Pristine – Ninja
Ein Segen und Fluch zugleich können genreprägende Bands für andere Formationen sein, beispielsweise die Blues Pills für ihre norwegischen Kollegen Pristine. Einerseits kann sich Pristine darüber freuen, dass die medial ungeheuer präsenten schwedischen Kollegen den Weg dafür bereitet haben, dass sich eine breite Öffentlichkeit wieder dem bluesgetränkten, klassischen 70er-Jahre-orientieren Rock zuwendet. Gleichzeitig funktionieren die Gesetze öffentlicher Aufmerksamkeit nicht unbedingt so, dass jene gleichberechtigt zum Zug kommen, die eigentlich schon länger da waren.
Und das war Pristine um die charismatische Sängerin Heidi Solheim, die nach zwei nur in ihrem Heimatland erhältlichen Alben nun bei Nuclear Blast ihre zweite internationale Scheibe Ninja vorlegen. Die Verbindungen zu den Blues Pills reichen weit darüber hinaus, dass Pristine jüngst als deren Opener aufgetreten ist. Wie Elin Larsson zieht auch Pristines Frontfrau Heidi Solheim – sie allerdings mit flammend roter Mähne (die zugleich gewissermaßen den roten Faden des Booklets bildet) – alle Aufmerksamkeit auf sich; sie ist unbestritten der Kopf der Band, zeichnet für Text und Musik verantwortlich und arbeitet die Arrangements aus. Gleichzeitig lässt sie ihren männlichen Kollegen, insbesondere dem famosen und versierten Gitarristen Espen Elverum Jakobsen, genügend Raum, um sich einzubringen.
Ihre im Vergleich zu der blonden Schwedin höher liegende Stimme setzt Heidi Solheim auf der an einem einzigen Tag zusammen live im Studio eingespielten und dann nur noch durch dezente Overdubs ausgeschmückten neuen Platte nicht nur variabler und der jeweiligen Atmosphäre noch präziser angepasst ein, sondern sie verfügt über eine deutlich breitere Ausdruckspalette. Die Nordnorwegerin kann Rockröhre („The Rebel Song“) sein, in gospelnaher Klage (Bonustrack „Ocean“) versinken, schmeichelhafte Singer-Songwriter-Sanftheit zelebrieren („Forget“) oder ihre Stimme in souliger Leidenschaft absichtlich und stilistisch bewusst nach oben oder unten ausbrechen lassen: großes Ohrenkino und gesanglich ein deutlicher Fortschritt gegenüber den ersten beiden Alben!
Ninja bietet insgesamt keine großen Überraschungen; es ist eher ein Album, das Stil und Richtung von Pristine festigt und vielleicht die Grundlage für zukünftige Experimente bildet, in denen die Gruppe womöglich an ihre variantenreichen, luftigen und verspielten ersten Alben anschließt. Die großen Kostbarkeiten von Ninja – und davon gibt es unzählige! – liegen eher im Detail, in den Arrangements und auch darin, dass die Band im Rahmen der Retrorock-Klangwelt feine Justierungen vornimmt. Klar, an das zuweilen plastikähnlich zischelnde Schlagzeug muss man sich gewöhnen, allerdings ist es hier schon deutlich kraftvoller eingesetzt als auf der Vorgängerplatte Reboot. Ganz wunderbar aber ist der klangfarbliche und primär rhythmisch orientierte Einsatz der prägenden Hammondorgel (großartig verschwurbelt in „Jekyll & Hyde“) mit ihrem röhrend-raspelnden Geschrei. Pristine decken hier eine breite Bandbreite zwischen bluesigem Retrorock, Souleinflüssen, Funkanteilen, psychedelischen Gitarrenausflügen und gospeligen Background-Vocals ab. Faszinierend ist vor allem, dass sich die Stimmung in den Mittelteilen der Songs oft ändert und ganz andere, nicht selten soulige und psychedelische Klangwelten aufgesucht werden, die im grandiosen „Jekyll & Hyde“ fein ausgebaut sind, vor allem dank des exzellenten Gitarristen. Live sind Pristine eine Wucht, das zeigen die beiden mitreißenden Live-Tracks am Schluss („California“ und „No Regret“), die Vorfreude aufs nächste Konzert schüren.
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Joe Bonamassa – Live at Carnegie Hall. Acoustic Evening
Erstaunlicherweise gehörte der live in der Wiener Staatsoper aufgenommene Akustik-Gig des derzeit von einigen als Bluesheros hochverehrten Joe Bonamassa zu den erfolgreichsten Veröffentlichungen in dessen reich bestückter Diskographie. Das ist nicht leicht zu verstehen: Da gilt einer als technisch umwerfend virtuoser Saitenhexer, der seinen unzähligen Gitarren blitzsaubere Soli entlockt, und dann hat er mit Unplugged-Konzerten größten Erfolg, in denen genau diese Showstopper notwendigerweise wegfallen. Das nun bei Provogue als Doppel-CD, Doppel-DVD (samt empfehlenswertem Bonus) sowie weiteren Formaten vorgelegte Live at Carnegie Hall – Acoustic Evening nimmt den Faden der Wiener Erfolgsplatte wieder auf.
