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Von Alison Balsom stammt der Satz „Wir müssen die klassische Musik nicht retten – sie muss uns retten.“ Ein schönes Statement, um diese Kolumne zu beginnen. Mal sehen, ob die hier vorgestellten Kompositionen und Aufzeichnungen das Zeug dazu haben, uns zu retten. Oder ob doch Anlass zur Sorge um die klassische Musik besteht.

Alison Balsom – Baroque Concertos

Alison Balsom - Baroque Concertos

Und da die britische Trompeterin diesen Überblick mit ihrem geistreichen Statement eröffnet hat, beginne ich mit ihrer aktuellen Arbeit, einer Aufnahme von barocken Konzerten, für die Piccolotrompete transkribiert. In Trevor Pinnock, dem langjährigen Leiter des bekannten English Concert und Gründer der Pinnock’s Players, hat Balsom einen begeisterten Partner für dieses Projekt gefunden. Vorgetragen werden Konzerte von Albinoni, Händel, Telemann und Vivaldi sowie vom nicht ganz so bekannten italienischen Komponisten Alessandro Marcello (1673-1747).

Publiziert wurde das Ganze von Warner Classics. Dieser Verlag steht regelmäßig für hervorragende Produktionen. Da macht dieses Projekt keine Ausnahme. Das Album „Baroque Concertos“ erfüllt alle Anforderungen an eine audiophile Aufnahme; es exponiert ein Höchstmaß an Luftigkeit, Präzision, Räumlichkeit und Aufnahme. Und korreliert insofern mit den musikalischen Qualitäten dieses geistreichen Experiments.
Das kleine Ensemble und die Solo-Trompeterin spielen auf mit viel Elan, Verve und Lust am musikalischen Dialog. Dabei werden buchstäblich alle Temperamente der barocken Weltanschauung durchgespielt. Dem höfischen Überschwang wird hier in gleichem Maße gehuldigt wie der kontemplativen Versunkenheit.

Ensemble wie Solistin treffen in stupender Harmonie stets die gleichen, die richtigen Klangfarben. Die barocke Szenerie wird hier nicht zur bizarren Drag-Show verballhornt, wie in den letzten zwei Jahrzehnten allzu üblich. (Insbesondere Cecilia Bartoli hat einen fragwürdigen Anteil an dieser befremdlichen Entwicklung.)

Die Musiker aus dem Vereinigten Königreich sind gegen derlei Unsinn gefeit, ohne ins Trost- oder Bedeutungslose abzudriften. Ensemble und Solistin pflegen einen kultivierten Diskurs, der bisweilen ins Übermütige, Tänzerische tendiert, allerdings ohne Überspitzungen, ohne ins Exaltierte oder Grelle zu driften.

Balsom musiziert beweglich und farbenfroh; sie verleiht ihrem Instrument einen eleganten, warmen Glanz und behält selbst in den hohen Lagen eine klangliche Noblesse bei. Und die Pinnock’s Players firmieren keineswegs nur als begleitendes Kammerorchester; nein, die halten mit und setzen feine Akzente oder Kontrapunkte, zeichnen Linien weiter aus, eröffnen oder beschließen musikalische Partien mit Bestimmtheit, Selbstbewusstsein und großer formeller Akkuratesse.

Insofern ist dieses kleine Experiment, dem – mancher mag es befürchtet haben – alles Überkandidelte, Skurrile oder Befremdliche abgeht, durchweg gelungen und eine schöne Ergänzung barocker Klangwelten.

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Daniel Barenboim – The Five Piano Concertos (Beethoven)

Daniel Barenboim - The Five Piano Concertos

Ludwig van Beethoven (1770-1827), der Komponist der Goethezeit, ist ästhetisch und formal schon weit von diesen Klangwelten entfernt. Das ist in besonderem Maße an seinen fünf Klavierkonzerten ablesbar. Die entstanden zwischen 1787 und 1809 und reflektieren musikalisch den Epochenwandel vom Klassizismus zur frühen Romantik.

