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Driving Mrs. Satan | PET | Bartmes | Spaniol4 | Christian Bakanic’s Trio Infernal | Valerie Sajdik | Alphabet Backwards | Holler My Dear

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Driving Mrs. Satan | PET | Bartmes | Spaniol4 | Christian Bakanic's Trio Infernal | Valerie Sajdik | Alphabet Backwards | Holler My Dear

Victoriah Szirmai / Januar 2014

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Driving Mrs. Satan | PET | Bartmes | Spaniol4 | Christian Bakanic’s Trio Infernal | Valerie Sajdik | Alphabet Backwards | Holler My Dear

Wenn Sie dies hier lesen, liegt ein – fast noch – neues Jahr vor Ihnen, funkelnd, frisch poliert und wohlriechend, mitsamt all seinen guten Vorsätzen (die – fast noch – samt und sonders ungebrochen sind, weshalb der sich unweigerlich auf den obligatorischen Vorsatzbruch einstellende Frust in Gestalt eines latent schlechten Gewissens noch in weiter Zukunft zu verorten ist) und irdischen Verheißungen, kurz: eben all jenem vielbeschworenen Zauber, der jeglichem Neuanfang nun einmal innewohnt.

Während ich dies hier schreibe, neigt sich jedoch das alte Jahr gerade seinem Ende zu. Es ist die Zeit der Besinnung, des dankenden Rückblicks und auch des Abschieds. Da mir Pathos nicht besonders liegt, lassen Sie es mich kurz machen: Dies ist die letzte Ausgabe von Victoriah’s Music in ihrer gewohnten Form. Ich werde 2014 etwas kürzer treten und nur noch zwei Platten pro Monat besprechen. Auf die noch sorgfältigere Auswahl, die das neue Format erfordert, freue ich mich und hoffe, dass auch Sie mir weiterhin treu und wohlgesonnen sind.

Driving Mrs. Satan | Popscotch

Driving Mrs. Satan | Popscotch Cover

Jetzt aber gibt es noch einmal die volle Dröhnung ganzer acht Alben, und die lässt sich mit Popscotch gleich mal furios an. Getreu ihrem Wahlspruch „Heavy metal made easier“ haben sich die drei Wahl-Briten aus Neapel auf ihrem neuen Album einer Handvoll Metal-Klassiker angenommen, um sie in ergötzliche Folkpop-Nummern zu Driving-Mrs.-Satan-isieren, will da heißen: sie mit glockenklaren weiblichen Vocals, leisen Gitarrenklängen und Kontrabass darzubieten. Und das ist – in erster Linie für all jene, die die Originale kennen – unglaublich lustig. In zweiter Linie kann man das Album aber auch jenseits des pophistorisch-humoristischen Kontextes als gechillte Indieplatte hören. Das funktioniert aber zugegebenermaßen besser, wenn man die schwermetallgetränkten Originale nicht im Ohr hat.

Driving Mrs. Satan | Popscotch 1.1

Driving Mrs. Satan haben mit Popscotch kein reines Quatsch-Comedy-Album gemacht – sondern einfach mal eins mit richtig guter Musik. Gleich auf Stück Nummer eins, Halloweens „I Want Out“ von 1988, fahren Giacomo Pedicini, Claudia Sorvillo und Ernesto Nobili einen satten Bandsound auf, zu dem sich im Refrain noch von einem Lucky-Luke-reitet-dem-Sonnenuntergang-entgegen-Beat angetriebene Streicher gesellen. Ganz hypnotisch dagegen sind Driving Mrs. Satan die Iron Maiden’schen „Killers“ geraten, deren ursprünglich blutrünstigen Schreck-Zeilen wie Scream for mercy durch das beschwörende Flüstern Sorvillos eine ganz neue Eindringlichkeit zuteil wird. Ganz entschieden ein Lieblingsstück, wenn man in einer „Where The Wild Roses Grow“-Stimmung ist. Schreiend komisch dagegen, wenn Sorvillo einen Wuttext à la Get the hell out off my house zu lieblichem Ukulelengezupfte zum Besten gibt. Und wenn der ganze Song – der 1987er-Hit „Caught in the Mosh“ von Trash-Metal-Kombo Anthrax – dann noch dank überbordender Mariachi-Trompeten zur fiesta mexicana gerät, gibt es kein Halten mehr!

