Januar 2014 / Victoriah Szirmai
Ja, die Liebe! Ganze Imperien sind wegen ihr errichtet und wieder dem Erdboden gleichgemacht worden, abendfüllende Werke der Weltliteratur handeln nur von ihr – und auch den Protagonisten von Victoriah’s Music kommt sie immer mal wieder in die Quere, ohne sich von genrespezifischen oder geographischen Grenzen aufhalten zu lassen.
Ob sie nun vom Schweizer Duo Lumi monothematisch umkreist, von der brasilianischen Sängerin Joyce lebenserfahren reflektiert oder von „Soulbird“ India Arie mal mehr, mal weniger glücklich mit Politik verquickt wird; ob Max Raabe „Krank vor Liebe“ ist oder b-ebene-Frontmann Boris Pillmann ihr ab und zu zu entfliehen sucht, indem er feststellt, ebenso gern von schönen Brüsten wie von leeren Gläsern zu singen – die Liebe in all ihren Spielarten ist einfach immer dabei.
Das musste auch FrauContraBass-Sängerin Katharina Debus erfahren, als sie im Interview fast schon resignierend zu Protokoll gibt: „Es geht einfach um die Liebe. Wieder mal. Immer wieder kommen wir darauf zurück. Wenn man sich fragt, worum geht’s denn eigentlich im Leben? Ah ja, die Liebe, bumm.“ Aus der Not eine Tugend machend widmete das Duo ihr dann gleich mal ein ganzes Album: Comes Love. Und wo man sich bislang der ebenso sensiblen wie passionierten Neuinterpretation von Popsongs, ob nun aus der Feder von Stevie Wonder, Michael Jackson, Udo Lindenberg oder gar dem Autorenkollektiv von Britney Spears, widmete, dreht sich auf Comes Love nicht nur alles um die Liebe, sondern auch um die schönsten Jazz-Standards, wie der Untertitel American Songbook Revisted verrät.
Warum macht FrauContraBass plötzlich in Jazz? Tieftonexperte Hanns Höhn erklärt: „Bei der dritten CD mit Pop-Stücken von 2011 weiterzumachen, fand ich einfach nicht interessant. Also dachte ich mir, lass uns doch ein bisschen weiter zurückgucken!“ Bei der Rückschau stieß man auf das Repertoire des Great American Songbook, welches uns erst letzten Sommer aufs Zärtlichst-Retrophilste von Pop-Nymphe Kat Edmonson serviert wurde. Um den vielbeschworen Zeitlosigkeits-Aspekt war es FrauContraBass indessen nicht zu tun, der habe, so Höhn, „keine große Rolle“ gespielt. Auch, so ergänzt Debus, „geht es eigentlich gar nicht so sehr darum, ob das jetzt Jazz ist“. Vielmehr sah sich FrauContraBass eindeutig entnervt von der Art, wie nicht wenige Musiker mit Jazz-Standards umgehen, „dass da der Song gar nicht als Song gesehen wird, sondern einfach nur als Hülle, worüber man improvisieren kann“. Das kann man anders machen, dachte man sich. Comes Love ist das Ergebnis.
Trotz des für das Duo neuen Repertoires ist Comes Love eine FrauContraBass-Platte durch und durch, denn die Herangehensweise an die Songs ist gleich geblieben und wird nicht zuletzt durch die Kleinstbesetzung von Stimme und Bass vorgegeben. Klar, mit diesem Konzept könnte man jetzt auch die Beauty-and-the-Bass-Masche fahren und die Klassiker dieser minimalistischen Besetzung, etwa Slap that Bass (Kennen Sie nicht? Klar, das kennen Sie von Ella Fitzgerald, ja genau, das ist das Stück, welches mit „Zoom zoom zoom zoom“ anfängt!), Lullyby of Birdland oder Fever im Stil einer Hotelbarhintergrundbeschallung hauchen. FrauContraBass tut nichts dergleichen. Wenn man schon das millionenfach gespielte Fever gibt, dann eben nicht als Duett, sondern als solistisches Meisterwerk Höhns.
Sieht man von diesem Virtuosenstück ab, betreibt FrauContraBass auf Comes Love aber keine Leistungsschau. Wo sich der Vorgänger stellenweise noch arg akademisch – im Sinne von: wir müssen zeigen, was wir können – gab, besticht die aktuelle Veröffentlichung vor allem durch eine gesunde Portion Laissez-faire. Für Katharina Debus ist die Platte „unaufgeregter“ geworden, da man „einfach Lust auf Entspannung“, und zwar „auf eine totale Entspannung“ hatte, während Hanns Höhn ihr schlicht „mehr Ruhe“ attestiert. Man wagt es kaum zu schreiben, aber die durchgehende Entkrampfung könnte schlechterdings auch der zunehmenden künstlerischen Reife des Duos zugeschrieben werden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde geraten FrauContraBass die Standards nicht zur bloßen Fingerübung. Comes Love ist alles andere als Tupperdosen-Jazz; und wer nach der tausendundersten wiederaufgewärmten Interpretation der Jazz-Klassiker sucht, wird hier nicht fündig. FrauContraBass spielt die Standards – und spielt sie dabei nicht.
Den Stücken nähern sich die beiden Künstler wie vormals den Popsongs – mit maximalem Verständnis und Respekt. Ein Lied bis auf die Haut zu entkleiden bedeutet bei FrauContraBass nicht, es von einer avantgardistisch anmutenden Seite zu zeigen, die es ursprünglich nie besaß. Vielmehr geht es darum, durch die Beschränkung aufs Wesentliche sein wahres Wesen zum Vorschein zu bringen, kurz: den Song an sich ernst zu nehmen. Da wäre beispielsweise die Michel-Legrand-Komposition „The Windmills of Your Mind“, deren Gedankenkarussellthematik durch eine Soundidee Höhns, die den gebetsmühlenhaften Charakter des Stücks einfängt, kongenial – und mit Hilfe von am Bassisten angebrachten Plastiktüten – umgesetzt wird.
Ja, es geht ums Ernstnehmen, um Reife und Reduktion. Hierin könnte auch der Grund des durchgängig melancholischen Untertons des Albums liegen, der insbesondere auch meinem persönlichen Favoriten, dem Titeltrack „Comes Love“, innewohnt und seinen Höhepunkt im Ausklang mit „Nature Boy“, einem 1948 vom Spiegel als „Lied mit tödlicher Wirkung“ bezeichneten Stück findet. In die „Moll-Falle“ wolle man das Publikum dennoch nicht gelockt wissen, denn die Stücke seien nicht in erster Linie traurig, sondern eher Nachdenklich, was der Platte eine „andere Tiefe“ verleihe. So unbedingt man dem Duo hier zustimmen muss – nicht von der Hand gewiesen werden kann, dass die Liebe eben nicht nur eine Schokoladenseite hat und Comes Love mit Stücken wie „I Got It Bad“, „Love For Sale“ oder „Cry Me A River“ vor allem von ihrer anderen Seite erzählt.