Die ersten beiden Konzerte (eigentlich in umgekehrter Reihenfolge komponiert, aber später nummeriert) orientieren sich an den Vorbildern von Mozart und Haydn. Mit dem dritten Konzert in c-Moll (1800) treten eigene Akzente hervor, mehr Dramatik im Ausdruck, größere Spannungsbögen und eine stringentere Dialogführung zwischen Soloinstrument und Orchester.

Das vierte Konzert (1805–1806) bringt eine weitere Neuerung mit sich – das Klavier setzt nicht erst nach einer orchestralen Einleitung ein, sondern eröffnet das Werk direkt. Dies war für die Zeit ungewöhnlich und zeigt Beethovens Ambitionen, traditionelle Strukturen aufzubrechen. Das fünfte Konzert (1809), auch als „Emperor-Konzert“ bezeichnet (ein Name, den Beethoven selbst nie verwendete), wurde unter schwierigen Bedingungen komponiert – Wien war zu dieser Zeit von Napoleons Truppen besetzt.

Das Werk zeichnet sich durch eine größere Orchesterbesetzung und einen erweiterten Klangraum aus, bleibt in seiner formalen Anlage aber der klassischen Konzerttradition verpflichtet.

Beethovens Klavierkonzerte haben das Genre nicht grundlegend verändert, aber sie haben es in seiner Ausdruckskraft und technischen Gestaltung weiterentwickelt. Und sie gehören zum Standardrepertoire im Konzertsaal und im Aufnahmestudio. Zu den besonders renommierten Aufzeichnungen zählt die mit Vladimir Ashkenazy am Piano und Georg Solti am Pult des Chicago Symphony Orchestra von 1973. Eine schöne Aufnahme jüngeren Datums ist die mit Krystian Zimerman, Simon Rattle und dem London Symphony Orchestra von 2021.

Recht frisch aus dem Presswerk liegt jetzt die Einspielung mit Daniel Barenboim, Otto Klemperer und dem New Philharmonia Orchestra vor mir, publiziert 2025. Diese Angaben erfordern einige Erläuterungen und Richtigstellungen.

Erstens: Es handelt sich nicht um eine aktuelle Aufnahme, sondern um eine aus dem Jahr 1967. Zweitens: Daniel Barenboim hatte hier nicht das Dirigat inne, sondern die Rolle des Solo-Pianisten. Und zwar neben oder vielleicht besser „unter“ Otto Klemperer (1885-1973), dem seinerzeitigen Großmeister am Pult.

Technisch liegt das Ganze in Form von drei Super Audio CDs (SACDs) vor. Warner Classics verbindet mit dieser Veröffentlichung also audiophile Ambitionen. Ob das Kalkül aufgegangen ist, werden wir sehen.

Beethovens Klavierkonzerte haben mit aufsteigender Zahl eine zusehends sinfonische und militärische Prägung – mit ihm beginnt gewissermaßen die musikalische Wiederaufrüstung nach der klanglichen Beschränkung im Barock und den verspielten Dekorationen im Rokoko.

Der strenge, bisweilen harte Ton ist den Klavierkonzerten Beethovens durchgehend zu eigen, erst recht unter dem Dirigat Klemperers. Der verleiht den Kompositionen ein hohes Maß an klassischer Klarheit, Stringenz und Transparenz. Die musikalischen Bewegungen sind zwar scharf konturiert, aber weit ausgreifend, raumgreifend und großflächig. Dabei schaffen der Neo-Klassizist Klemperer und das Orchester schöne Schattierungen und Abstufungen in den feindynamischen Passagen.

Barenboim gelingen am Piano perlende, brillante, elegante Partien, selbstbewusst und klar, allerdings ohne Lässigkeit oder Nonchalance. Barenboim verzichtet hörbar auf jede Attitüde, allerdings auch auf Problematisierungen oder Widerrede. Kontrast entsteht lediglich durch die fließende Eleganz von Barenboims Spiel und die strenge Struktur des Orchestervortrags. Dadurch wird die Klassizität der Komposition unterstrichen.