Verblüffend auch, wie der reibungslose Übertrag des blutrünstigen Motörhead-Refrains „Killed by Death“ in das höflich geflüsterte Idiom des Indie Pop funktioniert – wer hätte das gedacht?! Der absolute Brüller aber sind die „Hells Bells“. Der AC/DC-Klassiker von 1980, der sich nicht nur bei Fußballern, Baseball- und Eishockeyspielern sowie Boxern großer Beliebtheit als Einlaufmusik erfreut, sondern selbst dem größten Metal-Hasser geläufig ist, ist hier von der Drumline nah am Original, allein die dominierende Akustikgitarre lässt erst stutzen und bringt dann umso mehr zum Lachen. Haben AC/DC eigentlich mal ein Unplugged-Album aufgenommen?

Driving Mrs. Satan | Popscotch 1.2

Sieht man mal vom – unleugbar vorhandenen – Belustigungsfaktor von Popscotch ab, muss man es Driving Mrs. Satan hoch anrechnen, die manchmal verblüffend fragilen Melodien der Metal-Stücke, die üblicherweise bis zur Unhörbarkeit niedergeshoutet und -geknüppelt werden, freigelegt zu haben. Wer beispielsweise hätte geglaubt, dass Iron Maiden („2 Minutes to Midnight“) zu solch feinziseliertem Songwriting fähig wären? In einem musikalischen Kosmos aus wuchtig bratzenden E-Gitarren, knüppelhartem Doublebass und Haudrauf-Drums ist es Driving Mrs. Satan rückwirkend gelungen, Raum für stille Momente zu schaffen. Klänge das nicht so unglaublich authentisch, man müsste sie glatt der Geschichtsfälschung zeihen.

PET | Imitation of Life

PET | Imitation of Life Cover

Auch wenn Imitation of Life mit ungewohnten akustischen Elementen aufwartet, geben sich PET auf ihrem dritten Album im Großen und Ganzen wieder ganz den kühlen Synthie-Sphären von Post Punk, New und Electro Wave à la Roxy Music, Blondie, XTC oder The Buzzcocks hin. Kein Wunder, geht der Bandname der Berliner Elektro-Pop-Formation um Andre Abshagen und Monika Martin – deren früher Bandsound sich von den Klängen der Spieleklassiker wie Space Invaders oder Pac Man beeinflusst zeigt – doch auf den Commodore Pet zurück.

PET | Imitation of Life 2.1

Dass Imitation of Life das pure Gegenteil des in sich gekehrten Singer/Songwriter Folks Driving Mrs. Satan’scher Provenienz ist, zeigt sich schon mit dem ersten Stück. „Thinking Of You“ eröffnet im High-Volt-Bereich, mit anderen Worten: temporeich, hochenergetisch und elektropoppig. Damit gelingt PET die perfekte Transformation des ersten Teils ihrer hier unermüdlich wiederholten Beschwörung „Nothing can stop me from thinking of you“. Gleichzeitig besticht der Song durch einen eingängigen Refrain, der ihn in die geistige Nähe moderner NDW-Erben wie Puder oder 2Raumwohnung stellt, nur eben mit männlichen Vocals und auf Englisch. Letztere sind übrigens derart bekennende PET-Fans, dass sie bei der Band gleich mal einen Remix ihres Stückes „Wolken ziehen vorbei“ in Auftrag gaben.

Liedhaft geht es auch auf „Plain Vanilla“ zu, für dessen Aahhhh-Refrain auch die großen Vorbilder aus Liverpool Pate gestanden haben könnten. Das ist Popmusik in Reinform. Aber keine Angst, für die, die eine härtere Gangart bevorzugen, gibt es auch ein gniedelndes E-Gitarren-Solo. Auf Stücken wie „Grey“ zeigen PET, dass ihre feinen, lakonischen Texte auch akustikgitarrengestützt bestehen können, wobei auch hier im Hintergrund der Verzerrer lauert und später dann die Orgel jault, was das Zeug hält. „Talk To You“ ist dann auch wieder gewohnt electroclashig-energiegeladen, wird aber mit entspannten weiblichen Vocals kontrastiert, was extrem schick rüberkommt, während sich das mit kühl-distinguiertem Britwave flirtende „Never Been Here Before“ im Refrain breitbeinig zur Stadionhymne aufbläht.

