John Cale – POPtical Illusion
Mit POPtical Illusion beweist John Cale, dass ihm auch mit 82 Jahren noch zeitgenössische, moderne Kompositionen gelingen. Das 18. Studioalbum des Ausnahmemusikers umfasst nur einen Teil der Songs, die Cale im Lockdown der Pandemie schrieb. So erklärt sich auch, weshalb Cale nur ein Jahr nach seinem letzten Album 2023 eine neue Veröffentlichung nachschiebt. Trotz Lockdown ist „POPtical Illusion“ voller hoffnungsvoller Lyrics und reich an frischen Sounds. Hier hört man, dass sich das ehemalige Velvet Underground Mitglied von Hiphop, vielen Synthies und auch Noise inspirieren ließ.
„Davies and Wales“ zum Beispiel ist ein schwungvolles Stück mit klirrenden Synthies und einer Drum Machine mit gelegentlichen Drum-Rolls, bei dem Cale seine altersbedingte Weisheit durchblitzen lässt: „Make it happen for you in the future, It’s a better life than in your past“ hört man da. Oder der Aufruf, dass man Vergangenes nicht bereuen, sondern sich lieber auf das Heute konzentrieren soll. Das klingt nach Fortschritt, Persönlichkeitsentwicklung und nach Erfahrungen, die Cale selbst gemacht haben könnte.
Im Kontrast dazu beginnt die Platte mit „God Made Me Do It (don’t ask me again)” träumerisch. Vom raschelnden Drumcomputer begleitet, singt Cale hier geheimnisvoll „I’m trying to bring him in from the dark“ oder „There’s someone whispering in my ear tonight“. Das passt zu den dreamy Synthies und Effekten, die den Song ausmachen.
Besonders im Ohr bleibt der mehrstimmig gesungene Chorus von „How We See The Light“. Der Song besteht aus den Stakkato-Akkorden eines E-Pianos, über die Cale einen Industrialbeat am Computer zauberte. In der Bridge des Lieds gesellt sich noch eine Gitarre hinzu. Trotzdem steht der Gesang von Cale im Vordergrund, der wie schon zuvor lyrisch zurückblickt und die Magie des Lebens beschreibt.
Andere Songs wie „Company Commander“ sind weniger radiotauglich. Hier spricht Cale meist in Spoken-Word-Manier mit einer stark verzerrten Stimme. Die avantgardistischen Sounds im Hintergrund machen das Stück endgültig zu einem experimentellen Moment auf der Platte. Die Abwechslung, Genre-Unbeständigkeit und Kreativität, die Cale damit an den Tag legt, sind beeindruckend.
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Angélica Garcia – Gemelo
Nach einer Tiny Desk Performance und Barack Obama, der ihre Musik in seine berühmte Playlist fügte, sollte man meinen, Angélica Garcia Namen schon einmal gehört zu haben. In Deutschland ist die Musikerin aus Los Angeles mit mexikanisch-salvadorianischen Wurzeln jedoch noch nicht wirklich bekannt. Das könnte sich mit ihrem neuen Album Gemelo ändern. Hier singt sie erstmal durchgehend auf Spanisch und vermischt dabei Pop mit Garage Punk sowie südamerikanischen Einflüssen.
Die Single „Juanita“ ist zum Beispiel stark vom kolumbianischen Paartanz Cumbia beeinflusst und geht lyrisch auf den Namen von Garcias Ururgroßmutter, Juanita, ein. Die Musikerin spricht sie in dem Song mehrfach an, ruft immer wieder ihren Namen und arbeitet damit ihr spirituelles Erbe auf. Begleitet von südamerikanischen Rhythmen, einem dröhnenden Bass und elektronischen Effekten sowie Synthesizer erklingt Garcias Stimme klar und verletzlich. Später schwirren viele Stimmen über das Trommel-Bass-Gerüst, was fast gruselig und wie ein musikalischer Vorgeschmack auf das Reich der Toten klingt.
Auch mit anderen Songs wird die Platte experimenteller. Auf „El Que“ zum Beispiel spricht Garcia überwiegend – und wird dabei von einem immer wieder auflebenden Ton begleitet; der wummernde Bass überträgt sich wie ein Herzschlag. Später setzt so etwas wie ein Beat ein, der einen Electropart einleitet – und die Vocals sind mit immer mehr Effekten belegt. Selbst, wenn man Spanisch nicht versteht, überträgt sich die dramatische Intensität von Garcias‘ Performance. „Intuición“ ist da mit einem Synthie-Bass, quirligen elektronischen Tonfolgen und einer Drum Machine verspielter, im Ansatz aber allein durch das Arrangement für eine Pop-Künstlerin experimentell. Die Songs auf dem Album machen genau deshalb Spaß: Hier findet man ausgeklügelte Kompositionen, die detailverliebt sind und ein starkes Statement zu Garcias ethnischen Wurzeln bieten!
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Spresso – Rockstars
Was das Duo Spresso unter Rockstars versteht, erfährt man musikalisch auf der so betitelten neuen EP der beiden. Bestehend aus Mica Levi, bekannt aus Projekten wie Tirzah oder der Filmmusik von Jonathan Glazer’s „The Zone of Interest“, und Alpha Maid, dessen weitere Projekte von Lo-Fi Grunge bis hin zu Glitch reichen, hört man hier einen interessanten Ansatz aus Rock-Riffs und Experimentierfreudigkeit.
Die achtminütige EP beginnt mit „Day Out“: Ein Power-Chord-Riff, das ordentlich verzerrt erklingt, ein kristall-klares Schlagzeug und ein laufender Bass im Hintergrund bilden das musikalische Gerüst. Der Sprechgesang ist auf der Single deutlich im Vordergrund und trägt zur Grunge-Stimmung des Tracks bei. Dass das Schlagzeug mal holpert, macht „Day Out“ noch authentischer. Hier hat man das Gefühl, im Proberaum mit dabei zu sein. Auch im nächsten Track überzeugt die DIY-Attitüde: Ein Instrumental aus Gitarren-Riff, Bass und Schlagzeug, das immer mal wieder von einem vokalen „Oh“ durchbrochen wird.
Das musikalische Motiv wird im dritten Track „VIP Room“ erneut aufgenommen. Hier kommt das Gefühl auf, in einer riesigen Halle zu stehen. Der Sound wabert und Echos verschwimmen ineinander. Die Stimme, die über der Sphäre an Geräuschen und Tönen hallt, bleibt im Ohr und mutet melancholisch an. Nach knapp zwei Minuten hört die Musik auf und ein neues Motiv erklingt, wobei die Gitarre fast nur aus Fuzz und Noise besteht. Nach anderthalb Minuten wiederholt sich das.
Spresso erforschen damit nicht nur die Sounds des Rocks. Sie definieren Grunge, Lo-Fi und Garage-Rock neu und packen die Genres in eine Club-Peripherie. Für Momente, in denen man sich experimentellen, atmosphärischen Welten ausliefern möchte, auf die man sonst nicht so einfach stößt, ist diese EP perfekt!
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