Inhaltsverzeichnis
Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Fräuleinwunder | DePhazz | Samirah Al-Amrie | Zukunft und die Lichter | Stefan Gwildis & NDR Bigband | Lasse Matthiessen | Karen Souza | Café del Mar
Stefan Gwildis & NDR Bigband | Das mit dem Glücklichsein
Wie das mit dem Glücklichsein geht, hat auch Stefan Gwildis spätestens seit Veröffentlichung seines neuen Albums raus. Von einem Alterswerk zu sprechen, weist er aber weit von sich. „Darüber können wir uns in dreißig Jahren unterhalten“, lacht der Sänger, als ich ihm nämliches via Suggestivfrage unterstellen will. Aber wie soll man eine Platte sonst bezeichnen, die Stücke aus den letzten zehn Schaffensjahren des Künstlers in ein Bigband-Gewand hüllt und ihnen damit eine neue interpretatorische Tiefe verleiht?
Aber von vorn. Mit seinen Alben Neues Spiel (2003), Nur wegen dir (2005) und Heut ist der Tag (2007), schlug Stefan Gwildis in wohl jedes halbwegs Soul-affine Klanguniversum ein wie eine Bombe. So auch in meins Auch wenn die Soul-Klassiker in der Gwildis-Adaption eher bluesrockig als funky daherkamen – was hatte der Mann für ein Timbre! Was für ein Timing! Und dann erst die Texte! Die hatten nichts von den meist albernen Schlagerübersetzungen der Siebzigerjahre, sondern waren vielmehr dazu angetan, die Seele der Songs zu erfassen. Da wurde aus „Papa Was A Rollin‘ Stone“ schon mal „Papa will hier nicht mehr wohn‘“. Und obwohl Gwildis auch fortan Alben veröffentlichte und stetig durch die Lande tourte, verschwand er in den letzten Jahren von meinem musikalischen Radar. Jetzt ist er zurück – und das nicht allein.
Sein neues Album Das mit dem Glücklichsein ist eine Kooperation mit der NDR-Bigband, mit der der Sänger bereits 2008 begann, seinen Soul-Titeln einen Bigband-Anstrich verpasste. Um aber, wie er selbst sagt, „die profundesten Stärken der Big Band auszuspielen“, sei die naheliegende Idee geboren, das Prinzip Gwildis nicht nur auf Soul-Klassiker zu beschränken, sondern auch auf das Great American Songbook anzuwenden, dessen Repertoire sich auch 2013 ungebrochener Beliebtheit erfreut, wie jüngst bei Kat Edmonson oder der – Vorfreude! – anstehenden Veröffentlichung von FrauContrabass. Was den 1958 geborenen Hamburger an diesen Jazz-Standards jenseits ihrer Bigband-Tauglichkeit so fasziniert, dass er ihnen ein ganzen Album gewidmet hat? Sie „überzeugen durch ihre einmalige Architektur: scheinbar leicht und unaufdringlich kommen sie daher – sind aber meistens reich an unterschiedlichsten Bauelementen und Strukturen –, aber vor allem: Sie treffen direkt in Herz und Seele“, fasst der Künstler zusammen.
So hat dann auch kein geringeres Stück als „My Funny Valentine“ für den Titelsong „Das mit dem Glücklichsein“ Pate gestanden. Es kommt nicht von ungefähr, dass die deutsche Übertragung vor allem auch lautmalerisch das amerikanische Original imitiert, denn „der Klang der Worte, oder mehr noch: die Musik der Sprache, ermöglicht es oftmals besser, dem Sinn eines Musikstückes gerecht zu werden“, findet Gwildis. Und tatsächlich ist „Das mit dem Glücklichsein“, das vom Sentiment her einem Chet Baker in nichts nachsteht, der wohl unbestreitbare Höhepunkt des Albums. Man kann hören und vor allem nachspüren, wie wichtig es dem Sänger hier war, „die Melancholie, die Widersprüchlichkeit und die Zerbrechlichkeit dieser wohl schönsten Ballade zu erfassen“, was nun einmal durch eine eher freie Interpretation viel eher gelänge als durch eine 1:1-Übersetzung.
