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Mit Peter Gabriel verhält es sich ein bisschen so, wie mit Dame Shirley Bassey aus einer meiner letzten Kolumnen: Nach mittlerweile mehr als 40 Jahren im Business hat wohl jeder Fan seine ganz persönliche Gabriel-Initiation, sei es, dass mit Genesis nach seinem Weggang 1975 alles ganz furchtbar – oder zumindest nicht besser – wurde, sei es das 1986er-Duett „Don’t Give Up“ mit Kate Bush, sei es der weltmusikschwangere Soundtrack Passion für Martin Scorseses Film Die letzte Versuchung Christi (1989) oder die multimedialen Videospiel-CDs der Neunziger- und Zweitausenderjahre. Genügend Material dafür hat der britische Musiker jedenfalls allemal geliefert.
Nun hat sich der mehrfach Grammy-Ausgezeichnete pünktlich zu seinem sechzigsten Geburtstag ein Album voller orchestral eingespielter Coverversionen geschenkt. Und tanzt damit nicht nur durch den Album-Titel Scratch My Back aus der Reihe seiner letzten Veröffentlichungen, die nämlich durchweg mit lediglich zwei Buchstaben betitelt waren, von So (1986) über Us (1992) zu Up (2002): Peter Gabriel gehörte bislang einfach nicht zu jenen Künstlern, die es für nötig befanden, die Songs anderer Leute zu covern. Nicht eine einzige Komposition aus fremder Feder ist auf den bisherigen Studioalben des Sängers zu finden. Und jetzt gleich ein ganzes Album mit Coverversionen!
Die solcherart Gewürdigten rekrutieren sich größtenteils aus Post Punk / New Wave / 80er-Jahre-Ikonen wie David Bowie (Heroes), Talking Heads (Listening Wind), Neil Young (Philadelphia) oder Paul Simon (The Boy In The Bubble), aber auch 90er- und 2000er-(Indie-)Rocker wie Elbow (Mirrorball), Arcade Fire (My Body Is A Cage) oder Radiohead (Street Spirit) widerfährt die Ehre der Gabrielisierung. Getreu dem Sprichwort vom gegenseitigen Gefallen „Kratzt du mir meinen Rücken, kratz ich dir deinen“ ist eine Revanche der hier versammelten Interpreten mit dem Arbeitstitel I’ll Scratch Yours geplant, wo sie sich allesamt ausgewählten Stücken Peter Gabriels annehmen werden. Erleben wir hier etwa die Geburt einer neuen Konzeptreihe? Solokünstler covert verschiedene Musiker, die wiederum covern Solokünstler? Das könnte interessant werden, vorausgesetzt, man mag Cover-Versionen …
Wie dem auch sei, wenn man all das mal vergisst, das Rückengekratze weder in Gabriels Werk noch in größere popmusikgeschichtliche Zusammenhänge einordnet … dann bleibt aber immer noch ein sehr schönes, sehr intimes Album mit melancholischem Grundton, der sich, wenn nötig, bis zum Drama steigern kann. So beispielsweise lässt sich Peter Gabriels Filmmusikprägung spätestens in Track 3 nicht mehr verleugnen, vollends zum Tragen kommt sie auf „Après Moi“, im Original 2006 von der jüdisch-russischen Anti-Folk-Sängerin und -Pianistin Regina Spektor aufgenommen, wo Gabriel alles, was ein Orchester in Großbesetzung an Intensität (und Lautstärke) so herzugeben in der Lage ist, auch heranzieht. Das hat schon etwas Barockes, die Trompeten von Jericho erschallen jubilierend, die Geigen zirpen nervös, die Kontrabässe schrubben was das Zeug hält, Pauken donnern … und all das immer im abrupten Wechsel mit der lediglich klavierbegleiteten Stimme des Sängers, das ist schon ganz großes Kino! Irgendwo habe ich gelesen, dieser Song überfahre einen regelrecht – aber wie auch sonst ein Stück vertonen, das auf die Worte after me the flood endet? Frappierend, dass gerade dieser Song, der als einziger des Albums ursprünglich von einer Dame stammt, der bei weitem tosendste, druckvollste, schlicht: gewaltigste inmitten einer Reihe sehr leiser Töne ist, die im übrigen eher durch die Zurückgenommenheit der Arrangements bestechen, für die sich der Meister vom auf Streicher spezialisierten John Metcalfe (The Durutti Column) unterstützen ließ.
Wunderschön geraten ist seine Version von Lou Reeds Heiratsantrag „The Power Of The Heart“ – wer könnte da noch nein sagen? Um wedding rings geht es auch in der Liebeserklärung „Book of Love“, einem Duett mit Tochter Melanie Gabriel, die gleichzeitig als behutsamer Türöffner für das wohl traurigste Stück des Albums dient: den Randy Newman-Klassiker „I Think It’s Going To Rain Today“, von Peter Gabriel mit brechender Stimme gesungen. Wer bei „My Body Is A Cage“ noch nicht depressiv wurde, wird es spätestens jetzt.
Nahezu lebensnotwendig ist da „Listening Wind“, denn hier passiert endlich mal auch etwas in rhythmischer Hinsicht: Mit seiner blitzschnell zwischen pizzicato und coll’arco wechselnden Cello-Instrumentierung und bezwingender Rhythmik erinnert es musikalisch an einen piazolla’schen Tango Nuevo in der Interpretation von Yo-Yo Ma. Und wenn dann Groove und Geist noch Hand in Hand gehen – perfekt! Dieses Stück könnte ich immer und immer wieder hören, und es bewahrt das Album vor dem Versinken in uferloser Schwermütigkeit. Ohnehin ist Scratch My Back schon ziemlich Leonard Cohen-verdächtig, und ist es nicht pure Ironie des Schicksals, dass Peter Gabriel sich gerade auf dem Album, wo kein einziger Song von ihm stammt, als klassischer Singer/Songwriter profiliert?
Plattenkritik: Buika | Gorillaz | Peter Gabriel