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März 2015 / Nick Mavridis
Der erste Teil dieser Serie rund ums Vinyl hat sich mit der grauen Theorie der Schallplatte beschäftigt. Jetzt kommt Farbe ins Spiel, denn ein Besuch in einem der fünf verbliebenen Presswerke Europas – dem Pallas in Diepholz – steht auf dem Programm. Damit allerdings die Musik – welche als fertiges Master zumeist als digitales Audiofile, seltener auf einem Tonträger wie Magnetband vorliegt – als Vinylscheibe vervielfältigt werden kann, muss zunächst einmal eine erste Schallplatte geschnitten werden. Dies wiederum passiert nicht im eigentlichen Presswerk, sondern in einem der Masteringstudios, die über derartiges Equipment verfügen. Um die Chronologie der Tonträgerherstellung in diesem Artikel einzuhalten, erfolgt also zunächst ein Blick dorthin:
Der DMM-Schnitt bei Railroad Tracks
Im beschaulichen Kerpen-Buir in der Kölner Bucht findet man in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude das Studio „Railroad-Tracks“ (www.railroad-tracks.de), welches zum Teil mit dem Equipment der ehemaligen EMI-Studios am Maarweg in Köln arbeitet. Neben der englischen Sonderanfertigung einer Überspielkonsole, die in ähnlicher Ausführung auch in den legendären Abbey Road Studios zum Einsatz kam, wird eine deutsche Schneidemaschine verwendet: John Cremer, der Mastering-Ingenieur des Studios, bedient dort eine Neumann-Anlage, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt wird.
Das DMM-System während des Schneidevorgangs
In Kerpen wird im DMM-Verfahren geschnitten, also direkt in die obere Kupferschicht einer Platte, die ansonsten aus Stahl besteht. „DMM“ steht für „Direct Metal Mastering“ und wurde in den 1980ern von Teldec entwickelt. Die Diskussion darum ist vielleicht bekannt, aber ganz unbestreitbare Vorteile gegenüber dem üblicheren Schnitt in Nitrozelluloselack ist, dass zwei Arbeitsschritte und die damit verbundenen Fehlerquellen umgangen werden können. Denn es wird bei DMM direkt ein Schnitt vorgenommen, der der Nickelmutter des Lackschnitts entspricht, welche dort erst nach Negativ- und wiederum Positivabdruck der geschnittenen Platte entsteht.
Auch kommen Vor- und Nachechos beim DMM nicht vor. Zudem wird bei Verwendung einer hochwertigen Kupferplatte eine Rillentiefe ermöglicht, die groß genug ist, um höhere Pegel zu erreichen – und damit bessere Rauschspannungsabstände zu erzielen (allerdings sparen manche Masteringstudios am Material). DMM wird klanglich manchmal als „härter“ empfunden, dies liegt aber daran, dass durch die Erwärmung des Schneidestichels im Lackverfahren auch die Lackschicht ein wenig nachgibt, erklärt John Cremer. Das sei wie bei Margarine, wenn man mit einem heißen Messer schneidet. Die Schnittstellen laufen ein wenig nach. Dadurch verschwinden bei Lackplatten die feinen Details der Rille, bei DMM eben nicht. Und feine, kleine Veränderungen auf den Flanken sind …? Ganz einfach: Höhen.
Keine Wolle: Die vom Schneidestichel entfernte Kupferschicht ist ein kontinuierlicher Strang und wird in diesem Behälter gesammelt
Von einer Kupferplatte lassen sich im Presswerk acht bis zehn Druck-Matrizen herstellen, mit denen ohne Qualitätsverluste jeweils etwa 400 Platten gepresst werden können. Somit ist ein einziger Schnitt für die heute typische Auflagenstärke eines Albums ausreichend – wird mehr benötigt, muss halt häufiger geschnitten werden. Allerdings ist auch noch ein anderes Material dem Verschleiß ausgesetzt: der Schneidediamant. Dieser muss nach ein paar Dutzend Arbeitsstunden nachpoliert und nach einer gewissen Zahl an Poliervorgängen ersetzt werden.
