Die geschätzten Kollegen von 6moons sind auf die gute Idee gekommen, die Herausgeber einiger Hifi-Magazine zu interviewen: Neben Interviews mit John Darko (Darko.Audio) und Dawid Grzyb (HifiKnights) stand dabei natürlich auch ein längeres Gespräch zwischen Srajan Ebaen und Jörg Dames (fairaudio) auf dem Plan. Das englische Original finden Sie hier, mit der deutschen Übersetzung geht es im nächsten Absatz los:
So ganz ohne Paddel geht es nicht. Das Bild zeigt Jörg Dames von fairaudio ruhig und auf Kurs. Ich traf ihn zum ersten Mal inmitten anderer sanfter Gewässer, und zwar jenen, die den zypriotischen Strand von Coral Bay umspülen. Jörg und seine Partnerin urlaubten, wir wohnten dort. Jörg und sein Kompagnon Ralph Werner, beide aus dem fernen Berlin, dachten sich: Wenn ein Deutscher, der im Ausland unter einem seltsamen Namen und einer noch seltsameren URL lebte, seinen Weg machen konnte, dann sollte das anderswo doch erst recht funktionieren.
Seitdem ist viel Zeit vergangen und fairaudio.de hat sich unter der Leitung von Jörg & Ralph zu einer der größten deutschen Online-Hifi-Testseiten entwickelt. Es war also an der Zeit, sich mal wieder zu einem Austausch zu treffen. Wir haben uns darauf geeinigt, zu improvisieren: Keine vorgefertigten Fragen, keine vorgefertigten Antworten. Wenn man sich auskennt, braucht man keine Proben oder Skripte, sondern spricht aus dem Stegreif …
Srajan von 6moons: Wie fing das eigentlich an mit fairaudio.de?
Jörg von fairaudio: Wir stachen mit fairaudio.de im Juli 2007 in See, die Vorbereitungen dazu nahmen in etwa zwei Jahre in Anspruch. Wir engagierten einen Webprogrammierer und verbachten anderthalb Jahre mit dem Design und der Definition und Umsetzung der Funktionalitäten. Unser Debüt wollten wir eigentlich auf der High End 2007 in München feiern. Aber der Start der Website verzögerte sich um zwei Monate. Alles, was wir auf der Messe vorweisen konnten, waren also glänzende neue Visitenkarten und zwei motovierte Jungs, die keiner kannte. Die Idee eines deutschsprachigen, rein auf Stereo fokussierten Onlinemagazins erwies sich dennoch als sehr zeitgemäß und willkommen. Aus unserer Sicht füllte das Konzept tatsächlich eine Marktlücke. Viele der Hersteller und Händler, mit denen wir sprachen, wunderten sich, warum es hierzulande nicht Ähnliches wie 6moons oder SoundStage! gab. Obwohl die Messe ohne bestehende Webpage als unfreiwillige Trockenübung durchging, war sie für uns sehr erfolgreich, sie markierte einen echten Meilenstein in unserer Entwicklung.
Wie habt ihr die ersten Hersteller dazu gebracht, euch Leihgeräte für Testzwecke zu schicken und die Sache ins Rollen zu bringen?“
Das haben wir nicht. Es ist wie nachts im Club: Auf einer leeren Tanzfläche ist man nur ungern der erste. Die ersten zehn Rezensionen führten wir mit Geräten durch, die wir selbst gekauft hatten.
Wie lange dauerte es, bis ihr eure gut bezahlten Jobs aufgegeben und ein ausreichendes Einkommen erzielt hattet, von dem zwei Inhaber leben können? Habt ihr die Zeit mit einem Kredit überbrückt?
Wir hatten beide Betriebs- beziehungsweise Volkswirtschaftslehre studiert und können daher gut mit Zahlen, Prognosen, Geschäftsplänen und Ähnlichem umgehen. Wir hatten eine sehr realistische Vorstellung von dem, was auf uns zukommen würde, und genügend Ersparnisse, um bis zu zwei Jahre zu überbrücken. Das war kein wirklich riskantes Unterfangen, sondern vor allem eine Frage von Fleiß und Ausdauer. Die Nächte durchzuarbeiten, war selbstverständlich. Stress mit unseren Freundinnen ebenso. Wie erhofft, verdienten wir beide ein Jahr später ein bescheidenes, aber nachhaltiges Einkommen und wuchsen von da an. Schon Mitte des Jahres 2008 schrieben wir schwarze Zahlen.
