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Dieser Artikel erschien im November ’08 im englischsprachigen Audio Review Magazin 6moons.com und kann dort in der Originalversion gelesen werden: Distortion & Negative Feedback. Er wurde durch uns übersetzt und wird hier den deutschsprachigen Lesern präsentiert. 6moons und fairaudio haben die Übereinkunft, gegenseitig ausgewählte Artikel zu übersetzen und für die englische und deutsche Leserschaft zu publizieren. Der Text und alle Bilder/Grafiken unterliegen dem Copyright von Nelson Pass, John Linsley-Hood, DIYAudio.com oder 6moons.com.
Ihr fairaudio-team
Herr Nelson Pass bedarf keiner Vorstellung, also spare ich mir eine. Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als ich in der Stereophile Online-Ausgabe ein Interview mit ihm las.
Mr. Pass berichtete dort über Highlights der Verstärkerentwicklung und über unterschiedliche Messaspekte, die im Fokus von Entwicklern, Marketingleuten und dem Publikum stehen – aber auch darüber, wie die Optimierung eines bestimmten Teil des Schaltungsdesigns sich unausweichlich auch auf andere Parameter niederschlägt. Kurz: Es ging ihm um eine Übersicht dessen, was aus seiner Sicht zur Entwicklung eines gut klingenden Verstärkers nötig ist.
Da dieses Interview schon gut 15 Jahre zurückliegt, fragte ich Nelson nach einer Art Follow-Up – wie denkst du aktuell über diese Themen? Da er aber genau das schon der Stereophile zugesagt hatte, schlug er vor, stattdessen einen kleinen Essay über Verzerrung und Gegenkopplung zu schreiben. Beides sind altbekannte Schlagworte innerhalb der audiophilen Diskussion – und gleichzeitig Themenbereiche, mit denen sich Mr. Pass in letzter Zeit ausführlicher beschäftigt hat. Der First Watt F5 Verstärker von Pass ist beispielsweise das Ergebnis dieses Denkens – er verwendet Gegenkopplung in einer ziemlich unkonventionellen Art und Weise. Wie ich in meinem Test zu diesem Amp schon schrieb, leidet er in keiner Weise an den üblichen klanglichen Einschränkungen, die mit dem Gebrauch von negativem Feedback einhergehen – oder wie sie zumindest von SET-Amp-Anhängern befürchtet werden. Da ich mich durchaus zu dieser Gruppe zählen kann, interessiert mich das Thema Gegenkopplung besonders: Ich würde gerne verstehen, warum ich den First Watt F5 so sehr mochte. Deshalb stieß Nelson mit seinem Vorschlag bei mir auf offene Ohren. Also: Das Wort geht nun an Herrn Nelson Pass – vielen Dank für Zeit und Mühen, die diese Ausführungen gekostet haben.
Srajan Ebaen
Einführung
Audiophile Menschen scheinen sich gerne in recht unbedeutenden Debatten zu ergehen: Vinyl vs. CD, Röhren vs. Transistoren, Kondensatoren, Kabel, … und natürlich das Thema Gegenkopplung.
Die eine Extremposition behauptet, dass Gegenkopplung einen Verstärker perfekt mache, während die andere Seite sie für einen bedrohlichen Dämon hält, welcher das Leben aus der Musik saugt und eine Art trockene Hülle ohne jede Seele zurücklässt.
Die erste Position wird normalerweise von sogenannten „Objektivisten“ eingenommen, die häufig ein recht gutes Verständnis für Elektrotechnik und Messungen mitbringen. Die Opposition bilden dann die „Subjektivisten“, welche meist das Hörerlebnis betonen und häufig Röhrengeräte besitzen. Bietet sich die Gelegenheit, kommt es regelmäßig zum Austausch der üblichen Anschuldigungen: „Objektivisten können nicht hören.“ vs. „Subjektivisten hören Dinge, die nicht da sind.“ Soweit zu dieser Form von „Unterhaltungsindustrie“ – ich hoffe, alle Beteiligten haben eine gute Zeit dabei …
Gegenkopplung ist ein sehr weites Feld, und daher werde ich mich auf einige kursorische Bemerkungen und Kommentare beschränken müssen: In diesem Artikel sollen ein paar Phänomene diskutiert werden, welche im Zusammenhang mit komplexen Verzerrungen stehen, die von nicht-linearen Verstärkungsstufen, Feedbackschaltungen und dem Audiosignal selbst herrühren. Jeweils einzeln für sich betrachtet, scheinen diese Phänomene recht simpel zu sein, aber wenn sie miteinander interagieren, verursachen sie Verzerrungen in einem Größenverhältnis, welches in keiner Relation zu dem steht, was die Lektüre einer Produktbroschüre erwarten lässt.
Es gibt lineare und nicht-lineare Verzerrungen. Die linearen Verzerrungen beziehen sich auf die Amplitude und die Phase des Audiosignals, zeigen sich bei Klirrmessungen aber nicht als zusätzliche Frequenzen, die es so vorher im Audiosignal nicht gab. Höhen- und Bassregler sind gute Beispiele für Schaltungen mit linearer Verzerrung.
Nicht-Lineare Verzerrungen sind solche, die dem Signal zusätzliche Frequenzen hinzufügen, sei’s als harmonische Vielfache der Ursprungsfrequenz, sei’s als Seitenbänder, welche aus nicht-linearer Interaktion mehrerer Frequenzen untereinander entstehen. Nichtlinearitäten werden durch Musikinstrumente häufig vorsätzlich erzeugt, doch in der Musikwiedergabe sind sie unerwünscht. Im Weiteren rede ich ausschließlich über nicht-lineare Verzerrungen.
In Audioverstärkern wird Gegenkopplung hauptsächlich aus vier Gründen eingesetzt: um den Verstärkungsfaktor zu stabilisieren, die Bandbreite zu erhöhen, die Ausgangsimpedanz zu verringern und schließlich auch, um die nicht-linearen Verzerrungen zu minimieren. Der Aspekt der Verzerrungsreduzierung scheint die Gemüter am meisten zu bewegen. Gegenkopplung ist eine sehr effektive Maßnahme, um Verzerrungen, wie sie ein entsprechendes Messgerät misst, klein zu halten.
Aber wie schon Mr. Spock sagte: „Instrumente können nur das messen, wofür sie entwickelt wurden.“* Angesichts der anhaltenden Beschwerden von Audiophilen über den Klang von Verstärkern, welche viel Gegenkopplung einsetzen, scheint es vernünftig zu sein, nicht-lineare Verzerrungen in einem größeren Rahmen darzustellen, als es durch die Angabe einer einzigen Zahl der Fall sein kann.
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*Star Trek, Episode 7, „The Naked Time“
Grundlagentechnik: Nelson Pass über Verzerrung und Gegenkopplung