PET | Imitation of Life 2.2

Das schrammelgitarrengeprägte „Everytime I Turn My Head“ wäre in seiner Midtempo-Eingängigkeit im Grunde nichts Besonderes, würde es nicht mit diesen unglaublichen Chorsätzen und überhaupt verdammt gutem Gesang aufwarten. Von Anfang an etwas ganz Besonderes ist dagegen „Miss Brown“ mit seinem prägnanten Rhythmus irgendwo zwischen Abzählreim und Worksong, der, ähnlich dem ekstatischen Ende eines Gospelgottesdienstes, zunehmend auf Touren kommt. Wer den profaneren Vergleich bevorzugt, nimmt einfach zur Kenntnis, dass sich das Stück ganz hervorragend zum kontrollierten Ausflippen eignet.

Das Besondere an Imitation of Life aber sind – neben dem PET-typischen Songwriting, dem sogar schon die Ehre zuteil wurde, vom britischen Songwriter Fink gecovert zu werden – die großartigen Vocals. Und zwar nicht nur die – überwiegend – männlichen, sondern auch die aus femininer Kehle, wie auf „I Won’t Hurt You“, einem Cover der folk-rockigen West Coast Pop Art Experimental Band von 1966. Tatsächlich ist das Stück luftiger als die PET-eigenen Sachen und atmet den bewusstseinserweiternden Geist der Merry Pranksters & Co., das wabert und schillert, dass es eine Freude ist, und mutet mit der simplen Sechzigerjahreharmonik doch so unschuldig altmodisch an. „Oh No!“ nimmt wieder Fahrt auf und den Hörer in die Jetztzeit mit.

PET | Imitation of Life 2.3

Mein absolutes Lieblingsstück aber ist „Kiss Me“ mit seinen herrlichen Abwärtsglissandi in Moll. Seufzen möchte man da! Ja, das ist, um es mit El Bosso & den Ping Pongs – die Akkorde sind in Moll/und mein Briefkasten ist voll – zu sagen, „Mädchenmusik“ mit unleugbar romantischem Inhalt: You kiss me like it was the first time, schmachtet der Sänger da, auf dass sich auch sein Briefkasten in absehbarer Zeit fülle. Schön ist das trotzdem. Klanglich dreckiger und auch thematisch merklich maskuliner kommt „Counting the Stars“ daher, und Reime wie The Secret Service/is getting nervous muss man einfach lieben! Lieben muss man auch den titelgebenden Closer, auf dem es zunächst greifbar Purple-Rain-t, um mit dem Eiern einer leicht defekten Schallplatte zu verklingen, was dem ansonsten so eisigen Electroambiente des Albums einen sympathisch lebendigen Anstrich gibt.

Bartmes | Flow Motion

Bartmes | Flow Motion Cover

Wo der Vorgänger Modular Soul noch mit kühler Elektronik aufwartete, fährt gleich zu Beginn von Bartmes‘ aktueller Produktion Frank Spaniols warmer Bassklarinettenton in die Eingeweide des Hörers – und sorgt dort über den Rest der Platte für wohliges Prickeln. Dieses wird die hypnotische Stimme von Hattler-Vokalistin Fola Dada verstärkt, die einen dazu bringt, sich vor ihr niederwerfen und ihre Stiefel lecken zu wollen.

Bartmes | Flow Motion 3.1

Der Gegensatz zwischen „Modular Soul“ und „Flow Motion“ ist frappierend. Gescheit konzipierte avantgardistische Collage da, Retro-Eingängigkeit mit Wohlfühlgarantie hier. Bartmes hat ein klassisches Zehn-Track-Album geschaffen, dessen Titel Programm ist: Auf Flow Motion befindet sich alles im – stets Groove-betonten – Fluss zwischen Funk und Soul. Gleich der Opener „Light at the End“ präsentiert sich so ungewohnt leicht verdaulich – er könnte es durchaus ins Formatradio für den erwachsenen, etwas anspruchsvolleren Hörer schaffen. „Different“ dagegen erinnert an die Soloalben von Prince-Percussionistin Sheila E., während „The Road Ahead“ durchaus dem Repertoire von Spoken-Word-Ikone Jill Scott entlehnt sein könnte, wobei für den Refrain wieder His Purple Majesty aus Minneapolis samt seines Hofstaates Pate gestanden hat.