Wie kam es überhaupt zu der Idee für fairaudio? Unzufriedenheit mit euren bisherigen Jobs? Eine anhaltende Faszination für HiFi in der Kindheit? Dein eigener Chef zu sein?
Ralph und ich waren schon immer begeisterte Hifi-Fans. Wir verbrachten viele Abende in Kreuzberger Kneipen und diskutierten über unsere großen Traumsysteme, spekulierten über den Klang bestimmter Geräte und machten all die anderen Dinge, die Hifi-Nerds halt so tun. Im Jahr 2005 waren wir beide Mitte 30 und hatten gut bezahlte, aber letztlich langweilige Jobs. Uns wurde klar, dass wir uns nicht vorstellen konnten, noch weitere 30 Jahre so zu arbeiten, unabhängig von finanzieller Stabilität, Sicherheit und anderen Annehmlichkeiten unseres Angestelltendaseins, von den fiesen Bouletten in den Meetings mal abgesehen. Wir hatten den Erfolg von 6moons und anderer Pages im englischsprachigen Raum beobachtet und fragten uns, warum das nicht auch in Deutschland ginge. Wir wussten, dass HiFi nie ein schnelles Geschäft sein würde oder Wachstumsmöglichkeiten wie in der IT-Branche böte: Freunde von mir hatten eine der ersten Weblog-Sphären hierzulande hochgezogen, das ging natürlich ganz anders ab … Aber wir sahen eine echte Chance für zwei Jungs, die bereit waren, sich anzustrengen und hochwertige Inhalte zu produzieren.
Hatten du oder Ralph bereits Erfahrung im Schreiben?
In meinen früheren Jobs schrieb ich regelmäßig und in der Schule und im Studium machte mir Schreiben immer Spaß. Dieser Teil schien keine große Hürde zu sein und war es auch nicht.
Was findest du befriedigender, das Hören oder das Schreiben darüber?
Beides gehört zusammen, es ist eine Einheit. Ich verstehe, dass Hören und Schreiben für die meisten wie zwei sehr unterschiedliche Dinge aussehen mögen. Für mich jedoch sind sie eng miteinander verbunden. Wenn ich mir eine Komponente ein paar Wochen lang angehört habe, fange ich irgendwann spontan an, über sie zu schreiben. Nach ein paar Absätzen gehe ich zurück zum System, um das, was ich gerade geschrieben habe, mit meiner unmittelbaren neuen Hörwahrnehmung zu vergleichen und gegebenenfalls zu präzisieren. Oder ich nehme noch mal kurz ein Ohr, um das, was mir textlich für die nächsten Absätze vorschwebt, zu verfeinern und zu konkretisieren. Und so weiter. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille, die sich immer weiterdreht. Am Ende ist es ein fließender Prozess, bei dem sich die beiden Teile gegenseitig beeinflussen und verstärken.
Unterscheidest du zwischen dem Zuhören zur kritischen Beurteilung und zum Vergnügen?
Bis zu einem gewissen Grad. Im Grunde entspanne ich mich vor einer Anlage und schenke ihr meine volle Aufmerksamkeit, sodass der laute Raum zwischen meinen Ohren still und schwarz wird. Dann schaue ich mir die Gesamtheit des Klanggeschehens vor mir an. Und zwar aus einer entspannten Perspektive, die auf nichts Bestimmtes gerichtet ist. Erst wenn sich Störungen, besondere Stärken oder Überraschungen manifestieren, fange ich an, genau zu analysieren. Etwa mittels A/B-Vergleichen. Bei diesen Vergleichen höre ich mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch. Aber für mich ist es sehr einfach, hin und her zu wechseln. Außerdem kann das Hören mit dem Kopf auch Spaß machen. So erhalte ich Antworten und schlussendlich ein valides Klangprofil. Die zugrundeliegende Motivation ist zugegebenermaßen nerdig, aber in diesem Sinne bin ich ein Nerd. So ist das eben.