Die beschwingte Adaption des Van Morrison’schen „Moondance“ und die des Klassikers „Fly Me To The Moon“ als „Mondglanz“ bzw. „Schieß mich doch zum Mond“ erlaubt den direkten Vergleich, geisterte Ersteres doch jüngst in der Version von Michael Bublé, Zweitgenanntes in der von Roger Cicero durch die Charts. Schnell wird klar: Ein Schönklang-Crooner wie die beiden Swing-Prinzen ist Stefan Gwildis nicht. Unprätentiös, nordisch-rau und dabei extrem lässig klingt er, was ihn umso glaubwürdiger macht. Hierzu gehört nicht nur unbedingte Emotionalität, sondern auch eine gewisse Lebenserfahrung und nicht zuletzt „Zeit und das Zusammentreffen füreinander bestimmter Energien“, wie Gwildis verrät. Also doch ein Alterswerk? Mitnichten. Vielmehr hätten „die fein gearbeiteten Arrangements von J.A. Keller und das meisterhafte Spiel der Band eine Steilvorlage für den Gesang gebildet und gaben mir so die Möglichkeit, einen Eckpunkt in dieser herrlichen Jazz-Dreieinigkeit darzustellen“. Einen vierten Pfeiler vergaß er zu erwähnen: den mit dem Hörerglück.
Lasse Matthiessen | Carry Me Down
Wo Lasse Matthiessens letztjährige Veröffentlichung Dead Man Waltz noch ein dringender Tipp für alle Tagträumer und Sichfallenlasser war, ist sein aktuelles Album Carry Me Down für nämliches Klientel nichts weniger als eine unbedingte Empfehlung. Anders gesagt: Sollte in diesem Jahr ein Gesetz erlassen werden, das den Besitz von mehr als einer Singer/Songwriter-Platte unter Strafe stellt – die Wahl fiele auf diese.
Um das festzustellen, braucht es nicht mehr, als den leisen Opener „In Water and Salt“, wo leise Reminiszenzen an die Americana-Verliebtheit der letzten Platte des charmanten Dänen anklingen. Und natürlich fängt er mit der Auftaktfrage „You – where did you hide?“ wieder alle Frauenherzen ein, umso mehr, wenn er detailliert beschreibt, wie er auf der Suche nach der Vermissten das ganze Land durchstreift, nur, um ihre Haut wieder berühren zu können. Schmacht. Und wenn sich Matthiessens schmeichelndem Organ noch eine zarte Frauenstimme hinzugesellt, gibt es endgültig kein Halten mehr. Der Düsterkosmos von Dead Man Waltz ist hier einer – gar nicht mal so hintergründigen – Sinnlichkeit gewichen. Kein Wunder, dass Carry Me Down vom ersten Ton an bezaubert.
Das folkige „Looking For A Reason“ betört ebenfalls mit Simon&Garfunkel-artigem Satzgesang, der von der Isländerin Halla Nordfjörd und dem Amerikaner Ian Fisher produziert wird, die Matthiessen auch an Gitarre, Banjo, Glockenspiel und Harfe unterstützen. Noch bezwingender ist nur noch „Tender was the Night“ dank Lasse Matthiessens eindringlichem Flehen „Help me to forget“ – ich wette, viele würden sich hier gern als Helfer in der Not zur Verfügung stellen! Auch „Tonight we drink“ vermag seinem reißerischen Titel zum Trotz den Zauber nicht zu brechen – ganz im Gegenteil, haben wir es hier doch eher mit einer Trinkerballade im Stile Tom Waits‘ zu tun, in der es heißt: „Tonight we drink/we drink to die/We drink to the dead/Tonight we drink/Drink to those/who are dying“. Das kann schon so manche Depression verursachen. So ganz hinter sich gelassen hat Matthiessen den Düsterkosmos dann wohl doch nicht …
Doch dann kommt auch schon das absolute Highlight des Albums, der „Travelling Song“, der sich sanft, nahezu zärtlich mit einem mehrstimmigen Refrain anschleicht, dem die zerbrechliche Elfenstimme Nordfjörds die Krone aufsetzt. Das ist zum Sterben schön und trotz des schwierigen Themas, das sich auch hier um Tod und Trauer dreht, gänzlich kitschfrei. Aus dem Tal der Tränen führt erst das Glockenspiel des Titeltracks „Carry Me Down“ behutsam, das Banjo weniger behutsam wieder hinaus, wobei auch dieses Stück zwischen den Parametern Downtempo und Moll gefangen bleibt.