Spätestens „Wake Me Up“ zieht auch den Müdesten auf den Dancefloor. Ob Bee-Gees-Fan oder Minimal-Techno-Junkie – hier findet jeder seinen ganz persönlichen Discotraum verwirklicht. Schließlich ist die Nacht noch jung! So auch die Platte, die sich zwar auch weiterhin extrem Groove-lastig gibt, mitunter aber auch mit Jazz-nahen (modalen?) Skalen verblüfft, die Groove-Monstern wie „Human“ einen arachaisch-exotischen Anstrich geben. Ohnehin ist dieses clever zusammengesetzte, bandorientierte Instrumental mit seiner komplexen Rhythmik, das mit dem katzenhaften Samtpföter vom Albumbeginn nicht mehr viel gemein hat, überaus gelungen – wenn nur das Gepfeife nicht so sehr an Rammsteins „Engel“ erinnern würde … Ganz groß auch der gegeneinander rollende Beat auf „No Enemy“ und extrem spannend, was sich da im Hinter- bzw. Untergrund so alles tut! Und gleichzeitig eine Zeitreise: So könnte Drum & Bass geklungen haben, als es noch kein Drum & Bass gab.

Bartmes | Flow Motion 3.2

Definitiv die Überraschung der Platte ist die hingebungsvolle Coverversion von Minnie Ripertons „Lovin‘ You“, das sich zuletzt in der Interpretation von US-Sternchen Shanice 1991 eines größeren Publikums erfreute. Sympathisch, dass Dada auf die Demonstration des für Riperton (und Shanice) charakteristischen Pfeifregisters verzichtet und zeigt, dass dieser Song keiner artifiziellen Vokalakrobatik bedarf. Der Besungene wird auch so mit ihr until springtime stayen – und noch weit darüber hinaus, und das obendrein freiwillig. Ein zweites Instrumental, das beinahe eine Reprise von „Human“ sein könnte, entlässt beschwingt und macht neugierig auf Bartmes‘ nächste Metamorphose.

Spaniol4 | The Trip

Spaniol4 | The Trip Cover

Auf die Rezension von The Trip freue ich mich schon seit dem allerersten Hördurchlauf, denn die ‚Neue‘ von Frank Spaniols Quartett ist eine dieser seltenen Platten, bei denen man sich zurücklehnt, erleichtert ausatmet und im Geiste ausruft: Ahhh, endlich! Jazz, wie ich ihn mag.

Und das ist nun einmal in erster Linie der, der an die gute alte Zeit irgendwo zwischen Bebop und P-Funk erinnert. Von mir aus können Sie ihn gleichzeitig „Retro“ nennen. Oder auch „Acoustic Jazz“, denn so bezeichnen die Spaniol4-Musiker jenen klingenden Anachronismus, den sie seit 2002 gemeinsam aushecken um seitdem plakativ vorantreiben, wovon nicht zuletzt ihre CD-Cover künden: Da gab es das Kofferradio auf Loon (2007), die Musikkassette auf Into Deep (2009) – und jetzt eben den anheimelnden Kachelofen. Der klingt so warm wie er aussieht, nämlich angenehm vordigital. Saxophonist und Bassklarinettist Frank Spaniol, dessen Spiel die Leserseele gerade erst in der vorangehenden Rezension von Bartmes‘ jüngstem Baby Flow Motion zum Vibrieren gebracht hat, ist bei Spaniol4 unter eigener Flagge unterwegs, genauer, im Verbund mit Fender-Rhodes-Spezialist Ulf Kleiner, Kontrabassist Markus Bodenseh und Schlagzeuger Sebastian Merk.

Spaniol4 | The Trip 4.1

Schon die The Trip dominierende Bassklarinette, die – obgleich in den Neunziger-Jahren mal als eine Art „Kultinstrument“ gehandelt – im Jazz zu völligem Unrecht ein Stiefkinddasein führt und zumeist lediglich von Saxophonisten als Nebeninstrument gespielt wird, ist an sich hörenswert. Kein anderes Blasinstrument übertrifft ihren Tonumfang, und auch ihre Dynamik geht über jene einer herkömmlichen Klarinette deutlich hinaus. Weder extreme Lautstärke im Fortississimo noch der Einsatz im Pianississimo in beliebiger Tiefe bereiten ihr größere Probleme. Nicht zuletzt ruft sie im Hörer direkt körperlich spürbare Resonanzen hervor – kein Wunder, dass sich die Bassklarinette bei Filmkomponisten immer dann besonders großer Beliebtheit erfreut, wenn die bedrohliche Spannung noch gesteigert werden soll und sich der Bösewicht unmerklich anschleicht. Dabei klingt sie selbst im unteren Tonspektrum nicht per se bedrohlich, wofür spricht, dass sie das Lieblingsinstrument einer meiner Hündinnen war. Die war taub – aber die tieffrequenten Schwingungen massierten das Bäuchlein so schön!