Wie lange brauchst du in der Regel, bis du den Klang einer Komponente auf den Punkt gebracht hast?
Lautsprecher mit einem sehr ausgeprägten Klangprofil sind sehr leicht zuzuordnen. Aber ich verbringe nicht viele Stunden hintereinander am Stück damit, kritisch zuzuhören. Meistens ist es pro Tag jeweils eine halbe bis eine Stunde, ich habe das aber nie genau gemessen. Normalerweise behalte ich meine Geräte 4-6 Wochen lang. Ich mag es, mit den Geräten zu leben und sie jeden Tag in verschiedenen Kontexten, unter verschiedenen Bedingungen und in verschiedenen Stimmungen zu hören. Dann kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem sich mir das Klangprofil voll erschließt und ich Unwägbarkeiten wie Stimmungen, „das Wetter“ und andere Einflüsse ausschließen kann. Auch weil ich das professionell seit über 14 Jahren mache, ist mein Gehör natürlich entsprechend trainiert. Deshalb frage ich mich manchmal, ob wirklich alle Leser – und zwar gerade die, die das Thema lockerer angehen – das zuhause dann so signifikant heraushören, wie ich es beschreibe. Oder ob ihnen das überhaupt wichtig ist.
Damit sind wir beim Thema Engagement. Wenn man sich für etwas wirklich interessiert und engagiert, verbessern und verfeinern sich die eigenen Fähigkeiten automatisch. Menschen kümmern sich im unterschiedlichen Maße um verschiedene Dinge. Subtiles kann für jemanden mit großer Leidenschaft und geschulten Ohren sehr bedeutsam sein, aber für jemanden, der an der Oberfläche der Thematik bleibt, eher irrelevant. Wir müssen auch bedenken, dass viel davon abhängen kann, wie ausgewogen und hochauflösend der restliche Teil des Hifi-Systems ist, in dem die besprochene Komponente eingebettet wird, und wie der Raum akustisch funktioniert. Und dass unsere Leserinnen und Leser im besten Fall ähnliche Erwartungen an ihr Hifi stellen, um die Rezensionen richtig einzuordnen.
Ich selbst trinke beispielsweise gerne Wein, vor allem Rotweine. So habe ich natürlich eine gewisse Kompetenz im Erkennen von Qualitätsstufen entwickelt. Aber gegenüber einem professionellen Sommelier und seinen Ausführungen über ein und den gleichen Wein in unseren Gläsern, wäre ich wohl ziemlich grobschlächtig unterwegs, wenn’s ums Erschmecken und Beschreiben ginge. Selbst wenn ich Ähnliches schmecken würde, hätte ich immer noch keinen ausreichend entwickelten Wortschatz, um das ähnlich kompetent zu beschreiben. Seine Zunge und seine Nase sind bestens geschult. Ich bin zwar leidenschaftlich bei der Sache, aber im Vergleich zu ihm doch noch nur oberflächlich involviert.
Ein gutes Beispiel. Meine nächste Frage bezieht sich direkt auf das Thema Anfänger/Fortgeschrittene, denn weder fairaudio noch 6moons richten sich mit ihrer Berichterstattung offensichtlich an audiophile Anfänger, wie zum Beispiel John Darko. Wir gehen davon aus, dass unser Publikum ein gewisses Maß an Vertrautheit, Affinität und Wissen mitbringt. Meinst du, das macht uns für Neulinge irrelevant?
Vielleicht bereitet John unsere nächste Generation vor? Ich bin der Meinung, dass unsere Texte gar nicht so kompliziert sind, wenn sich jemand wirklich für dieses Hobby begeistert. Passionierte Menschen müssen nicht mit dem Löffel gefüttert werden. Wenn wir unsere Arbeit nach unseren Prinzip gut erledigen und eben nicht einfach verdichtet und simplifiziert Noten oder Sternchen verteilen wollen, geht es halt auch nicht viel anders. Während du und ich also ein Stammpublikum entwickelt haben, das von Anfang an dabei ist und vielleicht eine besondere Beziehung zu uns hat, wachsen unsere Leserschaften ja nichtsdestotrotz kontinuierlich über die Jahre.
