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Dass diese Kolumne einen besonderen Hang zu moderner Musik aus Israel hat, ist kein Geheimnis. Nicht nur, dass gleich die allererste Besprechung Sängerin Yael Naim galt, auch Kritiken der Platten von Noa, Balkan Beat Box, Ofrin oder Irit Dekel & Eldad Zitrin zeugen von einer andauernden Liebe zu urbanen Klängen aus dem Gelobten Land, die selbst vor Kuriositäten wie Shabbat Night Fever – Groove Sounds from Israel nicht zurückschreckt. Falls Sie sich jetzt fragen, weshalb sich unter dieser Aufzählung keine Klezmermusiker finden, sei Ihnen geantwortet, dass Israel musikhistorisch betrachtet „mit Klezmer so wenig am Hut [hat]wie der Papst mit Yom Kippur“, wie die Autorin gerade erst an anderem Ort sich gezwungen sah festzuhalten. Den traditionellen ostjüdischen Klängen wurde hier deshalb in New Yorker oder Berliner Ausprägung gehuldigt, und das nicht zu knapp, ob nun mit den Klezmatics, dem Semer Ensemble oder Paul Brody. Über populäre Musik aus Israel dagegen konnte man an dieser Stelle auch in Form des Messeberichts zur 2013er jazzahead! lesen, in dessen Mittelpunkt das Galakonzert von Avishai Cohen stand, der – ebenso wie der einzigartige Asaf Avidan – zu den persönlichen Lieblingskünstlern der Autorin zählt.

Assaf Kacholi Berlin – Tel Aviv

Ganz andere, nichtsdestoweniger liebenswerte Töne hingegen kommen vom in Tel Aviv geborenen Tenor Assaf Kacholi, der seinen Heimatstrand 2002 gegen das berüchtigte Berliner Grau eintauschte. Nicht nur von diesem Kulturschock erzählt sein Liederzyklus Berlin – Tel Aviv, mit dem Adoro-Mitglied Kacholi gleichzeitig sein Solodebüt feiert. Die Liebe zur Sprache seiner Wahlheimat, die das Singen der Lieder Schuberts und Schumanns in ihm geweckt hatte, ließ ihn seine israelischen Wurzeln dennoch nicht vergessen, und so wurde die Flugstrecke Berlin – Tel Aviv steter Bestandteil seines Lebens. Zwei Städte, die verschiedene Spannungsfelder eröffnen: das zwischen der klassischen deutschen Musikkultur des letzten Jahrhunderts und der Aufbruchsstimmung eines neuen wilden Berlins ebenso wie das zwischen einem modernen, noch jungen Staat und der Tradition jahrhundertealter jüdischer Musikkultur.

Die Reise beginnt dank „Hinach Yafa Raayati“ aus der Feder des zeitgenössischen Tel Aviver Komponisten Noam Sheriff mit nichts Geringerem als der Vertonung des Liedes der Lieder, des Hoheliedes Salomons, das hier von Yonatan Birenbaums Gitarre im Stile einer langsamen Milonga einfühlsame Begleitung findet und gleichzeitig ein treuen Lesern hinlänglich bekanntes Phänomen zeitigt: Hebräisch hören macht glücklich, selbst, wenn man es nicht versteht. Kacholis lyrischem Tenor, erst vorsichtig tastend, sich zunehmend entfaltend, dabei aber stets so zurückhaltend, dass er auch in den Ohren von Nicht-Klassik-Hörern immer angenehm und nie artifiziell klingt, gelingt es dabei, für alles Kommende einzunehmen. Etwa dem ebenfalls eher im popkulturellen Kontext zu verortenden, gleichermaßen lediglich gitarrenbegleiteten „What Is A Youth“, das Filmmusikkomponist Nino Rota für den Soundtrack von Franco Zeffirellis 1968er Romeo und Julia-Verfilmung geschrieben hat. Während Kacholi zum Minnesänger mutiert, gerät Shani Inbars Gitarre zum Vehikel des Troubadours, alldieweil der altenglische Text, den US-Dramatiker Eugene Walter in Anlehnung an Shakespeares Was ihr wollt verfasst hat, dem Ganzen eine gehörige Portion an Dowland’schem Flair verpasst. Dem elisabethanischen Komponisten wird folgerichtig auf „Flow My Tears“ Reverenz erwiesen, wo sich Kacholi im inbrünstigen Zwiegesang mit Inbars behutsamen Saitenklängen, die das Bild einer Renaissance-Laute heraufbeschwören, wiederfindet.