Ich würde mich allzu weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich spekulierte, wie es um die Hörerbäuche bestellt ist, wobei ich dennoch nicht umhinkomme, auch The Trip eine unmittelbare physische Wirkung zu attestieren. Schon der Opener „BoNoBo“ macht klar, wohin die Reise gehen soll: ins Funkig-Experimentelle, Loopige und Collagenartige, mit einer über dem pointierten Rhythmus schwebenden Klarinette, die manchmal nur skizzenhaft rülpst und röhrt, dabei aber nie den Sinn für die Schönheit der Melodie verliert und bald schon eine innige Verbindung mit den leise wabernden Tasten eingeht, die ihrerseits eine dezent psychedelische Komponente ins Spiel bringen. Weiter geht’s mit dynamischem Kopfnicker-Jazz auf „Unexpected“, während das Tempo beim Titelsong abrupt gedrosselt wird. Ja, „The Trip“ ist eine Ballade – aber was für eine! Die unfassbar luftgetränkten Klarinettentöne korrespondieren hier auf derart vortreffliche Weise mit dem gestrichenen Kontrabass, dass man von nichts anderem als einem Zwiegesang der Tieftöner sprechen muss. Das ist nicht nur etwas für die fortgeschrittene Stunde, sondern auch für den fortgeschrittenen Hörer. Toll!

Spaniol4 | The Trip 4.2

Weiterhin fündig auf seiner Suche nach Lieblingsjazz – den ich in Ermangelung jazzpolizeilicher Befähigung Jazz-Jazz nenne – wird der spätestens wieder mit den „Circles“. Ab hier lässt einen die Platte, die den Hörer bis dahin ohnedies schon recht fest in ihren Fängen hält, nicht mehr los. Auch das folgende „Baikal“, eine Co-Komposition Spaniols und Kleiners, ist ein sicherer Lieblingsstückkandidat, denn auch dann, wenn Spaniol zum Tenorsaxofon greift, gehen Ohren auf und Herzen über. Wo sich „Three Cycles“ stellenweise noch sehr Round-Midnight-mäßig präsentiert, kann man sich der spätnächtlichen Stimmung zu „Lightyears“ ganz konnotationslos, dafür aber umso trefflicher hingeben. Traumschön der – diesmal wieder klassisch gezupfte – Bass, der sich so gar nicht im Hintergrund halten mag, dankenswerterweise nicht! Ein weiterer Liebling ist das beboppige „Invention 17“ – hätte es die Wiedergeburt von Cool nicht schon gegeben, hier wäre sie! Und so beantwortet sich die in „What We Do“ aufgeworfene Frage beim Lauschen dann auch ganz von selbst: Spaniol4 betreiben auf The Trip nichts weniger als ein ganz schrecklich charmantes, retrofuturistisches Zeit-Hopping: Sie übersetzen die Hardbop-Coolness der Sechziger in die Loop-Ästhetik der Gegenwart, während sie gleichzeitig dem Mythos des weichen Röhrenklangs der frühen siebziger Jahre huldigen.

Der Schlusstrack mit dem etwas sperrigen Titel „The Beginning – Of The End Of The Beginning“ ist in allseiner schleppend-schlaflosen Halluzinogenität durchaus als das Statement-Piece der Platte zu begreifen. Hier werden noch einmal alle vorhandenen Klanggrenzen ausgelotet; und dass das trotzdem höchst hörbar bleibt, erfordert eine Sensibilität füreinander, die nur durch das blinde Vertrauen eines dekadenlangen Zusammenspiels entstehen kann und den Hörer nicht außen vorlässt, sondern als organischen Teil des Ganzen mit einschließt.

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Homeaudio von JBL

Plattenkritik: Driving Mrs. Satan | PET | Bartmes | Spaniol4 | Christian Bakanic's Trio Infernal | Valerie Sajdik | Alphabet Backwards | Holler My Dear

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