An dieser Stelle muss ich drauf eingehen, dass weder 6moons noch wir ein Sternchen- oder Sonstwas-basiertes Bewertungssystem als einfachen Kaufratgeber bieten. Alle Anfänger, egal in welchem Hobby, lieben sternebasierte Einkaufsführer, weil sie dann nicht nachdenken müssen. Für ein bestimmtes Budget wird ihnen gesagt, was sie kaufen sollen. Ohne ein solches System sprechen wir wahrscheinlich nicht die Zielgruppe an, die möchte, dass wir die Entscheidung für sie übernehmen. Wir sagen den Leuten nicht, was sie kaufen sollen. Wir sind keine Marketingfirmen. Wir sind nur Testmagazine. Wir beschreiben, wie die Komponenten klingen, so genau, wie uns das möglich ist. Dann ist es an den Käufern, diese Informationen für sich zu bewerten und sorgfältig zu prüfen – denn letztlich geht es bei Hifi und Highend auch ums individuelle Gusto. Wir nehmen ihnen nicht die Arbeit ab, ihr eigenes Wissen über ihren Geschmack und ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Keine Endnote und kein 5-Sterne-System kann das abdecken. Unsere Rezensionen sind quasi nur ein Teil der Miete, die Leserinnen und Leser müssen den anderen Teil beisteuern, indem sie darüber nachdenken, was sie lesen und wie es auf sie zutrifft. Dieser Teil ist absolut unverzichtbar; aber jeder Anfänger kann das tun.
Das ist genau meine Meinung. Ich nenne es Vertrauen in die Intelligenz unseres Publikums. Ich bin nicht ihr Babysitter, Vertrauter, Priester, Therapeut oder Finanzberater. Ich bin nur ein unabhängiger Informationslieferant. Die Anwendung dieser Informationen und zusätzliche Lektüre ist immer die Aufgabe des Lesers. Natürlich mögen die Hersteller Bewertungssysteme sehr. Wurdest du schon nach einem gefragt?
Hersteller mögen Testsiegel und sehr kurze Kurzzitate, die sie in ihren Marketingmaterialien verwenden können. Und natürlich sind unsere fairaudio’s favourite Awards am Jahresende sehr beliebt, inklusive physischer Old-School-Urkunde, aber ‚Starwars‘ oder 85/100 Punkte wird es auch künftig nicht geben bei uns. Vergebt ihr auch Auszeichnungen?
Nicht in physischer Form. Manche Geräte gewinnen zwar einen Preis, aber die Grafik wird erst zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in den Text eingebettet und die Hersteller können diese .psd- oder .jpg-Datei sofort in ihren Marketingmaterialien verwenden. Sie müssen nicht bis zum Ende des Jahres warten. Meine Auszeichnungen haben immer eine einzeilige Beschriftung unter dem Firmennamen und der Modellnummer, aber das ist auch schon alles. Keine gerahmte Auszeichnung oder Skulptur wird per Post verschickt oder persönlich überreicht. Wie sieht es mit dem inländischen Wettbewerb von fairaudio aus? Als ihr anfingt, gab es keine Online-Wettbewerber, aber das hat sich natürlich geändert.
Richtig. Heute gibt es Seiten wie Hifistatement, LowBeats und darko.audio, aber eigentlich waren wir nicht die Ersten. AV-Magazin und Area DVD waren zum Beispiel schon vorher da, aber wie ihre Namen schon verraten, waren sie nicht ausschließlich auf puristisches 2-Kanal-Hifi ausgerichtet. Es gab auch die Plattform Hifitest schon.
Siehst du direkte Auswirkungen des wachsenden Online-Wettbewerbs auf dein eigenes Geschäft?
