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Offpiste Gurus – In Case Of Fire | Kalle Kalima – High Noon

Mai 2016 / Victoriah Szirmai

Meine heutige Kolumne entführt Sie gen Norden – in den direkt benachbarten mit den dänischen Offpiste Gurus und in den etwas höheren mit dem finnischen Impro-Jazz-Gitarristen Kalle Kalima, der uns letzten Frühsommer im Verbund mit Jimi Tenor und Joonas Riippa noch als einer der Tenors of Kalma über den Weg lief. Und während sich das dänische Duo – Sängerin Trinelise Væring und ihr saxophonspielender Ehemann Fredrik Lundin – lyrisch-pointiertem Jazz’n’Roll hingibt, geht es Kalima mit seiner Berliner Rhythmusgruppe gezähmter an und überrascht mit einem tiefenentspannten Countryjazzalbum.

Offpiste Gurus | In Case Of Fire Cover

In Case Of Fire der Offpiste Gurus wurde schon letzten November veröffentlicht, rückt aber erst jetzt so richtig in den Fokus der indiejazzaffinen Öffentlichkeit – dafür aber so richtig. Sich überschlagende Kritiken bescheinigen dem Duo, „faszinierend schräg und doch eingängig“ (Jazzthetik) und „as cool as a Danish Rickie Lee Jones“ (Politiken) zu sein – oder schlicht „ein Geniestreich“ (Nordische Musik). Mal im intimen Dialog aus Værings Poesie und Lundins Tenorsaxofon wie beim Opener „Nickname And Shoe Size“, mal reicher orchestriert wie beim überschäumenden „Wouldn’t Be The First Time“, das mit seiner vollen Bläsersektion, dem High-Speed-Kopfnicker-Groove und den sich überschlagenden Vocals an den Freak Folk einer Regina Spektor erinnert, kommt In Case Of Fire erfrischend anders als alles in letzter Zeit Gehörte daher. „When Pigs Fly“, das sich, flankiert von Værings Banjoklängen, im behäbig-wollüstigen Tom-Waits-Groove auf dicken Saxpfoten herantatzt, versetzt das Ganze ein gehöriges Stück in Richtung Nordic Americana – ein Genre, das sich um Protagonisten wie Bring The Mourning On, Thilda Persson oder Christian Kjellvander im Zuge der Neo-Folk-Bewegung herausgebildet und spätestens, seitdem der Focus über die Folkrocker von Holmes mit den Worten „Neil Young auf Schwedisch“ aufmachte, auch hierzulande im breiteren Bewusstsein verankert hat. So oder so: Ein Lieblingsstück!

Offpiste Gurus | In Case Of Fire 1.1

Sehr fein auch Værings Erzählung über die trickreiche Dame, die in „Accidentally On Purpose“ dem Angebeteten in einem mit Vorsatz einfach so angezogenen sexy Kleid genau dann auflauert, wenn dieser aus heiterem Himmel zur üblichen Stunde dort auftaucht, wo sie ganz zufällig mit Absicht auch ist. Fernöstliche Streicheranklänge gibt’s auf dem nachgerade idyllisch anmutenden Titeltrack, dessen getragene Stimmung in „One And Lonely“ Fortsetzung und Steigerung findet. Aus der Lethargie reißt erst Lundins stacheliges Saxophon auf „Are You One Of Those Guys?“, unterlegt von einem Early-Sixties-Beat, der kurzerhand nach Liverpool entführt. Und dann ist da wieder dieser pointierte Saxophonton auf „Big Girl“, der alles andere – und das schließt die Vokalistin mit ein – vergessen macht. Im Liedverlauf wird aber auch hier deutlich, dass es der Dialog zwischen Lundins Saxophonen und Værings Stimme ist, der In Case Of Fire zu der außergewöhnlichen Platte macht, die sie ist.

Offpiste Gurus | In Case Of Fire 1.3

Das alarmierende „Trip To The Moon“ wiederum fühlt sich an, als wäre hier eine Bigband am Werke, während sich die selbstvergessene Banjoballade „Submarine“ als Haupt-Arie einer imaginären Singer/Songwriter-Oper präsentiert. Die größte Stärke aber entwickeln die Gurus bei Stücken, wie auch das albumschließende „Love Is An Old Toyota“ eines ist: Bestechender Bläsersatz trifft auf sinnlichen Groove und eine Stimme, die irgendwo zwischen schnodderig und verletzlich, zwischen Göre und Lady changiert, getoppt von einem Text, der gleichzeitig amüsant und weise seine heitere Gelassenheit gern an den Hörer weitergibt. Eine Entdeckung!

