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Annie Lennox – Nostalgia

Januar 2015 / Victoriah Szirmai

Annie Lennox gehört zu den musikalischen Helden meiner Jugend. Ob sie als Teil der Eurythmics „Sweet Dreams“ beschert, im Duett mit Al Green „A Little Love in Your Heart“ puttet oder solo – obwohl sie auf „Broken Glass“ läuft – als „Diva“ glänzt: Es gibt nur wenige Songs von ihr, die mir nicht gefallen. Jazz wiederum gehört zu den Protagonisten meines Erwachsenenlebens. Wenn sich Lennox nun aufmacht, Jazz zu singen, erscheint mir das erst einmal vielversprechend.

Annie Lennox | Nostalgia Cover

Doch ach! Genau das, was Annie Lennox’ Stärke als Popsängerin ausmacht, wird ihr in Sachen Jazz zum Verhängnis. Die subtile Theatralik, ja: Dramatik, mit der die Eurythmics stets kokettierten, rückt die American Songbook-Klassiker auf Nostalgia fatal in Musical-Nähe. Allein dem drögen Opener „Memphis In June“ hätte etwas weniger aufgesetzte Expressivität gut zu Gesicht gestanden. Allzu sehr auf Wirkung bedacht auch „Georgia On My Mind“, das ein jeder, der die beseelte Interpretation von Gladys Knight im Ohr hat, ohnehin nur so und nicht anders hören möchte. Ganz gut dagegen lässt sich „I Put A Spell On You“ an, wobei es wohl auf ewig gutgehütetes Geheimnis der Nostalgia-Produzenten Mike Stevens, Lennox’ langjährigem musikalischem Partner, und Don Was, seines Zeichens Präsident von Blue Note Records, bleiben wird, was die gniedelige E-Gitarre in diesem Song verloren hat.

Lennox 3

Dann kommt mit „Summertime“ auch schon der Superklassiker schlechthin. Vor diesem Song habe ich mich am meisten gefürchtet, doch erstaunlicherweise gelingt genau an dieser Stelle dank des puren Zwiegesangs von Stimme und Piano zunächst ein perfektes Wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Kann-man-machen-aber-muss-man-nicht-haben und Ist-eigentlich-ganz-geil. Leider setzt aber auch hier bald die Streicherbreitseite ein, während Lennox selbst mich zunehmend an Artpopsänger vom Kaliber eines Marc Almond oder Rufus Wainwright erinnert, so, wie sie ihre Stimme bis zum Letzten aussingt. Ich meine, wir wissen ja, dass sie singen kann. Was Annie Lennox hingegen nicht zu wissen scheint ist, dass das Relevante in der Musik und ganz besonders im Jazz doch vor allem im Nichtgesagten, im Weggelassenen, in der Stille zwischen den Tönen liegt. Nostalgia aber ist dank überflüssiger Demonstration unnötiger Stimmgewalt alles, nur keine Jazzplatte.

Spätestens bei „I Cover The Waterfront“ hat man sich aber an den Sound gewöhnt und glaubt, nichts könne einen mehr schocken. Doch weit gefehlt, denn jetzt versucht, mehr noch: vergreift sich die Schottin an „Strange Fruit“. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, weshalb sich niemand, aber auch wirklich niemand, an die Interpretation dieses Songs von Billie Holiday wagen sollte, es sei denn, er heißt Cassandra Wilson, die auf ihrem 1995er-Album New Moon Daughter das meiner Meinung nach beste „Strange Fruit“-Cover aller Zeiten abgeliefert hat. Zwar mag der Song mit seinem KuKluxKlan-Lynchmord-Bezug jene Seite der Lennox ansprechen, die sie selbst als „Aktivistin“ bezeichnet, doch bleibt ein schaler Geschmack zurück. Hier werden derart schamlos emotionale Knöpfe gedrückt, dass man von einem opportunistischen Schmarotzertum sprechen könnte, wie es unter der Überschrift Why pop-turned-jazz stars just ain’t got that swing erst kürzlich der renommierte Guardian getan hat. Man könnte es aber auch puren Zynismus nennen. Musikalisch hübsch ist hier die Idee der Zweistimmigkeit, aber um hübsch geht es im Zusammenhang mit diesem Song nun einmal nicht, sorry.

Lennox 2

Doch weil es gerade so nett ist, verweilt die Lennox noch ein bisschen bei Billie Holiday, und mir bleibt nur festzuhalten: Das von Lady Day selbst geschriebene, im Original brüchig-intime „God Bless The Child“ hat das großformatige Gospelarrangement, in welches es auf Nostalgia gehüllt wird, nicht verdient. Annie Lennox schlägt sich als Chorfrontfrau zwar wacker – den Sinn des Stückes indessen hat sie nicht verstanden. Und so gospelt die Platte mit „You Belong To Me“ watteweich weiter, was ihr im Weihnachtsgeschäft ein kleines Umsatzhoch beschert haben dürfte – allerdings hätte man Liebhabern dieses Sounds auch gleich den König der Löwen-Soundtrack verehren können.

Gänzlich unerträglich dann ist „The Nearness Of You“, während der Blues „Mood Indigo“ nicht nur vor mangelnder Energie, sondern auch vor schlechtem Timing strotzt, was selbst die New-Orleans-Funeral-Kapelle nicht mehr rausreißen kann, die hier im Gegensatz zu den restlichen deprimierend lieblosen Arrangements allerdings ganz ordentlich aufspielt. Wie dem ganzen schwachbrüstigen Album fehlt es auch hier an Groove, an Swing, und vor allem ganz augenscheinlich an der Identifikation der Sängerin mit den Songs, lässt doch erst diese den Funken zum Publikum überspringen. Hier aber bleibt der Hörer seltsam unberührt. Nostalgia klingt eher nach wohlkalkuliertem Vernunfts- denn nach ambitioniertem Herzensprojekt. Schade. Ich höre Annie Lennox immer noch sehr gern, weiß nach diesem Album aber vor allem eines: Jazz kann sie nicht. Und: Während das vielgescholtene Movie Album Till Brönners wenigstens eine handvoll guter Stücke und mit „Happy“ sogar ein Lieblingsarrangement enthält, findet sich auf Nostalgia kein einziger guter Song. Das muss man auch erst einmal schaffen.

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