Februar 2017 / Victoriah Szirmai
Manchmal braucht man sie einfach – Platten im guten, alten Motown-Stil, ob von Mayer Hawthorne, Ben L’Oncle Soul oder Allen Stone. Zur illustren Riege der jungen Edel-Crooner gesellt sich auch der 1973 geborene Brite Tony Momrelle. Dieser war schon im Jahr 2004 als Sänger der Lungau Big Band für einen Amadeus Austrian Music Award nominiert, ist seit dreizehn Jahren Leadsänger der britischen Acid Jazz-Heroen Incognito, und diesjahr erst stand er solo im Vorprogramm für drei Konzerte von Earth, Wind & Fire auf der Bühne. Diese hatte Momrelle vor allem seinem 2015er-Album Keep Pushing zu verdanken, das jetzt ergänzt um drei neue Titel in der Luxusvariante vorliegt.
Der titelgebende Opener erinnert mit seinem prägnanten Piano-Groove an Stevie Wonders „Living For The City“, könnte sich ohne Schwierigkeiten aber auch auf jeder Jamiroquai-Platte wiederfinden. Ein moderner Klassiker, der einzig durch den (gleichwohl verzichtbaren!) Gastauftritt des Brooklyner Rappers Talib Kweli in der Jetztzeit zu verorten ist. Das rollende „Pick Me Up“ wartet mit bläsersatzunterlegter Partyatmosphäre auf, bis der Refrain Bobby Womack aus When The Weekend Comes-Zeiten auferstehen lässt, alldieweil seine letzten Melodiebögen von Marvin Gayes „Sexual Healing“ mehr als nur inspiriert sein dürften.
„Back Together Again“ mit Chantae Cann entführt direkt in synthieblubbernde Achtigerjahre-Welten. Konkret erinnert das Duett an „Saturday Love“ von Alexander O’Neal & Cherrelle, dabei handelt es sich tatsächlich um ein Remake eines ursprünglich für Roberta Flack & Donny Hathaway geschriebenen Songs. Balladen wie „It’s Real“ oder „Remember“ dagegen gemahnen an die Soul-Crooner der frühen Neunzigerjahre Brian McKnight’scher Provenienz. Und so geht es immer weiter, alles scheint man schon einmal gehört zu haben, alles fühlt sich seltsam vertraut an. Genau das aber macht die Stärke dieser Platte aus, deren stampfende Beats sich perfekt für die tanzanimierende Beschallung von Silvester- und Geburtstagsfeiern eignen.
Wer dagegen auf Brit-Soul à la Des’ree steht, wird mit „Different Street“, das durch das Saitenspiel des britischen Jazzfunk-Gitarristen Tony Remy besticht, glücklich – es weicht zwar vom restlichen Party-Stil der Platte ab, ist aber nichtsdestotrotz (oder gerade deshalb) das wohl substanziellste, ich wage zu behaupten: schönste Stück der Platte, das auch abseits des Albumkontexts Eingang in viele Playlists finden wird. Auch der erste Bonustrack, das indiebritsoulige „All I Need“, scheint eher dem Erbe von Platten wie Seals IV zu huldigen, bevor die beiden letzten Bonustracks die Luxusscheibe wieder auf partytaugliche Stampf-Soul-Pfade zurückführen und selbst dem winzigsten Anflug von Melancholie nicht die geringste Chance lassen.
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Nur sieben Tracks kurz ist das neue Album des Brightoner Saxophonisten und Flötisten Chip Wickham – aber die haben es in sich! La Sombra vereint Sechziger- & Siebzigerjahre-Vintage Grooves mit einer derart seelenvollen Atmosphäre, dass klar wird, weshalb die Briten Brighton auch als ihre „unofficial capital of all things soulful“ bezeichnen, will man Wickhams Homepage Glauben schenken. Den Auftakt macht das tiefenentspannt-spirituelle „La Sombra“ selbst, das auch Kind of Blue-Puristen überzeugen dürfte, während das vibraphonlastige „Sling Shot“ ein einziger funky-wabernder Loop zu sein scheint, auf dem Wickham gekonnt leichtfüßig spazieren geht, ohne die Relaxtheit des Titeltracks preiszugeben. Den Spagat zwischen „entspannt“ und „treibend“ bewältigt auch das von heiseren Flötentönen geprägte „Red Planet“ scheinbar mühelos.
Seine Studienjahre, die Wickham in Manchester verbrachte, führten ihn die tief in die Musikszene der regnerischen Stadt. Vor allem HipHop-Kollektive wie Nightmares On Wax übten eine sondergleiche Faszination auf den jungen Mann aus, deren rollende Downbeat-Grooves auf Tracks wie dem luftschnappenden „The Detour“ durchscheinen, während er andererseits seinen persönlichen Helden im Jazz – Roland Kirk, Yuseel Lateef und Harold McNair – mit kontemplativen Noten ein klingendes Denkmal setzt, wie etwa auf „Pushed Too Far“, das sich ruhig und retro in die Gehörgänge groovt.
Weniger meditativ, doch wenn möglich noch langsamer, schmeichelt sich der Saxophonist mit „Tokyo Slow-Mo“ ein, das Soundtrack nächtlicher Großstadtszenerie wie Regen-vor-meinem-Fenster-Märchen gleichermaßen ist, bevor die Platte mit Wickhams aufwühlender Interpretation von „La Leyenda Del Tiempo“ des spanischen Flamenco-Sängers Camarón de la Isla schließt und damit dem Umstand Respekt zollt, dass sie in Madrid mit lokalen Musikern aufgenommen und beim einheimischen Label Lovemonk veröffentlicht wurde, das sich selbst als „small but very sunny and eclectic“ bezeichnet – ganz, wie diese Platte.
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