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Alexa Rodrian – Mothersday

Oktober 2013 / Victoriah Szirmai

Es sind die kleinen Dinge des Lebens, aus denen Alexa Rodrian ihre Liedgeschichten spinnt. Sätze, einfach mal so dahergesagt und von anderen schon längst vergessen, der leise Streit der Vorbeigehenden unterm Fenster oder auch die Schuhe vor der Tür der schönen Nachbarin. Nach ihrem späten Debüt All Done And Dusted, das 2008 auf NRW Records erschien, fährt Rodrian auf der Enja-Veröffentlichung Mothersday wieder einmal ihre feinen Antennen für die Schicksalsmomente des Alltags aus. Zeit genug dazu hat sich die Chanteuse, die ihr Handwerk bei der New Yorker Jazz-Ikone Sheila Jordan gelernt hat, ja genug gelassen.

Alexa Rodrian | Mothersday | Cover

Doch auch nach fünf Jahren ist die Mutterschaft Rodrians zentrales Thema. Verdankte All Done And Dusted seinen Titel noch dem Gefühl, mit der Geburt des zweiten Kindes sei die Wunschfamilie komplett und auch alles andere in trockenen Tüchern, ist Mothersday nichts Geringeres als eine prachtvolle Zelebration ebendieses Zustandes. Und der ist bei weitem nicht immer Ponyhof, Eierkuchen und Lilalaune. Da befürchtet der Vater des gemeinsamen Kindes, Co-Produzent, Arrangeur und Gitarrist Jens Fischer aka f i s c h e r, das mütterliche Parfüm könne dem Neugeborenen schaden. Rodrian ärgert sich und macht einen Song daraus. „If you can prove to me/that human kind is stupid/because mothers are/putting perfume on/i will stop putting perfume/on right away“ entrüstet sie sich. Er kann es nicht beweisen. Sie trägt weiterhin ihr Parfüm. Und verschafft gleich noch ihren Töchtern Coco und Lou einen Gastauftritt. Und wo man schon einmal dabei ist, darf auch Grete, der Hund von Beaterzeuger Marco Bruckdorfer, mit ran. Schließlich gehört der auch irgendwie zur Familie.

Um Konventionen schert sich das Trio Rodrian-Fischer-Bruckdorfer ohnehin wenig. Nicht nur, dass Letzterer seinen Künstlernamen „bagbeater“ jenem kuriosen Umstand verdankt, konsequenter Schlagzeugverweigerer zu sein beziehungsweise statt dessen bevorzugt auf ausrangierten Koffern zu trommeln. Auf Mothersday wird die herumstehende Cognacflasche dann auch schon mal ebenso zum Instrument wie die Kaffeemühle oder die Schreibtischlampe. Dass dabei nicht nur LoFi-Pop wie der Glockenspiel-geprägte Opener „A Little Too Much“ herauskommen muss, zeigt spätestens Track Nummer zwei, wo es mit amtlichem Beat und mindestens so amtlichem Monsterbass gehörig zur Sache geht. Jazzclubbig-leichtfüßig dringt die Fabel „Dingdongdilly“ (ganz groß: die von Aniskuchenverdauungsbeschwerden geplagte Fee) durch die Boxen, gefolgt von der Ballade „Fly“, die durch nervöse Untertöne eher verstört denn tröstet – wäre da nicht Rodrians warme Stimme, in der sich der Hörer ganz von selbst gut aufgehoben fühlt.

Alexa Rodrian | Mothersday 1.4

Den grandiosesten Groove aber haben die „Ghetto Swingers“ mit ihren angezerrten Vokals und einem Beat, an dem auch unsere electroswingenden Freunde ihren Spaß hätten – kein Wunder, dass sich selbst die Lufthansa bemüßigt fühlte, diese Hommage an den Gitarristen Coco Schumann auf eine ihrer Board-Compilations zu nehmen. Spätestens hier wird auch deutlich, dass die beiden Begleiter Rodrians keine bloße Nebenrolle spielen, sondern den Sound des Albums dermaßen ausmachen, dass ich Mothersday eher als Veröffentlichung des Alexa-Rodrian-Trios bezeichnen möchte denn als weiteres Soloalbum der Sängerin.