Kalle Kalima | High Noon Cover

Apropos Scandinavian Americana: Mit High Noon hat Kalle Kalima dem angesagten Genre gleich ein ganzes Album gewidmet, das sich beim Eröffnungs-Traditional „Santy Anno“ mit dem butterweichem Kontrabass Greg Cohens und dem sanft-hypnotischen Groove Max Andrzejewskis behutsam in die Gehörgänge schmeichelt, während Kalimas Gitarre gently dazu weept, und das bar jeglicher Ironie. Das wild-anarchistische Halunkentum, das den Finnen üblicherweise umweht, scheint weit entfernt (oder zumindest gut verborgen), wenn sich Kalimas Berliner Trio eines einschlägigen Country&Western-Repertoires annimmt, das hier oft aus den Filmmusiken Dimitri Tiomkins schöpft, dessen wohl berühmtester Komposition zu Fred Zinnemanns 1952er-Western die Platte auch ihren Titel verdankt.

Doch schon gegen Ende des dritten Stücks gehen die bis dato mühsam gezähmten Gäule mit den dreien durch, sodass der Hörer sich versichert fühlen kann: Ja, High Noon ist eine Kalle-Kalima-Platte, wie man sie kennt, gesetzes- aber wundersamerweise keinesfalls respektlos. Kalima dekonstruiert nicht, stellt nicht bloß, sondern huldigt in konzeptioneller Dichte vielmehr seiner tiefen Liebe zur „Atmosphäre des Road-Songs, die mir als großem Tom-Waits-Fan sofort gefallen hat. Country-artiges“, so der Gitarrist, „passt wie der Tango zur finnischen Mentalität“. Der zollt er mit dem Sibelius’schen „Jääkärimarssi“ Tribut, welcher hier allerdings seines Marschrhythmus’ und damit nicht zuletzt seines patriotischen Gedankenguts derart verlustig gegangen ist, dass man Kalimas Interpretation schon fast als subversive Friedensstiftung verstehen kann. Musikalisch zeichnet sich High Noon durch die Abwesenheit von Kitsch in einem eigentlich per definitionem kitschigen Genre aus. Vielmehr kreiert das Trio einen zurückgelehnten, entkrampften, nachgerade lässigen Klangfluss.

alle Kalima | High Noon 2.2

So könnte auch die relaxte Szenerie des Titeltracks glatt am Lagerfeuer spielen, wiese sie nicht so viel produktionstechnische Raffinesse auf, für die Klaus-Doldinger-Produzent und ACT-Labelgründer Siggi Loch höchstpersönlich verantwortlich zeichnet, während für Aufnahme und Mix Klaus Scheuermann zuständig war, der schon 2011 das Album Sex gegen Essen von Kalimas dadaistisch-royaler Electrojazzpunkkapelle Uuh! gemastert hat. Auch aus Marty Robbins’ Tex-Mex-Grenzgebiets-Saga „El Paso“ hat Kalimas Trio zum Zwecke der Tiefenentspannung erst einmal das Tempo rausgenommen. Unerwartet nahtlos in diesen legeren Flow fügt sich das Geheiligte aus Leonard Cohens „Hallelujah“, um sich gleich wieder im unsteten Unterwegs-Rhythmus von „Little Joe The Wrangler“ aufzulösen, diesem 1908 von N. Howard „Jack“ Thorp geschriebenen Klassiker, der als einer der Top 100 Western Songs aller Zeiten gilt.

alle Kalima | High Noon 2.3

Tiefe Melancholie zieht auf, wenn das Trio Michael Carrs „Man of Mystery“ interpretiert und damit gleichzeitig der 2007 populär gewordenen Alternative/Prog-Rock-Version von Muse eine geballte Ladung musikalisches Fingerspitzengefühl entgegensetzt. Dieses trägt auch durch die folgenden Tiomkin-Kompositionen, bis mit „South Of The Border“ ein weiteres Michael-Carr-Stück dieses Album schließt, dessen vorrangige Leistung darin besteht, nicht den einfachen Weg der ironischen Brechung seines Materials zu gehen, sondern ihm seinen zustehenden Respekt zu zollen, ohne auch nur eine Sekunde langweilig zu sein.

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