September 2016 / Lorina Speder
Bald ist es so weit: Am 30. September wird das New Yorker Band-Kollektiv Blonde Redhead eine Box mit ihren ersten LPs sowie eine umfassende musikalische Dokumentation über die länger als 20 Jahre andauernde Bandgeschichte veröffentlichen. Die Box, die „Masculin, Féminin“ betitelt ist, umfasst unter anderem das allererste auf ebendiesen Titel lautende Album der Band sowie deren Nachfolger „La Mia Vita Violenta“. Damals nur in geringer Auflage erschienen, sind die Vinylexemplare seit Jahren vergriffen. Außerdem wird die Sammlung in der Box vervollständigt durch Singles, Demos, Radioauftritte und eine Vielzahl unveröffentlichter Fotos aus den Anfängen der Gruppe in den 90er-Jahren.
Damals trafen die italienischen Brüder Amedeo und Simone Pace nach ihrem Jazzstudium in New York die japanische Künstlerin Kazu Makino durch Zufall in einem italienischen Restaurant und beschlossen sofort, zusammen Musik zu machen. Die Jazz-Ausbildung der in Mailand geborenen Zwillinge kann man in den schönen Kompositionen mit umfangreichen Harmonien nur erahnen. Die Sanftheit der Poplieder, die von vermeintlich störenden Feedback-Geräuschen der Gitarren traktiert wird, ist das Markenzeichen der Band, welches sich auch in der neuen Single „Big Song“ wiederfindet.
Dieser opulente Song mutet durch den sich aus repetitiven Fragen bestehenden Gesang Makinos zunehmend wild und unkontrolliert an. Die Gitarren, einerseits die Fragen unterstreichend, andererseits die Aufmerksamkeit auf sich selbst ziehend, bilden mit ihrem leicht verzerrten Sound einen Kontrast zu Makinos sanfter Stimme. Je öfter man den Song hört, desto mehr wird klar, dass es eigentlich gar nicht drauf ankommt, was hier gesungen wird. Ohne Zugang zum gesungenen Text rückt stattdessen immer mehr in den Fokus, wie das Lied gesungen wird. Makinos Gesang schreit eine Situation herbei, die, je öfter man sie durchlebt, zunehmend irrealer wirkt. Die ständigen Wiederholungen und Visualisierungen des Geschehens im Lied beschreiben den fassungslosen Zustand der Sängerin und Gitarristin – das wird in der Musik deutlich. Mit welcher Inbrunst und Varietät Makino die immer gleichen Fragen wiederholt, ist ein Spektakel an sich. Typisch Blonde Redhead: Das Zusammenspiel der Instrumente und der verträumten Effekte mit der mal weiblichen Stimme Makinos, mal männlichen Stimme des Gitarristen, scheint die Emotionen der Band wie mit einem Spiegel auf uns zu übertragen.
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Blonde Redhead – Masculin Féminin
Das fünfte Studioalbum der Indie-Popper mit elektronischen Einflüssen von Wild Beasts überzeugt besonders durch im Ohr bleibende Gesangsmelodien und ungewöhnliche Instrumentierungen, die dem sonst glatten und sauberen Sound raue Kontraste entgegensetzen. Ohne die gelegentlichen Noise-Einwürfe der Instrumente könnte man fast vermuten, es handle sich bei der Band um ein Electro-Duo und nicht um eine vierköpfige Gruppe. Wie essentiell aber tatsächlich alle vier Mitglieder für die Band sind, wird im Aufbau der Lieder klar.
Der erste Song „Big Cat“ zum Beispiel baut sich über ein monotones Schlagzeug und einem Hintergrund aus Stimmen auf, welcher auch als Synthie durchgehen könnte. Das reicht anfangs als Harmonie-Grundlage aus. Der markante Falsettgesang von Hayden Thorpe lässt nicht nur bei diesem Lied wegen seiner Höhenflüge im Refrain aufmerken. Ohne weitere Instrumente würde der Song trotz der tragenden Gesangsmelodie gleichwohl schnell langweilig werden. So ist es die immer voranschreitende musikalische Entwicklung des Liedes, in dem sich nach und nach Bass, weitere Synthiesounds und rhythmische Gitarreneinwürfe zu dem Chorus hin aufbauen, die Wild Beasts von Electro-Bands unterscheidet. Schließlich mündet das Lied in einem genialen, kurzen und leicht „neben der Spur“ wirkenden Gitarrensolo; es klingt, als ob die Gitarre ein anderes Timing als die anderen Instrumente aufweist.