Als wir anfingen, galt ein reines Online-Magazin tatsächlich noch als etwas Neuartiges. Es wurde entweder als sehr modern oder als per se dilettantisch angesehen, weil das konservative Publikum immer noch der Meinung war, dass seriöse Zeitschriften mit echter Glaubwürdigkeit im gedruckten Format erscheinen, Punkt. Mit der Zeit hat sich das grundlegend geändert. Das Online-Publishing ist inzwischen fest etabliert und auch Printmagazine nutzen es als Sidekick. Um deine Frage zu beantworten: Zuerst konkurrierten wir hautsächlich mit Printmagazinen, heute mit anderen Online-Seiten. Hersteller haben ja meist ein gewisses Anzeigenbudget für ihre Planungsperiode. Da die Möglichkeiten der Berichterstattung zugenommen haben, werden die Hersteller entweder wählerischer, ihren Marketing-Euro auszugeben, oder sie verteilen ihr Werbebudget nach irgendwelchen Schüsseln. Viele Hersteller, mit denen wir zu tun haben, teilen ihr Budget zwischen Online und Print auf, so dass unsere unmittelbare Konkurrenz eher im – allerdings immer größer werdenden – Online-Budgetbereich liegt. Das Argument, dass Online weniger glaubwürdig oder seriös ist als Print, gibt es nicht mehr, und für die große Mehrheit der Hersteller ist eine Online-Rezensionspräsenz sehr wichtig, Tendenz weiter steigend.
Hat fairaudio in eurem Markt ein besonderes Profil oder eine besondere Wahrnehmung, die es von anderen deutschen Publikationen unterscheidet?
Auf jeden Fall. Unsere Klangbeschreibungen sind nicht nur ein kurzer letzter Absatz im Test, sondern sehr viel ausführlicher und, so hoffe ich doch, präziser. Unser Ziel ist es, unseren Lesern immer eine virtuelle Hörprobe mit auf den Weg zu geben. Aus unseren Rezensionen sollen sie einen möglichst präzisen klanglichen Eindruck mitnehmen, so als hätten sie bei unseren Hörsitzungen dabeigesessen. Wenn sie die Komponente später tatsächlich bei einem Händler oder an ihrer eigenen Anlage hören, sollten sie den von uns beschriebenen Klang wie einen alten Freund wiedererkennen. Dafür sind wir bekannt, in diesem Punkt sind wir anspruchsvoll. Das ist bestimmt auch für unsere Autoren nicht immer ganz einfach. Das Ziel lautet stets, dem Kunden ein umfassendes Verständnis und eine realistische Erwartung für die Geräte zu vermitteln, über die er in fairaudio liest. Mehr Verständnis bringt nur das Selberhören. Daher sind unsere Klangbeschreibungen wahrscheinlich die ausführlichsten und spezifischsten in der deutschen Audio-Presse, denke ich. Wir binden auch viele selbst geschossene Fotos ein, genau wie du. Das ist immer noch nicht die Norm, viele andere veröffentlichen vornehmlich Fotos aus Pressemappen.
Glaubst du, dass Videorezensionen in Zukunft wichtiger werden, oder werden sie immer eine eigene Sache mit einem eigenen oder sogar gemeinsamen Publikum bleiben?
Es wird immer Menschen und Situationen geben, die das geschriebene Wort vorziehen. Zum einen brauchst du zum Lesen keine Kopfhörer oder Lautsprecher. Das eröffnet dir mehr Möglichkeiten. Viele unserer Leser loggen sich direkt nach dem Mittagessen ein, wenn sie wieder im Büro sind. Sie lesen in aller Ruhe den neuesten Beitrag, bevor sie wieder an die Arbeit gehen. Sie stören keine Kollegen, indem sie sich ein Video anhören. Das Gleiche gilt, wenn du im Bett neben deinem Partner liegst, die/der bereits schläft. Ich glaube auch, dass das geschriebene Wort viel präziser ist und tiefer geht, man kann konzentrierter zur Sache gehen, sofern man will.