“Daisy In Green” besticht mit klappernden Löffeln und einem nahezu eingängigen, ja: smoothen Refrain à la Karen Souza, was allein deshalb bemerkenswert ist, weil die Rodrian’sche Musik ansonsten einen eher sperrigen, um nicht zu sagen: spröden Zauber entfaltet. Eingängig ist auch “Lalas Dream”, das darüber hinaus mit einer Western-Noir-Schrammelgitarre und einem bei “Clint Eastwood” von den Gorillaz ausgeborgt wirkenden Bass aufwartet. Das lässt auch die irgendwie nicht-fisch-nicht-fleischige Ballade “Henry Sad” verzeihlich erscheinen, obgleich diese mit dem zärtlichen Duett von Gitarrenton und Stimme eigentlich ein nahezu perfekter Pas de Deux des Ehepaares Rodrian/Fischer sein könnte – allerdings nur so lange, bis man sich den ganz ähnlichen, aber ungleich schöneren „Fisher’s Song“ des Vorgängeralbums ins Gedächtnis ruft. Oder sich Track Nummer zehn dieses Albums, „Little Black Fly“, anhört.

Bevor wir da ankommen, können wir aber noch einmal die gründliche amerikanische Sozialisation Rodrians, die ohnehin mehr New York als Berlin in der Stimme hat, mit dem schrubbenden Vierviertel-Blues “Mr Smart” bewundern, der so harmlos beginnt, dann aber die volle Ladung Wut und Stimmgewalt über sein besungenes Subjekt ergießt. Nicht zuletzt ist „Mr Smart“ aber vor allem auch eines jener Lieder, die aus purer Energie geboren zu sein scheinen und, völlig losgelöst vom ursprünglichen Anlass, einfach in jeder Lebenssituation funktionieren.

Alexa Rodrian | Mothersday 1.5

Noch besser wird es dann nur noch mit „Little Black Fly“. Während sich bei „Mr Smart“ die Begleitkombo fast schon zu Bigband-Fülle aufgeschwungen hat, gibt es hier Alexa Rodrian ganz pur. Nur Stimme mit Gitarrenbegleitung. Und einen Refrain, der den Hörer nie wieder loslässt. Was die Sängerin hier mit reduziertesten Mitteln erreicht, gelingt so manch anderem mit der größten, besten und teuersten Produktion nicht. Das ist ganz großes Songwriting, und genau dafür muss man dieses Album lieben!

Nach der auf Anhieb gefallenden Curtis-Mayfield-meets-Bossa-in-Moll-Nummer „People“ mit seinem hübschen To-nothing-to-nothing-to-nothing-to-nothing-Refrain, der sich bestens als Prokrastinationsaufforderung „do nothing“ missverstehen lässt, folgt mit „Petite Bibiche“ dann auch gleich noch eine Reprise des Albumhighlights „Little Black Fly“, auf der Bagbeater ebenso überraschend wie überragend seinen Vokal-Einstand gibt und aus dem Lied ein tiefenentspanntes Tag-am-Meer-Stück zaubert. Wo Alexa Rodrian zugibt, immer ein bisschen zu laut und zu schrill zu sein („Talk a little too much/laugh a little too loud“), geben Bagbeaters sanfte Vokals dem Album die fehlende Portion Zerbrechlichkeit.

Abgerundet wird Mothersday von einem Instrumental im Western-Noir-Modus, wo die Coyoten heulen, die Felsen klaffen und das Böse naht. „Ghetto Swingers (Film Version)“ entpuppt sich als ganz feiner Track für Rare-Groove- und Cinematic-Fans und besticht obendrein mit einer johnzornesken Koda, die auch die Bühne der berüchtigten Knitting Factory nicht scheuen müsste, wo Rodrian früher oft auftrat. Mothersday verbindet spielerisch die Anfänge Rodrians mit ihrem jetzigen Leben und spannt so eine Brücke voller Jazz von New York nach Berlin.

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