin, süß erscheint wie Aprikosenmarmelade. Die reduzierte musikalische Form, Kennzeichen und Stärke des Albums, lebt auch auf dem Pink Floyd-Cover „Have A Cigar“ hoch. Im Duett nur mit Roeders Kontrabass – ein Arrangement, das auch ohne Probleme live im Wohnzimmer funktionieren würde – klingt es umso beschwörender, wenn dem besungenen Du die Zigarre angeboten wird. Ohnehin ist Interpretation bei Ulita Knaus immer Reduktion auf das Wesentliche, was The Moon On My Doorstep seinen klassischen Songbookcharakter verleiht.
Mit „Ich Steine du Steine“ folgt ein intimes Peter-Fox-Cover, dem es gelingt, den extrem textlastigen Song bluenoteschwer zu färben. Seine bittersüße Ich-kann-weder-mit-dir-noch-ohne-dich-Essenz wird aber schon im Folgestück von den sanften Marimbaklängen Mantillas wieder aufgelöst, die wie ein Sommerregen auf den Hörer hinabperlen, erfrischen und das Atmen erleichtern – wobei ich die Künstlerin für diese hitzewellenbedingte Assoziation um Verzeihung bitte, ist es ihr hier doch recht eigentlich um den Tanz zweier Schneeflocken („Two Snowflakes“) gelegen. Von denen will im Sommer nun aber wirklich niemand etwas wissen! Ganz im Gegensatz zu „Me or You“, einem hochenergetischen Gute-Laune-Titel, der zwischen Lenny-White-Groove und dezentem Latino-Beat mäandert. Genau so etwas braucht jede zur Langeweile verdammte Sommerparty, um die Gäste von ihren Stühlen zu reißen und die Tanzfläche zum Kochen zu bringen!
Im Großen und Ganzen aber wird The Moon On My Doorstep von der minimalistischen Form dominiert, die auch auf „Island“, einem weiteren Zwiegesang von Stimme und Bass, das Zepter fest in der Hand hält und damit an zerbrechliche Pop-Poetinnen wie Fiona Apple, Feist oder Ani DiFranco ohne Gitarre gemahnt, wobei die leichte Pentatonik des Refrains auch aus dem Repertoire der Medicine Music von Bobby McFerrin entstammen könnte: Slow Music at it’s best, die eine ähnliche Wirkung verströmt wie die Entschleunigungskonzerte Peter Reimers. Von neuer Kraft beseelt schwingt sich „Perfectly Lazy“ auf zu einem Abgesang an den neuzeitlichen Wellness-Stress mitsamt seiner pseudoreligiösen Heilsversprechen, ob diese nun in kräuterstempelangereicherten ayurvedischen Massagen, patschuligeschwängerten Spabesuchen oder Feng-Shui-inspirierten Yogastunden gesucht werden. Die Konklusion? Lieber mit Wein und Zigaretten der ultimativen Faulheit frönen! Neben diesem sympathischen Motto beweist Knaus hier en passant, dass Scat-Gesang keine Hochleistungsakrobatik sein muss, sondern auch in relaxter Slacker-Manier funktioniert.
Es hätte nicht Not getan, mit „Windows Facing West“ noch ein Stück zu bringen, das als einziges der Platte die Grenze zum Kitsch streift, erinnert der Refrain doch ungut an den 1977er Schmachtfetzen „My Heart Belongs To Me“ der Streisand. Einzig die zurückhaltende Instrumentierung, sprich: der Verzicht auf Genre-immanenten Streicheroverkill, bewahrt hier vor dem Abkippen ins Musicalhafte – und natürlich Knaus‘ unaufgeregte Stimme selbst, die vermutlich sogar Schnulzen wie die oben genannte singen könnte, ohne dass sich einem die Fußnägel aufrollen. Nichtsdestoweniger hätte ich mir einen Ausklang, der dieser ansonsten rundum wunderbaren Platte gerechter wird, gewünscht, mit einer Andeutung von Groove und einem Bass, der Tiefe gibt – eben all den guten Zutaten, aus denen die übrigen zehn Songs gemacht sind.