Ein weiterer Unterschied ist ähnlich zu dem wie bei Hörbüchern. Ich selbst lese ein Buch viel lieber, als es mir anzuhören. Ich kann in meinem eigenen Tempo lesen und zu einem Absatz oder Satz zurückkehren, den ich beim ersten Mal nicht ganz verstanden habe oder der mir so gut gefällt, dass ich ihn noch einmal lesen möchte. Wenn ich zuhöre, muss ich mich in Echtzeit an ein vorgegebenes Tempo halten. An eine bestimmte Stelle zurückzukehren ist aufwändiger als meine Augen zu bewegen, zu wischen oder eine Seite umzublättern. Ich finde auch, dass das Hören von vorgelesenen Inhalten etwas Hypnotisches hat. Schon bald wird mein Kopf fuzzy und driftet ab, als würde ich einem Schlaflied lauschen. Und technische Daten oder Schaltkreisbeschreibungen kann ich viel leichter verarbeiten, wenn ich die Wörter und Zahlen sehe, anstatt sie gesprochen zu hören. Natürlich sind das geschriebene und das gesprochene Wort gleichermaßen wertvoll und haben ihr jeweiliges Publikum. Sie werden sich auch weiterhin parallel weiterentwickeln. Ich glaube nicht, dass das Video das geschriebene Wort jemals ersetzen wird. Warum muss man eigentlich immer alles in Konkurrenz setzen?
Sprechen wir ein bisschen über die Zusammenstellung eines Autorenteams und das damit verbundene Management/Editing.
In der Phase unseres Wachstums, als die Anzahl der Rezensionen das überstieg, was Ralph und ich bewältigen konnten, begannen wir mit Leserrezensionen. Sie wurden auf fairaudio in einer eigenen Farbkodierung und einem eigenen Layout präsentiert, um sie schon optisch von unseren eigenen Inhalten zu unterscheiden. Im Laufe der Zeit baten wir dann einige von ihnen darum, bei uns mitzuarbeiten, wir kannten die Qualität ihrer Arbeit ja – solch talentierte Kollegen wie Martin Mertens oder Frank Hakopians sind zu etablierten Größen geworden. Andere, zum Teil bereits arrivierte Testautoren, traten auf unterschiedliche Weise an uns heran, auch per klassischer Bewerbung. Dann geht es meist mit Proberezensionen los, die nicht unbedingt veröffentlicht werden – sie helfen uns, zu ersten Einschätzungen über den Bewerber zu kommen. Eine weitere Herausforderung ist natürlich die Beständigkeit. Die herausgearbeitete Profil der Testgeräte muss stets valide und nachvollziehbar sein. Das ist es, was eine gute Rezension ausmacht, nicht eine Kaufempfehlung. Es ist immer sehr erfreulich, wenn Leser berichten, dass der Klang einer Komponente genau unseren Beschreibungen entspricht.
Lasst ihr den Herstellern die Wahl des Verfassers oder teilt ihr zu, welche Geräte wohin kommen?
Wir treffen diese Entscheidung bis auf wenige, begründete Ausnahmen. Aber es kommt eh selten vor, dass Hersteller in dieser Sache spezifische Anfragen stellen. Unser Ruf beruht auf dem Team und nicht auf einzelnen Personen.
Arbeitet ihr mit einer selbst auferlegten Preisobergrenze?
Nicht wirklich. Ich persönlich halte es eher so, wie es Dawid Grzyb in deinem Interview mit ihm erklärt hat. Überschaubare Größe und Gewicht spielen da mit rein. Einen 100.000 Euro teuren Kompaktmonitor zu testen, wäre vielleicht ein echtes Hörerlebnis, aber wenn er je Kanal 250 Kilo wiegt, wäre ich raus.
