Januar 2017 / Victoriah Szirmai
2008 schreibt der britische Schriftsteller und Journalist Howard Jacobson im Independent über Leonard Cohens mithin legendäres Comeback-Konzert in der O2 Arena in Greenwich: „Here he is, a devilishly attractive man in his middle 70s. Some men do old age better than they do youth. Especially melancholy-sensual men who can’t decide whether they’re happy or not. The not knowing, like the not eating, keeps them lean. He is fascinatingly attenuated, as laconic as a snake on grass, with a face lined by a lifetime’s amused and desperate indulgence of the appetites, by which I don’t just mean wine, women, infidelity and betrayal, but also rhapsodic spirituality alternating with ecstatic doubt.”
Auch zum Ende seines acht Jahre währenden Comebacks hatte der Sänger nichts eingebüßt von dieser teuflischen Attraktivität, die sich aus einer ganz speziellen Paarung von alttestamentarischer Mystik mit – inzwischen nicht mehr allzu vordergründiger – Erotik speist. Spiritualität, Sex und Tod, eben die letzten Dinge, sind dann auch die zentralen Themen seines von Sohn Adam Cohen produzierten, vierzehnten Studioalbums. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, ist mit You Want It Darker doch nichts Geringeres als der final vollzogene, auf Old Ideas und Popular Problems angekündigte Abschied von dieser Welt gelungen, für den sich Cohen das Genre der suggestiven Endzeitballade erschaffen hat.
Eine solche in Reinform ist der titelgebende Opener, der gleich mit einem ganzen Mönchschor aufwartet, bevor ein akzentuierter, aber dennoch weicher Bass seinen hypnotischen Rhythmus beisteuert und eine Orgel jene semisakrale Atmosphäre kreiert, die den Auftritt des Meisters vorbereitet. Der lässt dann auch nicht lange auf sich warten und rezitiert seine um gelebtes Leben und Weltenabschied kreisenden Verse mit einer zwischen Demut und Inbrunst oszillierenden Eindringlichkeit – und einer im letzten Jahr womöglich noch dunkler gewordenen Stimme, deren Sog sich niemand entziehen kann.
Spätestens bei den Zeilen „A million candles burning for the help that never came/You want it darker/Hineni, hineni/I’m ready, my Lord“ will man (oder eher: frau) dann auch völlig unheilig antworten: Ich auch, aber sowas von!, denn wohl weniges macht mehr an als Cohens zur Perfektion getriebene Kombination aus geheiligter Endzeitlyrik – steht „Hineni“ doch für ein „Hier bin ich“ im spirituellen Sinne, das Abraham in Genesis 22:1 zum Herrn sprach, um zu signalisieren, er sei bereit, wenn er gerufen werde – und tiefergelegtem Priesterorgan an der Grenze zum Infraschall. Selbst Paul Kalkbrenner konnte nicht widerstehen und kreierte allen „Sakrileg!“-Rufen zum Trotz einen – nicht auf dem Album befindlichen – Deep House-Remix, dessen Bässe jene von James Blake schnöde verblassen lassen.
Nicht anders ergeht es einem mit dem weltlicheren „Treaty“. Wenn Cohen flüstert I sit at your table every night will man (oder eher: frau, siehe oben) am liebsten gleich den Tisch decken. Jenseits der bewährten Frauenflüsterei wartet You Want It Darker mit Melodien von einer durch die Backgroundsängerinnen noch forcierten Süße an der Grenze zum Schmerz auf („On The Level“), wagt den einen oder anderen tiefen Griff in die Stehblueskiste („Leaving The Table“) und öffnet gar mit platter Harmonik und vorhersehbarer Rhythmik musikalischer Langeweile Tor und Tür („If I Didn’t Have Your Love“), die ob Cohens verführerischen Bassbaritons letzten Endes aber keine Chance hat.
„Traveling Light“ samt Klagegeige und Gipsygitarre klingt wie ein folkloristisches Neuarrangement des Cohen-Klassikers „Lover Lover Lover“, bis es zu einem von dezentem Elektrogeschnassel unterlegten Flirt Noir mit dem Status des Durchreisenden gerät, dessen inhärente Ironie – Traveling light/It’s au revoir/My once so bright, my fallen star/I’m running late, they’ll close the bar – ihn nicht nur vor der Selbstmitleidsfalle zu bewahren weiß, sondern gar zum bislang süchtig machendsten Stück einer Platte werden lässt, auf der enigmatische Choräle im gregorianischen Stil wie auf „It Seemed The Better Way“ nie ganz fern sind. So unerträglich diese im Rahmen von Popproduktionen üblicherweise geraten, so sehr stehen sie hier im Dienst des Hohepriesters der hymnischen Endzeitdichtung, dessen sonore Rezitationen sich über ihnen entspinnen, weiter und weiter, auf der Suche nach letztgültigen Gewissheiten, wobei Zwischenstopps für Gebet oder Beischlaf – so ganz trennscharf ist das bei Cohen nie – nicht ausgeschlossen, sondern zur Wahrheitsfindung ausdrücklich willkommen geheißen werden.
Immer auch geht es dabei um die Kreation, den Jahreszyklus und seine stetig wiederkehrenden, unentrinnbaren, fatalistischen Gesetze, um Selbstopferung und Heiligsprechung wie auf „Steer Your Way“, das mal kammermusikalischen, mal folkloristischen Einschlag erfährt vom begleitenden Streichquartett, dessen Klang sich auf der das Album beschließenden String Reprise von „Treaty“ zur vollen, nachgerade barocken Pracht entfaltet, die nicht nur diese Platte, sondern das Cohen’sche Gesamtwerk, eben the holy & the broken Hallelujah, zu umschließen scheint.
Es ist neu, dass Cohen ein Album mit einer Reprise beendet. Hier schließt sich nicht nur der Songzyklus eines Albums, hier schließt sich auch die aus Old Ideas, Popular Problems und You Want It Darker geformte Trilogie, ja mehr noch: Hier schließt sich ein ganzes Leben. Zwei Wochen vor Veröffentlichung der Platte am 21. Oktober 2016 sinnierte der Zweiundachtzigjährige in einem Interview, „Ich bin bereit zu sterben“, und zwei Wochen nach Veröffentlichung wurde klar, dass sich Leonard Cohen mit You Want It Darker, das die programmatischen Zeilen „I’m out oft he game“ in mehr als einem Stück wiederholt, sein eigenes Requiem geschaffen hat wie David Bowie mit Black Star.
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