Wohlige Vertrautheit bringt das Remake von „Oh, Ulysses“ in die Platte, das Matthiessen erstmals auf Dead Man Waltz vorstellte. Während er letztes Jahr hier noch mit rumpeliger Schlagzeugbegleitung und deutlich mehr Tempo den fröhlich-freien Cowboy gab, hat das ohnehin schöne Stück durch sein neues, folkiges Arrangement zusätzlich gewonnen. Dass die Platte den Hörer mit „Where the Silence Begins“ positiv gestimmt entlässt, freut – dass sie ihn nach nur acht Stücken überhaupt entlässt, nicht. Hier hilft nur, das Ganze auf Repeat zu setzen, denn Lasse Matthiessen hat die Melodien, er hat die Harmonien, er hat die Romantik, das Drama und den Sexappeal – das ist nicht zu übertreffen.
Diejenigen unter Ihnen, denen Singer/Songwriter-Klänge im Sommer zu traurig sind, erfahren mit Hotel Souza ein Kontrastprogramm der stilvollen Art, denn schließlich muss man ja nicht nach Ballermann & Co. schielen, um den ultimativen Sommersoundtrack zu finden.
Hotel Souza fährt das ganz große Orchester auf, das mal eleganten Kreuzfahrtbossa erklingen lässt, mal mit cineastischen Bigbandarrangements glänzt, immer aber von dieser unter die Haut gehenden, lasziven Altstimme dominiert wird, die die guten alten Zeiten gepflegter Unterhaltung und ebenso gepflegten Diventums elegant heraufbeschwört. Auch die Themen von Karen Souza sind zeitlos-klassisch. So etwa wird im Opener „Paris“ davon erzählt, dass die Leute sich zuraunten, „er“ sei gefährlich, doch was wüssten die Leute schon, wirft die Diva ein, denn schließlich könnten sie kaum beurteilen wie es sich anfühle, wenn „er“ „ihr“ so nahe sei … Wie das eben nun mal so ist, wenn man in Paris aufwacht.
Tangorhythmen wird man auf dem Album der gebürtigen Argentinierin hingegen vergeblich suchen. Karen Souza hat sich ganz den opulent arrangierten Klängen einer Zeit verschrieben, als die Jazz-Welt zwischen raffinierten Cocktailkreationen und mondänen Dinners in luxuriösen Hotels aufspielte. Und das gelingt ihr mit Bravour und verblüffend stilecht, denn im Grunde ist Souza gar keine Jazzsängerin. Vielmehr kennt man ihr samtiges Timbre von diversen House- und Electro-Projekten, beispielsweise den Compilation-Reihen Hotel Costes, Paris Denier oder Vintage Café, auf denen sie unter Pseudonym mitwirkte.
Absoluter Favorit: Das Bigbandcover des Motown-Hits „I Heard It Through The Grapevine“, das klingt, als wäre Marvin Gaye als Tony Bennett wiedergeboren worden oder umgekehrt, mit einem unfassbar coolen Arrangement und unglaublich coolem Gesang. Dem steht „Full Moon“, eine Eigenkomposition Souzas, in seiner unerhörten Sinnlichkeit in nichts nach. Wem Gwildis‘ Das mit dem Glücklichsein zu spröde war – auf Hotel Souza findet er klangliche und vor allem stimmliche Opulenz und Erotik, gehüllt in die brillant nuancierten Bigband-Arrangements des Filmmusikkomponisten Joel McNeely, der schon Al Green, Peggy Lee oder eben Tony Bennett seinen orchestralen Glanz angedeihen ließ.
Café del Mar | Volumen Diecinueve (XIX)
Irgendwann Ende Juli, Anfang August. Es ist so heiß, dass die Luft über dem Asphalt richtiggehend flirrt. Alles ist zum Stillstand gekommen, sogar Atmen ist eine einzige Anstrengung. Die Umgebung ist so warm wie der Körper, dessen Innen- und Außengrenzen verschwimmen. Die Wohnungsfenster sind mit hellen Laken abgedeckt. Nichts regt sich, außer dem CD-Spieler. Und was da aus seinen Boxen tönt, ist zunächst tatsächlich … angenehm.