John Cremer schleift auch feinste Unebenheiten von der Rückseite der Platte
Die auch auf der Rückseite zwingend von allen Unebenheiten befreite Rohlingplatte wird auf den Recorder gesetzt. Wer sich bei der heimischen Anlage mit Auflagegewichten und der Verhinderung von Schwingungsübertragungen beschäftigt, dürfte folgende Information hilfreich finden: Das eigentliche Schneidesystem ist samt Plattenteller in der Maschine mit einem Subchassis schwingungsfrei aufgehängt, die komplette Maschine selbst steht zudem zusätzlich auf Dämpfern, sodass die Züge, die nur wenige Meter vor dem Haus die Bahntrasse (das ist die Hauptachse Köln – Paris!) vorbeibrausen, keinerlei Einwirkungen auf den Schneidevorgang haben. Ein kleiner Metallpuck, der auf den Metalldorn gesetzt wird, hätte bei der schweren Kupferplatte höchstens kosmetische Auswirkungen. Der Rohling mit der Kupferbeschichtung wird mit einem Vakuum von annähernd 1 Bar Unterdruck auf den Teller gesaugt. Die Pumpen dafür stehen im Keller des Hauses, sie sind schlicht und einfach zu laut.
Unüblicher Plattenteller: Der Rohling wird mit einer …
… Vakuumpumpe angezogen
Das zu schneidende Material wird nicht einfach blank überspielt, sondern erfährt im Masteringprozess noch gewisse Veränderungen mit EQ, Kompressor und anderen Gerätschaften. Die RIAA-Schneidekennlinie ist quasi „eingebaut“, sie muss ja nie verändert werden. Für das Füllschriftverfahren aber, bei welchem die Rillen so nah wie möglich aneinander angeschmiegt werden, ist es notwendig, das zu schneidende Audiomaterial um genau eine Plattenumdrehung zu verzögern (bei 33 1/3 900 ms), was aus Klangqualitätsgründen mit einem digitalen Delay realisiert wird. Die Pausenrillen werden übrigens mit der Hand gesetzt – das ist ein einziger Knopf auf der EMI-Konsole. Dennoch gilt es, den Schneidevorgang zu kontrollieren. Pegel werden kontrolliert, die Stichelauslenkung wird angezeigt und sollte eine gewisse Tiefe nicht überschreiten. 100 µm können für Presswerke nämlich deutlich problematisch werden. Das Audiomaterial ist so vorbereitet, dass die automatischen Schutzsysteme möglichst nicht zum Einsatz kommen, denn was technische Probleme mit rabiaten Methoden verhindert, klingt meistens nicht besonders gut, etwa dann, wenn die Auslenkung begrenzt wird.
Die Überspielkonsole
John Cremer wendet einen Trick an, damit die Gefahr, dass im Presswerk ein Etikett unter dem Druck verrutscht, minimiert wird: Der Automat ist so eingestellt, dass er hinter der inneren Leerrille (welche bei Pink Floyds Originalpressung von Alan’s Psychedelic Breakfast den ewig tropfenden Wasserhahn beinhaltet) der Schneidestichel erneut ansetzt. Das Rillenmuster bietet gute Haftung für die Papierlabels auf den Vinylplatten. Nach dem Schneideprozess wird die Kupferplatte kontrolliert (sie darf sogar abgespielt werden – aber nicht zu oft!) und direkt im Anschluss mit Kürzeln graviert: Im Presswerk muss jede Platte und auch jede Plattenseite eindeutig zugeordnet werden können! Ist all das geschafft, kommen zwei Kupferscheiben in einen Karton und werden auf die Reise nach Diepholz zur Pallas geschickt.
Um die Kupferplatten verwechslungssicher zu markieren, werden sie graviert. Das wird natürlich mitgepresst!
Musikproduktion: Pallas Group