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Andrea Schroeder – Where The Wild Oceans End

September 2014 / Victoriah Szirmai

Ach ja, der Herbst: F-Dur der Vier Jahreszeiten! Sein Klopfen an der Tür ist allem kalendarischen Hochsommer zum Trotz nicht mehr zu überhören. So schwer es auch fällt: Es ist an der Zeit, mit den Sommerkleidern auch die Brazil Connections dieser Welt einzumotten. Strickstrumpf statt Chiffonfähnchen, Düsterpop statt Samba-Beats. Pries ich Finks Hard Believer in der letzten Ausgabe dieser Kolumne als klingenden Vorboten des Herbsts, ist Andrea Schroeders neues Album klanggewordenes Spätjahr in Reinform.

Andrea Schroeder | Where The Wild Oceans End Cover

Where The Wild Oceans End nimmt den Hörer einmal mehr mit auf eine poesiegeschwängerte Reise ins Nachtreich der Musik, hat sich die geheimnisvoll-unnahbare Berlinerin mit der rauchigen Stimme hier doch wieder ganz dem Erzählen morbider Geschichten, eingebettet in die elegischen Klänge ihres dänischen Gitarristen und Songwriting-Partners Jesper Lehmkuhl, verschrieben.

Mit dem Herbst ist nun auch in der nächtlichen Großstadt, Schauplatz der Schroeder’schen Geschichten, die Zeit des Übergangs angebrochen. Weltuntergangsgestimmte Melancholiker – vom berufsdepressiven Gothic-Jazz-Anhänger über den rückgewandten Sehnsuchtssucher bis hin zum weltentrückten Schwarmgeist – sind jetzt wieder ganz in ihrem Element, wobei Where The Wild Oceans End, aufgenommen in einem analogen Studio an der norwegischen Atlantikküste unter der Regie von Walkabouts-Produzent Chris Eckman, den idealen Soundtrack zum düsteren Treiben liefert.

Andrea Schroeder 3

Der akustikgitarrengeprägte Einstieg ins Album, dessen Vinylversion seit Tagen in nächtlicher Dauerrotation durch mein einsames Arbeitszimmer hallt, mutet dezent mittelalterlich an. Spätestens mit dem Einsatz von Schroeders tieftönender Stimme allerdings ist Schluss mit der Spielmannromantik, denn wie eine große Diva, die weiß, dass sie sich alle Kapricen leisten kann, fordert sie absolute Aufmerksamkeit und macht ihre Begleitung vergessen. Hier klingt gelebtes Leben, Erfahrung, Reife, ja: eine gewisse Abgeklärtheit an, wenn die „Dead Man’s Eyes“ besungen wird/werden, kurz: Würde die Staatsanwältin aus den Münsteraner Tatorten singen, sie klänge sicherlich ganz ähnlich! Und wenn ich es mir recht überlege, möchte ich doch noch ein bisschen beim Bild der Spielleute bleiben. Schroeder rezitiert ihre Texte eher, als sie zu singen, worin sich das so schwer fassbare, bestrickend poetische Aus-der-Zeit-, mehr noch: Aus-der-Welt-Gefallensein ihrer Musik begründet, irgendwo zwischen mediävalem Epengesang und Hildegard-Knef-Chanson, zwischen The Cure und Leonard Cohen, zwischen Dark Wave und Blues.

Festlegen lässt sich die Songpoetin indessen nicht. Schon Stück zwei, „Ghosts of Berlin“, bedient nicht mehr ausschließlich die Dunkelfraktion ihrer Hörer: Mit diesen Geistern kann man sich beinahe schon wohlfühlen, es scheinen nachgerade nette Begleiter zu sein. Auch Schroeder selbst zieht hier nicht mehr die ganz tiefen Register, sondern wispert sich verführerisch ins Hörerohr. Für das Musikvideo wurden ausgesuchte Filmszenen des Stummfilmmeilensteins „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ von 1927 zusammengestellt; und tatsächlich könnte man versucht sein zu glauben, dass es sich bei dem Song um das Remake eines Klassikers handeln muss, so vertraut ist er bereits beim ersten Hören!

