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November 2014 / Michael Bruß
Manchmal gibt es im Leben Dinge, von denen man weiß, dass sie einen lange begleiten werden. Menschen, Erinnerungen, die erste gute Uhr … Auch Marken gehören dazu, selbst wenn das eher psychologisch begründet sein dürfte als mit harten Fakten. Und dennoch: Man bleibt ihnen oft treu – so es denn möglich ist.
Mich persönlich zum Beispiel begleiten seit unterschiedlich langen Zeiträumen fast ausschließlich und konstant unter anderem Falke-Socken, Villeroy-&-Boch-Geschirr, BMW-Fahrzeuge, Apple-Produkte und die Musikreproduktionsgeräte eines gewissen schottischen High-End-Audio-Herstellers namens Linn (www.linn.co.uk). Ja, ich mache keinen Hehl daraus, ich mag Linn, bin quasi ein Fanboy, der sich durchaus in Unkosten stürzen würde, um das neueste Upgrade der Firma, die in einem Vorort südlich von Glasgow residiert, in seine Kette einbauen zu dürfen. „Schatz, das mit dem neuen Bett, das müssen wir uns noch mal überlegen … Ja??“
Freundlicher und gut klingender Empfang bei Linn
In der konsequenten Upgradefähigkeit liegt übrigens einer der interessantesten und dabei für den geneigten Kunden gleichzeitig potenziell kostensparendsten wie -intensivsten Vorteile des britischen Herstellers: Einerseits lässt sich ohne ein Austauschen von Komponenten immer wieder ein ordentlicher klanglicher und technologischer Fortschritt machen (das spart Kosten), andererseits aber bedeutet genau dieser Umstand, dass man geradezu verführt wird, den unvermeidlichen Weg hin zum Klang-Nirvana Schritt für Schritt mitzugehen (das kostet schon was!). Zum Beispiel lässt sich selbst die kleinste separat erhältliche Lautsprecherbox, die Majik 109, mit Hilfe einer Vier-Kanal-Endstufe Majik 4100 und dem höchstwahrscheinlich schon vorhandenen Majik DSM sowie entsprechenden Aktivkarten auf einen Level heben, den man den kleinen Schönheiten gar nicht zugetraut hätte. Dann wären da auch immer wieder mal neue Netzteile (man glaubt gar nicht, was die ausmachen können) oder gar neue Technologien – und wie einschneidend die sein können, das werden wir noch im Detail beleuchten.
Bei Linn schätzt man die guten Dinge …
Klassenloser Aufstieg
Dabei spielt es übrigens so gut wie keine Rolle, ob man sich in den Linn’schen Einstiegsgefilden (Majik), der Mittelklasse (Akurate) oder der Top-Liga (Klimax) aufhält. Vom Zwei-Geräte-Setup bis hin zur vollaktiven Anlage mit bis zu zehn Mono-Endstufen allein für die Frontlautsprecher ist alles drin. Linn mag eigene, perfekt funktionierende Ökosysteme und bietet für fast alle Klassen fast alle Möglichkeiten an. Apropos aktiv: Diese Art der Frequenzauftrennung und Verstärkung ist eine der grundlegenden Philosophien im Hause Linn. Nur so lässt sich, Linn zufolge, sicherstellen, dass Klangverluste minimiert werden und Lautsprecher mit vielen Wegen (Linn bietet ab der Akurate-Linie Vier-Wege-Kompakt- und Fünf-Wege-Standlautsprecher an) zeitkohärent und phasengenau spielen können.
Das Linn-Werk in Waterfoot von außen
Ein zweites grundlegendes Dogma der Schotten ist, dass die Quelle der wichtigste Teil der Anlage ist, und nicht etwa der Lautsprecher, der nach landläufiger Meinung ja den größten Einfluss auf den Klang hat. Nun stimmt Letzteres zwar absolut gesehen durchaus, doch kann auch der beste Schallwandler nicht das wieder herbeizaubern, was eine mediokre Quelle gar nicht erst aus dem Tonträger beziehungsweise der Datei herausgeholt hat. Man stelle sich vor, dass vor 42 Jahren ein Schotte namens Ivor Tiefenbrun der versammelten HiFi-Landschaft einen Fehdeschuh namens „Sondek LP12“ ins Gesicht geschleudert hat, mit der Begründung, dass dieses sich auf und ab bewegende Konstrukt wichtiger sei als jede andere Komponente in einer Wiedergabekette. Eat this! Die Realität aber gab ihm immer öfter recht: Man hat schon Zwei-Wege-Lautsprecherchen namens Linn Katan an zwei Linn Klout Stereo-Endstufen und der Karik/Numerik-CD-Kombination gesehen – und das hat gerne mal mehr Musik gemacht als so manche fette Box mit dem vierfachen Wert der vorgeschalteten Kette. Der liebste Erzfeind Naim (eigentlich mag man sich ja) hat das Thema übrigens ebenfalls aufgegriffen und die Theorie, die sich in der Praxis so hervorragend widerspiegelt, immer vehement verteidigt.
