April 2016 / Victoriah Szirmai
Auf ihrem fünften Soloalbum erfindet sich die Bassistin und Vokalistin Esperanza Spalding neu. Äußerliches Zeichen der – je nach Perspektive – künstlerischen Weiter- respektive Rückentwicklung ist Spaldings bezopftes, auf ihren zweiten Vornamen hörendes Alter Ego Emily, das sie für ihren ambitionierten Art-Rock-Ausflug zum Spiel mit den Identitäten verleitet. Für dieses verlässt die ebenso eigenwillige wie begnadete Künstlerin dann auch schon mal ihre – und des Hörers – Komfortzone.
Vorab: Emily’s D+Evolution (auf Amazon anhören) ist Spalding zum psychedelisch elektrifizierten Trip ohne Drogen geraten, manchmal in seiner Kompromisslosigkeit schwer zu ertragen, öfter aber schier beglückend. Die folgende Besprechung gilt dem ursprünglichen Zwölf-Song-Album, nicht der aktuell überall erhältlichen Vierzehn-Track-Variante, kann ich doch als bekennende Verfechterin des Albumkonzepts aufgeblähten „Deluxe-Editionen“ nichts abgewinnen.
Der Trip beginnt. Das shoegazeelectrotechrockartige „Good Lava“ mit seinen leicht atonalen, ungewöhnlich rhythmisierten Vocals ergießt sich eruptiertem Magma gleich laut und wild in die Gehörgänge. Retro-P-Funk goes Vintage-Rock! Das mag man entweder sofort oder nie. Eine Chance, Spaldings hellen Sopran, der am Ende einer Phrase gern mal kieksend um-, ja: überschlägt, einer genaueren Prüfung zu unterziehen, bietet sich auf dem weitaus weniger halsbrecherisch-temporeich daherkommenden „Unconditional Love“. Allzu komplexe Soundscapes halten sich wohlweislich im Hintergrund, um die Aufmerksamkeit auf den Bass zu legen, den Spalding hier – ihre bisherige Vocalesetechnik gleichsam kontrakarierend – wie eine zweite Gesangsstimme führt, bis offensichtlich wird, dass wir es hier im Grunde mit einem Duett zu tun haben.
Ein feiner Stop’n’Go-Groove nebst einem die Eingeweide zum Vibrieren bringender Bass findet sich auf „Judas“, dazu windschiefvertrackte Funk-Chöre und eine Vocalline, die schon fast im Spoken Word zu verorten ist und dem Ganzen eine Jazz-Poetry-Atmosphäre verleiht, während das Klavier und die Schlagzeugbesen auf „Earth To Heaven“ für stilechte Jazzclubambiente sorgen, wobei Spalding an der Front die überspannte Rockröhre gibt, sich bald als exotische Storytellerin ums Mikro schlängelt, nur um kurz darauf eine gigantische Funkmesse zu zelebrieren. Und zärtlich – zärtlich kann sie auch. Zumindest solange, bis auch „One“ in schrägen Harmonien explodiert, zusammengehalten einzig von einem als Schäferhund der Band dienenden Bass, der alle auditiven Sensationen, die den Hörer regelrecht zu überfluten drohen, maßregelnd ordnet. Ein ganz unglaubliches Stück Musik ist das! Wer vom Soundgebritzel der Tenors of Kalma angetan war, wird Emily’s D+Evolution lieben! Zum Beispiel „Rest In Pleasure“: Eine Freude, wie sich hier die elektrogitarrenbetonte Klangwand langsam aufbaut, nur um wieder abrupt in sich zusammenzufallen und umgekehrt. Einmal mehr fällt Spaldings exaltierter, dem Bassspiel abgeschauter Gesangsstil auf, den man, ich sagte es schon, nur lieben oder hassen kann, wie das mit allem Fremden, Ungewöhnlichen, Exotischen nun mal so ist. Fasziniert es? Stößt es ab? Die Antwort liegt selten dazwischen.
Mit diesem Gedanken wenden wir uns der zweiten Hälfte des Albums zu. „Ebony And Ivy“, nicht zu verwechseln mit der fast namensgleichen Wonder-McCartney-Schnulze, wartet mit einer Spoken Word Performance von bestechender, nahezu maschineller Rhythmuslogik auf, aus dem ein selten melodiöser, rammstein’scher Song erwächst, dessen Darkrockhardfunkchorus das kurz zuvor Gehörte ad absurdum führt. Das ist so dermaßen schizophren, so überaus irre, dass es eben deshalb nicht anders als hoch inspirierend sein kann. An diesem Punkt des Albums, an dem man glaubt, schon alles je Dagewesene zu Gehör bekommen zu haben und darob eine Tendenz zur Abgeklärtheit zu entwickeln beginnt, rechnet man mit vielem, aber sicherlich keiner Singer/Songwriter-Nummer mit Akustikgitarrenbegleitung wie „Noble Nobles“, erkennbar als Spalding-Stück nur durch die verzwickten Chorsätze. Spaldings Gesang indessen sinkt im Laufe des Albums kontinuierlich ab, um sich auf eine angenehme Mezzolage einzupendeln, wie etwa bei „Farewell Dolly“, einem Zwiegesang von Stimme und verfremdeten Bass.
Und was soll man zu Stücken wie „Elevate Or Operate“ sagen, deren Schönheit im Chaos sichtbar wird wie die Ruhe im Auge des Orkans. Bezaubernde Retroeffekte gibt’s auf „Funk The Fear“, einer Nummer, die im Grunde das Albumformat sprengt und nach einer Live-Bühne geradezu schreit, während die aktivierenden Sprechchöre direkt gegen die Bequemlichkeit des Hörers zu protestieren scheinen. Von drohendem Unheil künden die Rührtrommeln auf „I Want It Now“, dabei gibt sich Spalding hier nur der mal freejazzigen, mal walzend holpernden Kleinmädchenfantasie hin, jetzt und gleich Eiscreme, Pyjamapartys und rosa Einhörner haben zu wollen, von dem in Zuckerwatte verpackten Weltherrschaftsanspruch mal ganz abgesehen. Kein Wunder, dass der Schauspieler Sebastian Koch, Gast bei Spaldings einzigem Deutschlandkonzert an der Berliner Universität der Künste im Oktober 2015, hier von einer „zärtlichen Anarchie“ schwärmt.
In ihrer Heimat Portland wird die Musikerin immer noch Emily gerufen. Dort habe es in der Jugend Spaldings viele Dinge gegeben, die sie glücklich machten. Mit Emily’s D+Evolution versucht die mittlerweile Einunddreißigjährige, diese wieder in die Gegenwart zu holen, weshalb der Albumtitel auch „Emily’s D-plus Evolution“ auszusprechen sei. Rückentwicklung bedeutet manchmal eben auch Fortschritt.
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Esperanza Spalding/Emily’s D+Evolution