Überraschend angenehm, wenn man an die desaströse 17. Ausgabe von Café del Mar zurückdenkt. Die 18. haben wir sicherheitshalber übersprungen, um uns nun dem von Toni Simonen kompilierten Volumen Diecinueve zu widmen. Und da verstehen es Blank & Jones gleich zu Beginn, das für Café del Mar so unvermeidliche Meeresrauschen wegzulassen und dem faulen Hörer, der ebenso wie sein Haustier zu keiner Bewegung fähig dahingegossen auf dem halbwegs kühlen Holzfußboden dämmert, mit „Miracle Man“ die betörende Cathy Battistessa zu präsentieren, deren ätherischer Gesang sogar die obligatorische Flamencogitarre verzeihen lässt.
Leider nimmt schon mit Stück zwei das Übel, in diesem Falle: das Meerestauschen aus der Konserve, seinen Lauf. Die Café del Mar-macher scheinen damit zu rechnen, dass ihre hitzegelähmten Opfer den Weg zum Aus-Knopf nicht finden und ergo wehrlos der Gehirnwäsche ausgeliefert sind. Glücklicherweise war das aber auch schon der Totalausfall dieser Café del Mar. Danach gibt es durchaus annehmbare Stücke wie „Suddenly“ von Afterlife mit einem genre-untypischen Haudrauf-Schlagzeug, den nervösen, perfekt bassbesetzten No-Logo-Remix von Moyas „Lost and Found“ oder „So Many Colours“ von den Ramona Flowers, das, dem Schlagzeuger geschuldet, schon nahezu als Jazz durchgeht. Ashley Heigth bringt uns eine Spanish Guitar à la Josete Ordoñez Ben Onono verträumten, aber dennoch akzentuierten Singer/Songwriterpop.
Über den Remix von Kate Bushs „Running Up the Hill“ kann man durchaus geteilter Meinung sein. Einerseits macht er die sonst nicht gerade für ihre tiefgründigen Klänge bekannte Compilation-Reihe spannend, andererseits passt er in seiner Brachialität meiner Meinung nach nicht zu den übrigen Stücken. Hier hat jemand definitiv zu viel Industrial und Synthiepop gehört! Einen Vorteil hat er aber: Man wird schlagartig wieder wach. Für mich trotzdem schade um die eigenwillige Stimme Kate Bushs und natürlich den großen Namen auf dem Cover, der bestimmt den einen oder anderen unbedarften Hörer anzieht. Tipp: Lieber ins Original investieren. Auch nicht unbedingt sein muss der stupide Bum-bum-Beat von The XX; und trotz der beiden wirklich guten Vokalisten ist das Stück von Stevie Miller & Rachel Lloyd schlicht langweilig. Unheimlich cool dagegen die Kooperation von Moby und Mark Lenegan. Mit dessen Höllenstimme kann man sich auch Chillout gefallen lassen – und das trotz der beachtlichen Stücklänge von neuneinhalb Minuten!
CD 2 fällt im Vergleich zu CD 1 komplett ab. Gleich Stück eins langweilt fatal – und das wird bis Stück zwölf, das mit nostalgischem Vinylgeknister und einem Retro-Flair irgendwo zwischen Chanson und Tango aufwartet, nicht mehr besser. Die einzig andere hörbare Ausnahme auf CD 2 sind No Logo mit „Matter of Time“ – genau die, die schon auf CD 1 als Remixer positiv aufgefallen sind.
Fazit: Trotz enttäuschender CD 2 ist Café del Mar XIX um Klassen, wirklich Klassen, besser als das vor zwei Jahren besprochene, oder eher: durchlittene Volumen Diecisiete. Viele der Stücke sind hörbar, ohne dass sich einem die Zehennägel hochrollen. Im Hinterkopf behalten muss man dennoch, dass es sich hier um funktionale Musik handelt, wo der Chill-Faktor im Vordergrund steht. Was bei Karen Souza das Luxushotel war, ist hier nun mal die Bettenburg. Wer keine fünf Sterne erwartet, kann aber auch da auf seine Kosten kommen.
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