Mai 2016 / Victoriah Szirmai
Müsste ich mich jetzt schon auf ein musikalisches Motto für 2016 festlegen, es wäre die Zweierbeziehung. Schließlich begann das Jahr schon mit egopushers eindrucksvollem Dialog von Geige und Schlagzeug im Zeichen des Duos, zelebrierte den Valentinstag Glücklich zu zweit und brachte die stürmische Welt dank Teddy Thompson & Kelly Jones im April einmal mehr durch traute Zweisamkeit in Ordnung. Den diesjährigen Duetten scheint dabei eine intensive menschliche Beziehung zugrunde zu liegen, die sich künstlerisch manifestiert.
Um Künstlerfreundschaften – eine deutsch-italienische und die zweier Wahlberliner mit ungarischen respektive polnischen Wurzeln – geht es auch in dieser Ausgabe, die sich zum einen der langjährigen Beziehung zwischen dem Elektro-Akustik-Sounddesigner Teho Teardo, seines Zeichens Meathead-Gründer sowie Komponist zahlreicher Filmmusiken, und dem Einstürzende Neubauten-Gründungsmitglied und ehemaligen Nick Cave and the Bad Seeds-Gitarristen Blixa Bargeld annimmt, sowie zum anderen der ganz frischen Zusammenarbeit zwischen Poems for Laila-Mastermind Nikolai Tomás und Dark-Folk-Akkordeonistin Joanna Gemma Auguri, die die Berliner Kultband erstmals als Duo auferstehen lassen.
Nachdem Bargeld und Teardo 2013 mit Still Smiling, das übrigens eine großartige Version des Tiger-Lilies-Stücks „Alone With The Moon“ enthält, ihr Duodebüt gaben, sorgen sie jetzt für Nachschub ihrer kammerelektronischen Ambientklänge. Nerissimo – benannt nach dem italienischen Superlativ für schwarz – beginnt mit Teardos programmatischer, Streicher-untermalter Sprechgesangsode an alle Farben des Regenbogens, die in Schwarz enthalten sind, genauso wie „so much blackness/in my repertoire/a lot of shadows/in my arsenal“. Dunkel und tief dank omnipräsenter Bassklarinette geht es auch auf „DHX 2“ zu, einem Stück, das eigentlich auf die Theaterbühne gehört, wo es scheinwerferhell die großen Menschheitsthemen zwischen Vergänglichkeit und Hoffnung („hope should be a controlled substance“) beleuchtet. Gut möglich, dass der gleichnamige Fahrraddämpfer für den Titel Pate gestanden hat, denn musikalisch spielen Gedämpftheit und Langsamkeit die Hauptrollen.
Auch auf „Ich bin dabei“ ist es „ewig schon November“, alles „grau in grau“ und „ganz tief unten“. Andrea Schröders klanggewordenes Spätjahr ist hier nicht fern; und nicht zuletzt erinnert die Dringlichkeit von Bargelds repetitiven Zeilen an Thomas D.s atemloses Oh Baby, bitte bitte lauf lauf/Gib nicht auf/Ich hab‘ dich vermisst/Es fressen mich Dämonen auf, wenn du nicht bei mir bist-Flehen, das er gemeinsam mit Franka Potente 1998 auf den Lola Rennt-Soundtrack gebannt hat, während die Inthronisierungsszene Rio Reisers „König von Deutschland“ evoziert. Ohnehin ist es das Spiel mit den Verweisen, das Bargeld und Teardo auf Nerissimo zur Meisterschaft gerät. Allein das Cover, das dem 1533er-Doppelportrait „Die Gesandten“ von Hans Holbein dem Jüngeren nachempfunden wurde, ist dank der versammelten Attribute, wie den astronomischen und mathematischen Messinstrumenten oder dem Gesangsbuch, ein einziger Referenzenrausch.
Vordergründig kommt der Musik vor allem eine unterstützende Funktion zu, die jede Textzeile zu einem eindringlichen Postulat werden lässt, beispielsweise, wenn auf „The Beast“ die Auflehnung der individuellen Kreatur gegen das Schicksal, der Sieg über die Vergänglichkeit besungen wird, den man für ein höheres Ziel zu erringen trachtet. Nicht minder inbrünstig Bargelds bassklarinettenuntermalte Zeilen auf „Animelle“, die ihre Spannung aus dem Antonympaar „Komm komm bleib bleib/Vieni vieni stai stai“ schöpfen und darauf ein surreal-illusorisches Traumszenario erbauen, intensiviert noch durch Teardos eindringliches Flüstern. Antworten indessen gibt das Duo nicht, schon gar keine einfachen. So etwa lässt das Miniaturdrama „Ulgæ“, das Bargeld und Teardo eine „Mikro-Biologische Oper“ nennen, mit dem Entschwinden der Helden in eine ungewisse Zukunft alle Fragen offen. Auf „Nirgendheim“ sorgen Streicher für Hitchcockesken Grusel, während die tiefe, aber immerweiche Stimme Bargelds, der man bedingungslos vertrauen, an die man sich rückhaltlos anlehnen möchte, mit Zeilen wie „das Jahr liegt in den letzten Zügen/ist im Winter angelangt“ düstere Visionen zeichnet, derer zum Trotz man ihm sofort in ein unbestimmtes „Wo auch immer“ folgen möchte.
