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Eliana Burki & iAlpinisti – Travellin’ Root

August 2011 / Victoriah Szirmai

Als ich Travellin’ Root das erste Mal in meinen CD-Player legte, hätte ich überraschter nicht sein können von dem Gegensatz zwischen dem, was ich erwartet hatte und dem, was ich da zu hören bekam.

Ich habe mit einem zarten Folk-Album gerechnet, ätherisch und versponnen, gesättigt mit mystischer Lyrik, voller Gnome, Trolle und Elfen, irgendwo zwischen Lumi und Johann Johannsson. Keine Ahnung, weshalb ich darauf gekommen bin – schließlich ist die alpine Sagenwelt doch eher für Sennentuntschi, Fuchshexe oder Tatzelwurm bekannt als für Trolle & Co. Aber auch diese lockt Eliana Burki mit ihrem Alphorn nicht hervor, denn was sie auf Travellin’ Root macht, ist jenseits aller folkloristischen Alpenromantik und lässt sich am ehesten als Alpenfunk bezeichnen – Candy Dulfer goes Alphorn, gewissermaßen.

Eliana Burki & iAlpinisti / Travellin’ Root_Cover

Diese anfängliche Irritation ist für die 27-jährige Künstlerin nichts Neues. „In der Schweiz ist man gewohnt, dass man dieses Instrument traditionell spielt“, sagt sie. „Man ist gewohnt, dass es in den Bergen erklingt, und da trifft man schon auf skeptische Leute.“ Dabei stand schon ihr 2007 von David Richards (Queen, Chris Rea, David Bowie) produziertes Debütalbum Heartbeat unter dem Motto des „Funky Swiss Alphorns“, das die künftige Marschrichtung vorgeben sollte. Und funky ist es in der Tat, was Burki ihrem von der einschlägigen Fachliteratur gern schon einmal unter „primitive Trompeten“ subsumierten Instrument zu entlocken vermag. Dabei ist das Alphorn alles andere als primitiv – und schon gar nicht simpel, sondern in erster Linie unhandlich und spielerfeindlich: Als Alphornist muss man schon über ein extrem feines Gehör verfügen, um die Töne, die in einer Entfernung von drei Metern siebzig vom eigenen Ohr produziert werden, exakt zu treffen. Dann auch noch unterschiedliche Klangfarben zu entfalten erscheint fast unmöglich – oder eben als „Herausforderung“, wie Eliana Burki es beschreibt.

Eliana Burki 1

Der Beschränkung auf die sechzehn Töne, über die ein herkömmliches Alphorn verfügt, hat sie indessen mit ihrer eigenen Entwicklung, dem Burkihorn (!), ein Schnippchen geschlagen: „Im oberen Teil sind drei Knöpfe, ähnlich wie bei der Tuba, integriert. Ich kann damit chromatisch so ziemlich alles spielen, und es klingt noch immer nach Alphorn.“ Und genau das trifft den Kern von Travellin’ Root: Eliana Burki spielt hier alles, und allein der Klang ruft dem Hörer in Erinnerung, dass hier nicht Saxophon, Tuba und Konsorten zum Einsatz kommen.

Eliana Burki 2

Schon der erste Track Baggage Claim ist eher Fusion als Alpenglühen, nicht zuletzt geschuldet den iAlpinisti – vier formidablen Jazzern aus Basel, Luzern und Zürich, die mit Burki zu einem untrennbaren Quintett verschmelzen und ihr einen mal treibenden, mal bremsenden Rhythmus- und Harmonieteppich bereiten. Der zweite Track Heart of Cairo fährt die Schwermetallkrallen aus – ist man da etwa bei Rammstein gelandet? Ist man nicht, wie die eingewobene orientalische Tonfolge schon bald glaubhaft zu versichern mag. Erstmals hört man Eliana Burki auf dieser CD auch singen, was sie als studierte Pianistin und Sängerin immerhin so gut kann, dass sie damit schon vor Jahren das Publikum des Baseler Bluesfestivals nachhaltig zu beeindrucken wusste. Doch im Vordergrund steht stets das Alphorn; und wüsste man ob seines typischen Klanges nicht, dass es sich um dieses Instrument handeln muss, man würde es kaum glauben. Heimweh dann holt das Horn zurück in die Berge, und hier kommt das Album zum ersten (und einzigen) Mal dem nahe, was ich mir eingangs so klischeehaft vorgestellt habe. Doch schon Track vier, Las Tres Princesas, zerstört alle Heimatfilmidylle und entpuppt sich als waschechter Salon-Tango im archetypisch starren Rhythmuskorsett, mit jaulendem Akkordeon und tangofarbener Sängerin. Wunderbar der Mit-Swinger Enno’s Gun Train, wo sich Krimi-Soundtrack und Sprach-Collage mit einer sehr vertraut scheinenden traditionellen Melodie verweben. Dasselbe Phänomen begegnet einem auf Upasana’s Bernina: Melodien, wie aus dem kollektiven Menschheitsgedächtnis – man hat sie garantiert noch nie gehört, und auf wundersame Weise doch schon Tausende Mal. Problemlos könnte der Song dem wunderbaren World-Jazz-Sampler A Little Magic In A Noisy World entstammen und dort gleichberechtigt neben Jonas Knutssons Sysgonöga stehen.

Wobei es schon mehr als nur „a little magic“ ist, was uns Burki auf Travellin’ Root zuteilwerden lässt. Ähnlich Karl Seglems Ziegenhorn, dessen archaischer Klang den Hörer zu den Wurzeln der Musik zurückzuführen vermag, rührt Burkis Alphorn an ähnlich tiefen Schichten des menschheitsgeschichtlichen Klanggedächtnisses, ohne sich aber jemals auf ein sakrales Podest zu stellen. Im Gegenteil, die Musik von Eliana Burki ist sehr weltlich und jetztzeitig. Gemeinsam mit Adriano Regazzin an Keys und Akkordeon, Sam Siegenthaler an den Gitarren, Thomas Reinecke am Bass und Lukas Gasser an Drums und Percussions ist ihr Hornklang zu einem organischen Ganzen zusammengewachsen, das sich einander musikalisch bedingt und braucht, einerseits, und andererseits im Grunde nichts anderes tut, als ein musikalisches Reisetagebuch irgendwo zwischen Orient und Okzident zu schreiben, nie skizzen-, sondern immer gewissenhaft, egal wie müde man nach dem ereignisreichen Reisetag auch war. Der Motive aus den verschiedensten Kulturen bedient man sich hier nicht als aufgesetztes Stilmittel; vielmehr fallen sie zum jeweiligen Zeitpunkt der Reise ganz natürlich an – und so klingen sie auch. In der World- und Fusion-Ecke wäre dieses Album in jedem Falle falsch aufgehoben. Indessen mangelt es aber auch an besseren Vorschlägen, wo es einzuordnen sei. Vielleicht zeichnet das ein gelungenes Album aus: Dass selbst der hartnäckigste Kritiker aufhört sich zu fragen, WAS er da eigentlich hört, und sich stattdessen freut, DASS er da so etwas Schönes hört.

Eliana Burki 3

Mein liebstes Stück auf Travellin’ Root ist der Pigeon Man, mit dem Burki all jene ihrer ehemaligen Schulkameraden Lügen streift, die das Alphorn als extrem uncool verspotteten. Der Schlusstrack Mare Blu zeigt dann sogar noch Spuren von musikalischem Witz – perfekt!

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