Des HiFi-Testers Opfer
Einen kleinen Nachteil hat die Philosophie der Aufrüstfähigkeit (insbesondere zum vollaktiven System) jedoch – zumindest für HiFi-Journalisten: Ein solchermaßen geschlossenes Ökosystem, in dem jede einzelne Komponente eine ganz bestimmte Rolle spielt, eignet sich nicht zum schnellen Austausch einzelner Geräte, um mal eben diesen Vollverstärker oder jene Endstufe zu testen. Selbst mit Lautsprechern wird es ein ganz schöner Aufwand, denn jede Endstufe in der Linn’schen Aktivkette betreut ja nur schmalbandig je ein Chassispaar. Man müsste also für jedes neue Gerät, das getestet werden will, entweder die Endstufe aufschrauben, die Aktivkarten herausnehmen und wieder zuschrauben, oder aber die Lautsprecher intern wieder rekonfigurieren, was das Abschrauben eines massiven Anschlussterminals erfordert – die aktivierten Lautsprecher benötigen ja in diesem Fall ihre passive Frequenzweiche zurück.
Gavin Morton aus der Marketing-Abteilung von Linn führt uns durch die Produktion. Hier befinden wir uns vor der Laser-Schneidemaschine für Alubleche
Umgekehrt müsste dies alles dann passieren, um im A/B-Vergleich mit dem eigenen, gewohnten Ensemble hören und vergleichen zu können. Sie sehen also, dass mit Linn und regelmäßig HiFi testen, das wird nix. Schweren Herzens musste ich also meine vollaktive Linn-Majik-Kette gegen „normale“ Einzelkomponenten eintauschen. Die klingen zwar ebenfalls formidabel, doch blutet mir das Herz trotzdem so ein bisschen (Fanboy, alles klar?). Klar, ich weiß, dass auch Linn-Komponenten ihre Macken haben können (nachzulesen in meinem Bericht über die Guru QM10Two), aber was wäre eine Beziehung, in der alles immer perfekt läuft? Eben. Seufz.
Jugendtraum
Sie werden nun vielleicht auch nachvollziehen können, mit welcher Freude ich die Einladung von Linns umtriebigem Urgestein Ulrich Michalik zu einer der fast schon legendären Linn Factory Press Visit entgegengenommen habe.
Die gesamte Produktion darf nur mit Erdungsstreifen an den …
… Schuhen betreten werden, um statische Entladungen zu vermeiden
Die heiligen Hallen in Glasgows Vorort Waterfoot zu sehen, die neusten Produkte zu hören und vielleicht sogar den legendären Ivor Tiefenbrun und seinen ebenso enthusiastisch mit der Firma verbundenen Sohn Gilad zu treffen – das klang zu schön. Ein weiterer Grund, sich auf den Besuch in Schottland zu freuen, lag nicht etwa in dem Umstand, dass die Destillerie-Dichte dort größer ist als irgendwo sonst auf der Welt (okay, schon so ein bisschen), sondern darin, das neue Linn-Exakt-System auf Herz und Nieren testen, hören und darüber mit den Entwicklern selbst ausgiebig sprechen zu können.
Tradition und Wandel
Glasgow, diese altehrwürdige Arbeiterstadt, die seit dem Anbeginn der industriellen Revolution aufgrund ihrer Lage zu einem der wichtigsten Handelsplätze des Britischen Empire und zum Standort für allerlei Schwerindustrie wurde, erlebt seit etwa 25 Jahren einen Wandel hin zu einem modernen Kultur- und Kongresszentrum. Der Niedergang der Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er-Jahre mit den Schließungen von Stahlwerken, Minen und Werften und der folgenden Massenarbeitslosigkeit ist auch heute noch sichtbar – wenn sich seit den späten 80ern auch so einiges getan hat. So wurde Glasgow 1990 zur Europäischen Kulturhauptstadt gewählt, konnte 1999 einen Design- und Architekturpreis einheimsen und wurde 2003 zur Europäischen Sporthauptstadt gekürt. Den Glanz von Edinburgh verstrahlt Glasgow natürlich immer noch nicht, doch dafür wirkt die 600.000-Einwohner-Stadt am Fluss Clyde authentisch und warmherzig.
Firmenbericht: Linn Products