Andrea Schroeder 2

Nach dem durch seinen Tom-Waits-Groove bestechenden „Until the End“ wartet Where The Wild Oceans End dann aber tatsächlich mit einer Coverversion auf: Mit David Bowies „Heroes“, die bei Schroeder zu „Helden“ werden, gleitet der Hörer hedonistisch auf den tiefschwarzen Wassern des Songs, die ihm so gar nicht bedrohlich erscheinen wollen, ob das nun an den Nachwirkungen des vorangegangenen Waltz liegen mag oder daran, dass Schroeder ihre Helden ob des deutschen Textes wie eine wohltuende Rio-Reiser-Interpretation klingen lässt. Und „Fireland“ gebärdet sich derart tamburinschüttelnd-hippieesk, dass einmal mehr klar wird: So schwarzdunkel wie sich Where The Wild Oceans End geriert, sei es durch den Nick-Cave-und-Kylie-Minogue-Bezug des Titels, sei es durch das grobkörnig-düstere, an Claudia Brücken aus Propaganda-Zeit erinnernde Artwork, ist es gar nicht. Dafür ist hier viel zu viel Wärme drin.

Andrea Schroeder HELDEN

Im Gegensatz etwa zu David Lynchs letztem Release, der mich vor einem Jahr nachgerade paralysierte, hat Schroeders Platte keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Körperfunktionen – bislang, denn dann kommt mit dem ersten Stück der B-Seite, „The Spider“, eine Monsterspinne angekrochen, die sich mittels Vibration tiefer Klavierseiten in die Gedärme eingräbt, um dort fortan ihre unheilvollen Kreise zu ziehen. Es versteht sich schon fast von selbst, dass zuletzt auch hier die zwingend erforderliche Rührtrommel aufgefahren wird, um dem Ganzen die richtige Hinrichtungsplatzatmosphäre zu verleihen. Schauerlich! „The Spider“ ist wirklich nicht dazu angetan, auf nüchternen Magen gehört zu werden. Auch die schleppende Seefahrmoritat „Where The Wild Oceans End“, der zunächst nur noch die singende Säge zu fehlen scheint, um die Meret Becker’sche Nachtmahr-Referenz perfekt zu machen, fährt mit fortschreitender Spielzeit dank vollem Einsatz von Mann- und Lautstärke in die Därme. Wer braucht schon singende Sägen, wenn er ein Stahlgewitter haben kann?

Andrea Schroeder 4

Immer noch gewaltig, aber dank seines Blues-Patterns viel gezähmter tönt „The Rattlesnake“ durch die Boxen, sodass das Lullaby „Summer Came To Say Goodbye“ gerade richtig kommt, Gedärme und Nerven zu besänftigen. Ja, der Sommer, da geht er hin! Und ebenso leise, nahezu unmerklich, wie er seinen Platz dem Herbst räumt, schließt auch Where The Wild Oceans End überraschend still mit dem reduziert-akustischen „Walk Into The Silence“. Atmosphärisch nicht weit entfernt von Beth Gibbons‘ „Funny Time of Year“ ist es – vielleicht gerade ob seiner Einfachheit – das wohl schönste Stück der Platte mit Catherine Graindorges noch lange nachklingender Violine. Selbst wenn Schroeder wehmutsgetränkte Zeilen wie The music ended just as it startet intoniert, hat man hier zu keiner Zeit das Gefühl, dass der besungene Weg ins Schweigen in die Dunkelheit führen, zur Reise ohne Wiederkehr geraten könne. Dies gilt für die ganze Platte inklusive der Stimme Schroeders, die sich auf den ersten Blick so unheimlich gebärdet, im Grunde aber reich ist an Daseinsfreude, Lebensmut und Zuversicht. Herbstzeit ist eben auch Erntezeit.

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