Bonamassa hat sich am 21. und 22. Januar 2016 wiederum in einen Musentempel begeben und es geht ebenso luxuriös zu. Geboten wird Luxusblues in exquisiter Umgebung. Passend dazu die Kleiderwahl der drei (klanglich herausragenden) australischen Backgroundsänger, deren hochwertige Aufmachung von erdiger Bluesatmosphäre so weit entfernt ist wie die edlen Stoffe der vier Mädels bei ihrem Wüstenbesuch in Sex and the City 2 von traditionellen arabischen Gewändern. Man ist eben in Manhattan. Das Publikum ist gesittet und lässt sich höchstens zum Mitklatschen (in „Get Back My Tomorrow“) verleiten.
Exzellent und von edelster Qualität ist indes auch, was Joe Bonamassa mit Band abliefert. Der erste Teil steigert sich kontinuierlich und setzt mit „Mountain Time“ genau an der richtigen Stelle eine zurückgenommene, aber höchst intensive Nummer.
Heimliche Stars des Abends sind neben dem gesanglich mittlerweile erstaunlich reifen und gefestigten Bonamassa vor allem die Tastenlegende Reese Wynans am Klavier sowie die Cellistin Tinao Guo, die mit dem traditionellen chinesischen Saiteninstrument Erhu exotische Klangfarben einstreut; das gilt ebenso für den ägyptischen Percussionisten Hossam Ramzy, während Multiinstrumentalist Eric Bazilian unter anderem mit Banjo, Gitarre und Saxophon variable klangliche Kontrapunkte setzt. Joe Bonamassa ist hier nicht der herausragende Star, sondern Stimme und Gitarren (die er natürlich öfters wechselt, jeder Song braucht eine andere Klangfarbe) sind in das akustische Set harmonisch integriert. So erscheinen Klassiker wie „Dusk Bowl“ oder „Black Lung Heartache“ sowie einige Songs der letzten Studioplatte Blues of Desperation in anderem Licht. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine ganze Reihe von Bonamassas Songs genug Substanz hat und auch ohne imposante Soli faszinieren kann.
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The Magpie Salute – The Magpie Salute
Ade schwarzer Rabe, sei gegrüßt, diebische Elster! Es muss dem Gitarristen Rich Robinson, neben seinem Bruder Chris ehemals führender Kopf von The Black Crowes, in der Tat eine diebische Freude gewesen sein, im Rahmen der vor ausgewähltem Publikum im Studio aufgezeichneten Woodstock Sessions eine Schar Gleichgesinnter als neue Band The Magpie Salute um sich zu versammeln. Das gleichnamige Debüt-Album, ein klangliches Schmuckstück sondergleichen, führt mit Marc Ford und Rich Robinson die beste Gitarristen-Kombination der Schwarzen Raben samt weiteren früheren Mitgliedern zusammen; hinzu kommt mit Nico Bereciartua gleich ein dritter Gitarrist.
Vervollständigt wird die groß besetzte, feste Combo, aus der mittlerweile der Keyboarder Eddie Harsch ausgeschieden ist (er starb kurze Zeit nach den Aufnahmen) um den exzellenten Drummer Joe Magistro, den zweiten Tastenmann Matt Slocum, Sven Pipien am Bass, den Sänger John Hogg (mit dem Druck eines Glenn Hughes) und drei Backgroundsängerinnen. Dass fast ein Dutzend Musiker auf der Bühne stand, hört man kaum, weil sich die Gitarristen die Bälle leichtfüßig zuspielen und der Sound nie dick oder klebrig wird, ganz im Gegenteil: Das bis auf den ersten Song „Omission“ (der ohne Publikum im Studio aufgenommen wurde) aus Cover-Songs bestehende Album ist eine Pracht lässig zurückgelehnter Improvisationsstrecken in ausgelassenster Spielfreude, in denen Erinnerungen an Perlen früherer Jam-Bands wachgerufen werden. The Magpie Salute ist auf dem besten Weg, deren Erbe anzutreten.
Es ist zum glückseligen Abheben, wie locker sich Double-Lead-Gitarren in Solostrecken und Dialoge verabschieden, sich unterschiedliche Tastenklänge als geschmackvoll-dezente Filler einschleichen, sonnige Southern-Stimmung (in „What is home“) eingefangen wird, Country-Fäden eingeflochten werden („Comin‘ Home“) oder in „War Drums“ über funky Akkordarbeit ein Feuerwerk an improvisatorischer Laune abgebrannt wird, ehe die Band in Pink Floyds „Fearless“ noch einen Schritt weiter geht als Gov’t Mule bei ihrem Floyd-Tribute-Auftritt. Geht es mit The Magpie Salute so weiter, braucht man das Ende von The Black Crowes nicht weiter zu betrauern.
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