Von der Insel auf den Kontinent fliegt uns Schuberts düster-romantisches „Ständchen“, mit dem Klavierbegleiter Efrat Levy seinen Einstand ins Album feiert. Gemeinsam gelingt es beiden Musikern, dass sich schon bei der Auftaktzeile „Leise fliegen meine Lieder“ Gänsehaut einstellt, die der Hörer das ganze Stück über nicht mehr loswird. Einmal mehr fällt die Sanftheit von Kacholis Tenor auf, der nichts beweisen muss, nicht die Theatralik sucht, nicht durch Volumen zu beeindrucken trachtet – in seiner subtilen Verhaltenheit dabei umso wirkungsvoller ist. „Ich singe gern deutsche Lieder“, sagt Kacholi. „Sie sind irgendwie emotional, gleichzeitig aber immer etwas zurückhaltend. Sie schreien nicht, sondern sind mehr nach innen gerichtet.“ Man kann guten Gewissens behaupten, dass sich Sänger und Repertoire mit den Liedern der Deutschen Romantik gefunden haben.

Assaf Kacholi | Berlin – Tel Aviv 1

Mit Clara Schumanns die Nachtseite der Musik weiterverfolgendem „Die stille Lotosblume“ überzeugt Kacholi dann auch den gemeinen Pophörer vollends vom Besuch eines romantischen Liederabends. Der folgende Sprung zum Weill’schen „Wie lange noch?“, das im Grunde seines Herzens ein wunderbarer Tango ist, gerät ob des sich durch das Album ziehenden, verhaltenen Duktus‘ nicht allzu groß – selbst dann nicht, wenn Kacholi gen Ende erstmals seine Stimme voll aussingt. Wer weiß, dass das Stück die deutsche Version des schon 1934 entstandenen französischen „Je ne t’aime pas“ ist, findet Freude an der thematischen Entsprechung, die das von Sängerpianist Paolo Tosti geschriebene „Non t’amo più“ offeriert. „Und als Tenor“, schmunzelt Kacholi, „muss ich natürlich auch auf Italienisch singen!“ Mit „Sogno“ bleibt das Album bei Tosti, kehrt dabei jedoch zur sparsamen Gitarrenbegleitung zurück.

Zurückkehren ist auch das Stichwort für „Zipori“, mit dem Berlin – Tel Aviv den Bogen zum hebräisch-israelischen Themenkreis des Beginns schließt. „Heimweh nach der eigenen Sprache“ sei es gewesen, das Kacholi die – in der klassischen Tenorausbildung nicht unbedingt auf dem Stundenplan stehenden – hebräischen Lieder entdecken ließ. Bekannt wurde das Stück von Oded Lerer in der Interpretation Ofra Hazas, deren 2014 auf Hed Arzi Records posthum erschienenes Album jedem an israelischer Folklore Interessierten empfohlen sei, nicht zuletzt, weil es mit dem unüberbotenen „Kol haneshama“ eröffnet, von dem übrigens vor einigen Wochen Samirah Al-Amrie unter dem Titel „Simeni kahotam“ eine ganz wunderbare Version aufgenommen hat. Mehr modernes Kunstlied ist „Shnei Shoshanim“ von Mordechai Zeira, der – 1905 in Kiew geboren, 1924 nach Palästina emigriert – als Komponist vieler ikonischer hebräischer Lieder gilt, ob nun „Hayu Leilot“, „Layla Layla“ – oder eben „Shnei Shoshanim“, dessen von Nationaldichter Ya’akov Orland verfasster Text sich um die Legende zweier Rosen rankt, einer roten und einer weißen, von denen eine nachts gepflückt wird, ohne dass sich in der Dunkelheit feststellen lässt, welche, und das Herz der anderen nunmehr für immer gebrochen ist.

Weitaus weniger Drama, dafür aber viel mehr Augenzwinkern verspricht Weills „Berlin im Licht“. Mit dem auch jetzt wieder vor der Tür stehenden Berliner Winterdunkel (und wie man ihn überlebt) hat der ans subtropische Hafenstadtklima Tel Avivs gewöhnte Kacholi, der sich hier im Übrigen als passabler Revuesänger erweist, seine ganz eigenen Erfahrungen gesammelt: „Es hat vieler langer Winter in Berlin bedurft, bis ich gelernt habe, wie man mit dieser Dunkelheit klarkommt“, gibt er zu Protokoll. Kein Wunder, dass es den Sänger für den Abschluss seines Albums mit dem Wiegenlied „Shir Eres“ des 1914 in Moskau geborenen, 1934 in Palästina eingewanderten Komponisten Alexander „Sascha“ Argow wieder in seine musikalischen Heimatgefilde zieht, in die er noch einmal alle Zartheit legt, zu der seine Stimme fähig ist.

Assaf Kacholi | Berlin – Tel Aviv 2

Applaus zeichnet den Übergang zu zwei Bonustracks: Dem im Tel Aviv Museum of Art aufgenommenen „By Strauss“ von Gershwin, welches als einziges Stück nicht wirklich zum Album passt, da sein superhappy Ton Kacholis Stimme schlicht nicht steht, sowie einer Live-Reprise von Rotas „What Is Youth“, das sich hier mit Orit Wolf am Piano fast noch herzergreifender als die Albumversion zeigt und einmal mehr daran erinnert, was so (Ver-)Liebenswert an diesem supersensiblen, einfühlsamen und feinfühligen Tenor ist. Must Have der Saison!

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