August 2015 / Victoriah Szirmai
Da hört man von dem Mann erst jahrelang nichts, und dann geht es Schlag auf Schlag: Nach dem bahnbrechenden Live In London von 2009, nach Songs From The Road (2010) und Live In Dublin (2014) folgt mit Can’t Forget: A Souvenir Of The Grand Tour das nunmehr vierte Live-Album Leonard Cohens innerhalb weniger Jahre, ganz zu schweigen von den beiden Studioalben Old Ideas (2012) und Popular Problems (2014).
Indessen würde es der Sache nicht gerecht werden, Can’t Forget mit „Ach, nur ein weiteres Livealbum“ abzutun. Zum einen, weil die Songs Cohens erst live zu jener Form finden, die schon immer in ihnen angelegt war, jedoch im Studio aus welchen Gründen auch immer noch nicht vollends entfaltet werden konnte. Live in London war in dieser Hinsicht – ja, ich bin in Sachen Cohen eine Spätberufene – mein ganz persönliches Erweckungserlebnis: Was auf den Studioaufnahmen so manches Mal klingt, dass sich zumindest in Ansätzen nachvollziehen lässt, weshalb Kritiker den Kanadier gern als „singende Schlaftablette“ verspotten, verwandelt sich live vollkommen. Ganz der Hohepriesterspross, der er ist, gelingt es Cohen, die seinen Texten innewohnende Mystik auf der Bühne auch in Musik zu übersetzen. Statt eines simplen Konzertes versteht es Cohen, einen regelrechten Gottesdienst zu zelebrieren und die Gemeinde zu verzücken. Es ist die pure Magie. So auch hier, und das, obwohl die geheiligtsten seiner Lieder, „Hallelujah“ und „If It Be Your Will“, auf Can’t Forget nicht zu hören sind.
Das zwischen August 2012 und Dezember 2013 während der Old Ideas World Tour aufgenommene Album setzt vielmehr auf Seltenes und Unveröffentlichtes. So präsentiert sich der Grandseigneur der existenziell-spirituellen Schwermut gleich beim Einstieg „Field Commander Cohen“ ungewohnt locker beim Soundcheck mit seinen Musikern. Ein anderes Soundcheck-Schmankerl ist der Blues „Never Gave Nobody Trouble“, eine ebenso brandneue Cohen-Komposition wie das synthielastige „Got A Little Secret“. Sammelt der Altmeister hier etwa Material für ein neues Studioalbum? Endgültig zum pophistorischen Dokument wird Can’t Forget dann durch La Manic des frankokanadischen Künstlers Georges Dor und Choices von Country-Genie George Jones – zwei erstmals von Cohen aufgenommene Coverversionen, die gleichzeitig einen Einblick in den privaten Musikgeschmack des der Presse gegenüber so Schweigsamen bieten.
Can’t Forget jedenfalls mag stellenweise fiedeln, gar schmalzen – doch erweist sich der mittlerweile einundachtzigjährige Cohen hier einmal mehr als wahrer Bezwinger des Sechsachteltaktes bei gleichzeitigem Verweis der jungen Konkurrenz auf ihre Plätze.
Dabei steht die schon in den Startlöchern. In Sachen ‚sophisticated Storytelling‘ macht der schottischen Folksängerin Rachel Sermanni keiner so leicht etwas vor. Zum Schreiben von Tied To The Moon, dem Nachfolger ihres vielgelobten Folk-Noir-Debüts Under Mountain, zog sich die Dreiundzwanzigjährige in die kanadische Provinz zurück, wo innerhalb von nur vier Tagen ein Teil ihrer neuen Platte entstand. Und die ist alles andere als Spiegel von provinzieller Stille und Abgeschiedenheit! Wenn das Etikett „Folk-Rock“ je seine Berechtigung hatte, dann hier.
Hörer, denen die letzte Platte von Meg Baird zu ruhig war, die dem Genre aber prinzipiell positiv zugewandt sind, könnten hier ihre ganz große Sommerliebe finden. Was nicht heißen soll, dass Sermanni die zarten Töne nicht auch beherrscht. Bestes Beispiel: „Old Lady’s Lament“. Fast noch besseres Beispiel: „Don’t Fade“. Im Allgemeinen aber prescht Tied To The Moon nach vorn, nicht zuletzt geschuldet dem Produzent Colin MacLeod aka The Boy Who Trapped The Sun, der für die charmant unperfekten Aufnahmen nicht nur sein Wohnzimmer in den Highlands zur Verfügung gestellt, sondern mit Jennifer Austin an Klavier, Orgel und Backing Vocals, Gordon Skene an Cello und Bass, Louis Linklater am Schlagzeug, Jane Hepburn an der Fiddle sowie Nicola und Fiona vom MacLeod-Clan an den Background Vocals auch noch eine amtliche Band auf die Platte geladen hat.
Die klingt dann mal nach Billie-Holiday-goes-Bad-Seeds, mal nach einem Tom-Waits-Walz oder auch dem artifiziellen Pathos eines Elvis Costello. In sich gekehrte Solonummern wechseln sich mit reicher Orchestrierung ab, etwa, wenn MacLeod, der hier alle Gitarren spielt, auf „Tractor“ die Marc-Ribot-Gedächtnisklampfe auspackt. Absolutes Highlight des Albums ist das großartige „I’ve Got A Girl“, das mit seinen düsteren Elektrosounds an Kira in ihren besten Momenten erinnert. Ein weiterer Liebling ist „Ferryman“, der sich auf keiner Lasse-Matthiessen-Platte verstecken müsste, gleichzeitig aber auch die Klangwelt von The Cures „Lullaby“ evoziert. Schön auch der offene Abschluss durch das stoische, einen zunehmenden Sog entfaltende „This Love“. Einzig vom allzu Americana-getränkten „Banks Are Broken“ bin ich nicht ganz überzeugt. Geschmackssache? Wer in Berlin, Hamburg, Köln oder München wohnt, kann sich im September selbst ein Bild machen.