Lediglich in den Tutti-Passagen verlieren die Darstellungen gelegentlich an Konsistenz. Die wirken bisweilen komprimiert, etwas fahl und gestresst. Auch passen sie nicht ganz zur Farbigkeit des Pianos, wenngleich das in den tiefen Lagen metallisch hart klingen kann und ein wenig Körper und Substanz vermissen lässt. Aber Sie ahnen es, lieber Leser, das sind eher klangliche Aspekte.

Tatsächlich wird das Klang-Versprechen auf den drei SACDs nicht ganz eingelöst. Das mag mit der Produktionsumgebung zu tun haben. Eine Vermutung! Grundsätzlich sind zahlreiche Aufnahme aus den 1960er Jahren von erstaunlicher klanglicher Qualität. Das gilt zum Beispiel für den nur wenige Jahre später entstandenen Zyklus mit Ashkenazy und Solti. Der ist nicht nur klanglich von größerer Finesse, sondern auch musikalisch abwechslungsreicher, widersprüchlicher und komplexer.

Im Vergleich zur Darstellung von Klemperer und Barenboim gehen Solti und Ashkenazy etwas expressiver zu Werke, mit mehr Dynamik, mehr Dekoration und mehr Kontrast. Die Klassizität wird hier zuweilen in Frage gestellt, zurückgefahren oder skeptisch zur Schau gestellt; das Militärische in Beethovens Kompositionen wird parodiert und in seiner epochalen Würde gemindert. Mit anderen Worten: Bei Solti und Ashkenazy sind die Uniformen bunter und tendieren absichtsvoll ins Karnevaleske. Gleichwohl greift Ashkenazy etwas bestimmter in die Tasten als Barenboim, verschafft dem Ganzen so auch mehr Untertöne.

Freilich, all das ist Geschmacks- und Empfindungssache. Der hier vorgestellte Zyklus hat seine unbedingten Reize, bereichert jede Beethoven- und/oder Klemperer-Kollektion und vermittelt überdies ein streckenweise eindrucksvolles Bild von Klemperers musikalischer Ästhetik.

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Sophie de Bardonnèche – Destinées

Sophie de Bardonnèche - Destinées

Ein musikalisch kundiger und aufmerksamer Freund von mir hat mich auf das Album Destinées (deutsch: Schicksale) von Sophie de Bardonnèche hingewiesen. Ein Experiment wie die eingangs besprochene Aufnahme mit Alison Balsom, freilich in ganz anderer Perspektive. Denn hier geht es nicht um die instrumentelle Erweiterung des barocken Klangspektrums, sondern vielmehr um eine quasi-philologische, musikhistorische Recherche. Der Geigerin Sophie de Bardonnèche ist es daran gelegen, die musikalischen Leistungen von allenthalben vergessenen Komponistinnen des Barock-Zeitalters zu rekonstruieren.

Gemeinsam mit ihren Mitspielern Lucile Boulanger und Justin Taylor entführt sie den Hörer in dem 2024 bei Alpha Records veröffentlichten Album auf eine faszinierende Reise in die Welt der „weiblichen“ französischen Barockmusik, komponiert von bemerkenswerten Frauen des 17. und 18. Jahrhunderts.

Im Mittelpunkt steht Élisabeth Jacquet de La Guerre, eine herausragende Komponistin ihrer Zeit, deren Werke hier neben Stücken von neun weiteren, zumeist übersehenen Künstlerinnen präsentiert werden. Mit einer Mischung aus Sonaten, Tänzen und Ouvertüren zeichnet das Trio ein lebendiges Porträt dieser musikalischen Pionierinnen und erweckt ihre Kompositionen mit frischer Energie zum Leben.

Alle Interpretationen zeichnen sich durch eine intime Kammermusik-Atmosphäre aus, die durch die warme Akustik der Église Allemande in Paris unterstützt wird, wo die Aufnahmen im Februar 2024 stattfanden. Sophie de Bardonnèches virtuoses Violinspiel harmoniert meisterhaft mit Lucile Boulangers einfühlsamer Viola da Gamba und Justin Taylors lebendigem Cembalo. Gemeinsam schaffen sie ein Klangbild, das die emotionale Tiefe und den historischen Kontext der Werke authentisch widerspiegelt. Dieses Album ist nicht nur eine Hommage an die oft vergessenen Komponistinnen des Barock, sondern auch ein Beweis für die zeitlose Relevanz ihrer Musik.