„Give Me“ zeigt noch einmal das gesamte Spektrum eines Albums, das irgendwo zwischen Post Industrial, Avant Garde Rock, Experimental Noise und Spoken Word seinen ganz eigenen, immer dringlichen, ich bin versucht zu sagen: letztendlich doch relevanten Klangkosmos kreiert. Müsste man diesen auf ein Begriffspaar reduzieren, geriete „Dark Ambient“ in die engere Wahl, ohne der Klanggesamtheit jedoch nur im Mindesten gerecht werden zu können. Der Kreis schließt sich mit der italienischsprachigen Reprise des Titeltracks, der im Verbund mit den Instrumenten nichts als ein einziges Zelebrieren der Langsamkeit zu sein scheint und einmal mehr den Eindruck des Gesamtkunstwerks aufdrängt. Die schwärzeste Schwärze hat viele Facetten, die, einmal beim Namen genannt, Geistererscheinungen gleich gebannt werden können und das aus der Düsternis erwachsende Licht umso heller strahlen lassen.
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Teho Teardo und Blixa Bargeld – Nerissimo
Auf ganz andere Weise hoffnungsfroh macht Tiktak. Mit ausgemachtem LoFi-Instrumentarium, bestehend aus alter Zirkustrommel, Akkordeon, Gitarren, Loop-Station und allerlei anderen Spielereien, steigt Nikolai Tomás, den langjährige fairaudio-Leser nicht zuletzt als Krispin-Produzenten erinnern, mit „Dream“ in dylanesker Singer/Songwritermanier ins Album ein, vokal sekundiert von Joanna Gemma Auguri. Das klingt dann so freundlich, so positiv, so erhebend, dabei aber auch so ach und so weh, dass man nicht weiß, ob einem jetzt ganz warm oder ganz wund ums Herz werden soll.
Dafür, dass sich diese Frage zugunsten der erstgenannten Option entscheiden soll, sorgt der beschwingte Titeltrack. Auch hier bezaubert die symbiotische Harmonie dieser beiden Stimmen, die sich gesucht und gefunden zu haben scheinen. Da passt es, dass sie auf „The Water“ eine hauchreiche Where The Wild Roses Grow-Reminiszenz zum Besten geben, die sich nicht hinter Kylie und Nick zu verstecken braucht. So ätherisch dieses Stück war, so erdig kommt das stampfend seinem Namen trotzende „Spaceship“ daher, während „The Wood Man Song“, die einzige Komposition Auguris auf diesem ansonsten in Tomás’scher Alleinregie geschriebenen Album, osteuropäische Akkordeon-Schwermut à la Laura Wetzler aufkommen lässt. Dem schließt sich „Kiss Me“ als behutsamer Türöffner an, der mit filigranem Fingerpicking, seraphischen Vokalharmonien und intimen Flüsterstrophen Ingredienzien eines Torch-Duettes in sich vereint, dabei aber vor allem durch völlige Abwesenheit von Kitsch glänzt.
Mit seinem On-the-Road-Rhythmus vermittelt „Remember Me“ getriebene Rastlosigkeit, während die fiebrig wütenden Worte von „F*?!ers“ solange von einem nachgerade zärtlichem Fingerpicking konterkariert werden, bis dem Ganzen nach knapp drei Minuten der Strom angestellt wird und es sich kurzzeitig in ein elektrifiziertes Protestepos verwandelt, das seinen Titel, der im Original ausgeschrieben ist, verdient. Die sich die meiste Zeit dezent im Hintergrund haltende Auguri übernimmt erst beim klavierbegleiteten „Broken Chimney“ wieder die musikalische Federführung – und verzückt mit knuffig-charmantem Spieluhrcharakter, den man sonst eher auf der Varietébühne erwartet.
Fast noch lieber aber lauscht man dem Sechsminüter „Love Has Gone“, einem schmeichelnd-wehmütigen Torch-Song Tomás-scher Provenienz, der gern ewig währen könnte. Doch bevor man in den Händen des unverbesserlichen Romantikers endgültig wachsgleich zu zerfließen droht, setzt dieses Singer/Songwriter-Folk-Blues-Chanson-Polkapop-Album mit „Terrible Guy“ einen leichtfüßigen Schlusspunkt, der alle Wehmut vergessen macht und mit Zuversicht erfüllt. Immer wieder ist es eine Freude, wenn jemand das Prinzip der Albumdramaturgie so gut verstanden hat!
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Poems For Laila – Tiktak