Ein weiteres großartiges Solo, gerade weil es so simpel ist, findet man auf der veröffentlichen Single „Get my Bang“. Die einfache und zurückgenommene Sologitarre kündigt sich hier schon in den Strophen an und bringt durch den Rückwärts-Effekt, der über die einzelnen Töne gelegt wurde, eine neue Klangfarbe in das Lied. Wie in „Big Cat“ endet der Song mit der Gitarrenspur als geheimen Höhepunkt.
Die sonst minimalistische Arbeit von Gitarrist Ben Little zeichnet sich neben den Soli in unterstützenden, funkigen Anschlägen aus, die Songs wie „Alpha Female“ absolut tanzbar machen. Obwohl er sich meistens mit seinem Instrument im Hintergrund hält, hat er mehr Einfluss auf die Stimmung in den Liedern als die Synthie-Partien, die in keinem Song ausbleiben.
So schaffen es Wild Beasts, ein solides, zeitgemäßes Album auf den Markt zu bringen, das den Fokus auf Rhythmus und tolle Gesangsmelodien legt. Es ist lebhaft und modern, obwohl einige Parts des Albums wie eine Zeitreise in die 80er-Jahre klingen.
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Blonde Wild Beasts – Boy King
Die instrumentale Post-Rock-Band The Mercury Program aus Florida, USA, bringt mit „New Myths“ nach sieben Jahre Pause ihre fünfte Veröffentlichung auf den Markt. Schön anzuhören ist die EP, weil die Band eben nicht in atmosphärischen Klängen erstickt, sondern stets eine gerade Linie in ihren Liedern verfolgt. So kehren sie zu vorgestellten Motiven zurück und entwickeln diese geschickt weiter.
Besonders klar kann man dieses Vorgehen im dritten Song „Sun Blizzard“ verfolgen. Trotz Vibraphon, Fender Rhodes, viel Hall und sanften Klängen klingt das Lied durch das präzise Schlagzeug immer spannungsgeladen. Schön ist auch der Mix der Instrumentenspuren. Die leicht verzerrte Gitarre wird klar von dem Fender Rhodes getrennt. Die Math-Rock-Einschübe und Rhythmusspiele der verschiedenen Instrumente kommen mit natürlicher Leichtigkeit und drängen sich in den Songstrukturen niemals in den Vordergrund.
Obwohl atmosphärische Klangwelten Gefahr laufen, auf Dauer langweilig zu erscheinen, verliert sich die Band hier nie in ihren sphärischen Sounds. Die energetischen Drums sind viel zu prägnant und durchbrechen die träumerischen Wolken der anderen Instrumente geschickt. Dadurch gewinnen die Songs nicht nur an Dynamik und Verve, sondern auch die Hörer eine neue Perspektive. Die EP endet mit dem Song „Krishna Lunch“. Schon der Name lässt ferne Einflüsse vermuten, die sich aber eher in der ungewöhnlichen Struktur des Liedes widerspiegeln als in exotischen Instrumenten. So teilen The Mercury Program das Lied nicht in die typischen Muster von Strophe, Chorus und Bridge, sondern beschreiben ausschließlich ein einziges Motiv, das sie über drei Minuten aufbauen.
Dass die streng auf 300 Stück limitierte weiße Vinyl-Edition der EP schon längst vor der offiziellen Veröffentlichung auf der bandeigenen Bandcamp-Seite ausverkauft ist, spricht für die Qualität der mit 25 Minuten viel zu kurzen EP. Unbedingt anhören, wenn Zeit zum Eintauchen in eine ferne Welt gegeben ist und mentale Entspannung benötigt wird.
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The Mercury Program – New Myths