Umso mehr, als den Interpreten auch hier ein ebenso sachkundiger wie zwangloser Zugang zur Musik der Barock-Komponistinnen gelungen ist; auch hier wird konsequent der richtige Ton gefunden. Elegische Partien werden mit derselben Eindringlichkeit reproduziert wie feierliche oder theologisch aufgeladene Passagen.

Freilich, nichts davon kommt poliert oder ostentativ daher; ganz im Gegenteil, das kleine Ensemble stellt das Spröde, das schwer Zugängliche, das Inkommensurable mit viel musikalischer Achtsamkeit in den Raum, ebenso wie das überzeitliche Empfinden und das spezifisch Moderne, das dem Barock gleichsam immer noch entwächst.

Einen nicht geringen Anteil daran hat das nachgerade spektakuläre Instrument der französischen Geigerin. Die nämlich spielt eine Violine von Antonius und Girolamo (Hieronymus) Amati aus dem Jahr 1596, also ein Instrument, das deutlich älter ist als die weltberühmten Geigen der Familien Stradivari oder Guarneri! Und diese Violine klingt herrlich trocken, körperhaft und farbig, zugleich etwas harsch, fast so, als sollte im Klang die große Kargheit der barocken Lebenswirklichkeit reproduziert werden.

All das geschieht hier ohne jedes Ausrufezeichen, ohne neumodische Attitüde, vielmehr musiziert das kleine Ensemble konzentriert und dezent, umsichtig und sensibel, klangschön und formbewusst. Fast überflüssig zu sagen, dass diese Aufnahme die höchsten audiophilen Meriten für sich beanspruchen darf: Die „Schicksale“ klingen frei, offen, luzide und transparent; das Klangbild zeichnet sich durch Präsenz, Plastizität und Tiefenschärfe aus.

Überdies ist diesem Projekt neben seinen klanglichen Qualitäten ein hoher Repertoirewert zuzusprechen. Und nicht nur das: Die Kompositionen der hier (wieder) entdeckten Künstlerinnen müssen sich vor vergleichbaren Werken Bachs, Händels oder Vivaldis nicht verstecken und stehen in ihrer ästhetischen Güte ganz für sich.

Insofern darf man sich auf weitere musikhistorische Expeditionen von Sophie de Bardonnèche freuen. Und abschließend, um auf Alison Balsom zurückzukommen, beruhigt feststellen, dass die klassische Musik nicht gerettet werden muss.

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Über die Autorin / den Autor

Equipment

Digitale Quellen: D/A-Wandler: Musical Fidelity M6sdac CD-Player: Musical Fidelity M6cd, Sony CDP XA 5 ES, Sony CDP XA 7 ES, Sony SCD 555 ES Streamer: WiiM Pro Plus, Sonos Port

Vollverstärker: Musical Fidelity M6si, Akai AM 75, harman/kardon HK 1400 und PM 665 Vxi, Sansui AU 919

Lautsprecher: Dynaudio Contour 20, Harwood Acoustics LS3/5a

Kabel: Lautsprecherkabel: Reson LSC NF-Kabel: Kimber PBJ WBT-147, Audioquest Z1, Oehlbach NF 14 Master X Digitalkabel: Audioquest Cinnamon RJ/E Ethernet, Oehlbach NF 113 D Netzkabel: Oehlbach Powercord C13 Netzleiste: Oehlbach Powersocket 907 MKII

Zubehör: Stromfilter: Dynavox HiFi-Netzfilter X4100S Sonstiges: Doppelsteckdose Furutech FP-SWS-D (Wandeinbau)

Sonstiges: Lautsprecher-Ständer von Mission Audio

Größe des Hörraumes: Grundfläche: 32 Quadratmeter Höhe: 3,80 Meter