September 2014 / Victoriah Szirmai
Für Aufsehen sorgten die Jungs von Horse Thief erstmals 2011, als sie den Neil-Young-Klassiker „Out on the Weekend“ coverten. Das Original eröffnet Youngs 1972 erschienenes Harvest, das nicht ohne Grund zu den meistgespielten Alben jeder leicht angestaubten väterlichen Plattensammlung zählt. Die Country-Ballade, Inbegriff von allem, was man gemeinhin als „mellow“ bezeichnet, schien auch den ursprünglich aus Texas stammenden Pferdedieben wie geschaffen, die landschaftliche Weite ihrer Wahlheimat Oklahoma zu fassen. Nicht zuletzt rekurriert die erste Zeile auf das Bild des einsamen Mannes, der dem Wahnwitz der Großstadt zu entkommen sucht, was im damaligen Seelenzustand von Horse-Thief-Frontman Cameron Neal seinen Widerhall fand.
Mittlerweile sind Horse Thief nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch musikalisch ganz in ihrer neuen Heimat angekommen. Nachdem sich das Quintett dort unter die Fittiche des Managements der Flaming Lips begeben und bei Bella Union Records unterzeichnet hat, lässt es seinem noch etwas planlos wirkenden, psychedelischen Folkrock-Erstling, der 2013 veröffentlichten EP Go Deep, Go Wild, nun mit Fear In Bliss eine weitaus dezentere, aber vor allem durchdachtere Scheibe folgen, die unter dem wohltuenden Einfluss von Pernice-Brothers-Produzent Thom Monahan entstanden ist. Folkig-warmer, gitarrendominierter Indie-Pop-Rock gibt jetzt den Ton bei Horse Thief an, die sich zwar immer noch an ihren Haupteinflüssen wie den Fleet Foxes oder Grizzly Bear abarbeiten, langsam aber sicher jedoch auch eine eigene künstlerische Identität zu entwickeln beginnen, was nicht zuletzt am hörbar verbesserten Songwriting Neals liegen dürfte.
In erster Linie aber hat der Band der personelle Wechsel gutgetan. Neben Sänger Cameron Neal und Bassist Cody Fowle sind jetzt Gitarrist Alex Coleman, Keyboarder Zach Zeller und Drummer Alberto Roubert mit von der Partie. Die initialen Momente der fünf als Band, die zwischen Angst und Glückseligkeit oszillierten, reflektiert der Titel ihres aktuellen Albums. „Wir wussten“, so Neal, „dass das neue Line-up der richtige Schritt war. Aber man kann auch nie wirklich wissen, wie es letztendlich sein wird, wenn man mit neuen Leuten spielt oder wie das Unterwegssein mit ihnen funktioniert. Es gibt eben einen hohen Unsicherheitsfaktor dabei“. Die Ängste sollten sich als unbegründet erweisen: Allein musikalisch beweist der neu besetzte Fünfer dank knackig-frischer Drumsounds, sonnengeküsster Gitarrenlicks (immerhin wurde das Ganze in L.A. aufgenommen!) und schmeichelnden Harmonien, dass sich das Risiko der Umbesetzung gelohnt hat.
Fear in Bliss, das in limitierter Auflage auch auf Colored Vinyl gepresst wurde, zeigt die Horse-Thief-typischen Psych-Elemente nur noch geschmackssicher als subtile Farbtupfer im Hintergrund, während seine unverwässerten Folk-Momente umso heller scheinen. Dennoch werden mit diesem Folk-Rock, bei dem die Betonung auf „Rock“ liegt, auch jene Hörer glücklich, denen Indie-Folk-Barden wie Bon Iver & Co. zu weinerlich sind. Horse Thief sind keine hipsterbärtetragenden Jungs mit hochgekrempelten Hosenbeinen, die der geringste Windhauch umpustet, vielmehr hat ihre Musik mit den bratzenden Gitarren und den Hau-Drauf-Drums richtiggehend Eier, ist dabei aber dennoch – man denke hier nur an dieses Piano-Pling, mit dem der auf das atmosphärische Intro folgende Opener „I Don’t Mind“ ausklingt! – nachgerade zart. So muss hier auch niemand auf genretypische Weichzeichner wie etwa die harmoniegesättigten Aaaahh-Chöre auf „Human Geographer“, das darüber hinaus durch seinen arpeggierten Breakdown besticht, verzichten.
Der Teufel in „Devil“ scheint auch ein recht umgänglicher Geselle zu sein, der in fröhliche Volksfestmandolinenklänge – einem der Markenzeichen des Bandsounds – gehüllt auf seinem Pferdefuß angehüpft kommt. Indessen hat das Stück, das das erste der neuen Horse-Thief-Besetzung war, weniger mit dem religiös konnotierten Höllenfürsten zu tun, als vielmehr mit dem Kampf des Sängers gegen seine Ängste und Depressionen. Nach dem ebenfalls sehr eingängigen „Holding On“ folgt mit „Already Dead“ die erste Ballade des Albums: ein Zwiegesang von Stimme und Akustikgitarre, der das Folkig-Dylaneske in Cameron Neals Stimme betont. Ich gebe zu, dass mir Horse Thief so unplugged ganz hervorragend gefallen, und der später im Song aufscheinende Harmoniegesang ist schlichtweg bezaubernd zu nennen! Sofort erwachsen vor dem inneren Auge des Hörers Americana-unterlegte, epische Präriefeuer, die dafür sorgen, dass er spätestens mit dem folgenden „Little Dust“ ganz in seinem Wohlgefühl aufgeht. Der Song selbst handelt indessen von einem drogensüchtigen Prediger, der mit seiner Abhängigkeit kämpft. „Viele Menschen, die religiös sind, quälen sich mit solchen Dingen“, so Neal. „Es ist ein Song, in dem sich so manch einer da draußen vielleicht wiederfindet.“
Akustikgitarrenschrammelig geht es auf „Dead Drum“, einem tollen Autofahrlied, weiter, während das unruhige, nichtsdestoweniger wehmütig interpunktierte „Let Go“ in zunehmendem Verlauf alle Horse-Thief-Stärken entfaltet: Einen volkstümlichen Sechsachtel-Beat, seltsam konterkariert von Neals getragenem, immer leicht leiernden Gesang, bei dem man nie weiß, ob der Sänger einfach nur überfreundlich oder kurz vorm Durchdrehen ist. Gut, dass ihn das ansonsten nicht weiter auffällige „Come On“ wieder auffängt! Einen träumerischen Tag-am-Meer-Ausklang findet Fear in Bliss mit „Warm Regards“, dessen Eingangszeile „I want to fade away“ hier ihre kongeniale musikalische Umsetzung findet: Superreduziert mit Orgel und Hall kreiert es eine nachgerade sakrale Atmosphäre, die den Hörer in eine geistige Sphäre erhebt, in der er nicht mehr zu unterscheiden vermag, ob am Schluss des Stücks ein feines Störgeräusch zum Tragen kommt oder ob es das blaue Vinyl ist, das da knistert.
So sehr es mir persönlich auch gefällt, wenn es bei Horse Thief mal nicht bratzt und klonkt, ist die gesunde Mischung der Platte in ihren intimen wie hymnischen, ihren elegischen wie dynamischen Momenten genau richtig, wie sie ist. Horse Thief haben es verstanden, dem Album Raum und Zeit für die Entwicklung seiner Eigendramaturgie zuzugestehen. Mit Fear In Bliss haben sie es vielleicht noch nicht unbedingt zum Meister gebracht, es aber definitiv vom Grund- ins Hauptstudium geschafft.