Habt ihr oder haben eure Autoren eine Ausstiegsmöglichkeit, wenn eine Komponente das Ziel verfehlt oder nicht reif für die Veröffentlichung ist?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Unsere Rezensionen sind unabhängig und nicht an Sponsoring-Pakete gebunden. Kein Testbericht ist mehr oder weniger wichtig als ein anderer. Kein Hersteller wird bevorzugt behandelt. Bei jedem Test gibt es eine Ausstiegsmöglichkeit für den Fall, dass der Rezensent ein Produkt als ungeeignet empfindet. Das ist keine Frage von persönlichen Vorlieben oder Abneigungen. Von einem professionellen Reviewer kann man erwarten, dass er darüber hinaussieht. Aber wenn das Preis-Sound-Verhältnis und mithin das Preis-Leistungs-Verhältnis zu dürftig ausfallen, um eine Rezension zu schreiben, dann schicken wir das Produkt zurück. Die Hersteller wissen, dass das passieren kann.
Wie oft gebt ihr Geräte unbesprochen zurück?
Manchmal haben wir eine Häufung von solchen Fällen, und manchmal vergehen Monate, ohne dass so etwas passiert. Ich erinnere mich an eine Zeit vor ein paar Jahren, als es praktisch jede Woche irgendwo ein Problem gab. Aber normalerweise gibt es durch unserer Vorauswahl nur wenige Rückläufer.
Bestehst du auf irgendeiner Form von Sponsoring von jedem einzelnen Hersteller, der Bewertungen erhält?
In den Anfangstagen taten wir das voller Idealismus nicht. Und wir dachten, wenn ein junges Unternehmen erfolgreich wird, kommt es zurück und unterstützt uns. Dann haben wir gelernt, dass viele kleine Hersteller ohne Marketingbudget meist nicht lang überleben. Die Erstellung von Inhalten kostet Zeit und Geld. Plötzlich hatten wir archivierte Inhalte, die wertlos waren, weil die entsprechenden Hersteller von der Bildfläche verschwunden waren. Nach ein paar Jahren haben wir beschlossen, dass dies keine sinnvolle Geschäftspraxis ist, die irgendjemandem nützt. Heute arbeiten wir kaum noch mit Unternehmen zusammen, die kein Marketingbudget haben. Sie haben keine reelle Chance, es jemals zu schaffen. Auf dem überfüllten Markt von heute braucht ein professionelles Unternehmen ein Marketingbudget. Das klingt nicht sehr romantisch, aber genau diese Erfahrung haben wir in den ersten fünf Jahren unseres Bestehens gemacht. Und um die Perspektive umzudrehen: Wie viele Hifi-Startups kennst du, an die sich ein Hifi-Freak wenden könnte, um eine erste kostenlose Komponente zu bekommen?
Haben Hersteller schon mal versucht, eine Rezension umzuschreiben, damit sie vorteilhafter ausfällt?
Schon sehr lange nicht mehr, denn es ist mittlerweile eh klar, dass die Chancen dafür gleich Null sind. Aber in den ersten Jahren gab es solche Versuche öfter. Vielleicht wollten sie nur mal schauen, ob es klappt – oder uns auf die Probe stellen? Heute ist diese Tatsache bei uns so gefestigt, dass das niemand mehr versucht. Es ist ehrlich gesagt sehr angenehm, für seine Konsequenz bekannt zu sein. Und wenn der eine oder andere Hersteller beschließt, deswegen nicht mit uns zu arbeiten, dann hat unsere Politik wie ein wichtiger Filter gewirkt. Vielleicht fällt etwas Geld vom Tisch, aber der Gewinn für unseren Ruf wiegt viel mehr. Und das ist gut für das langfristige Geschäft.
Um es noch einmal zu betonen: Wir erschaffen ein Produkt. Bei dem es sich um textliche Inhalte und nicht um eine Flasche Wein handelt, aber die Erwartungen an Qualität und deren Konstanz sind genau dieselben. Deshalb nehmen wir auch die Ineffizienz unseres Ansatzes in Kauf, dass wir beim Redigieren der von den Autoren eingereichten Tests meist Ping-Pong in mehreren Wiederholschleifen spielen: Ohne aktive Mitarbeit oder zumindest Autorisierung durch den Autoren erfolgt keinerlei inhaltlich relevante Änderung – Stichwort „Validität“. Und ohne mehrstufiges, aufwändiges Feintuning, bei dem der Text mehrfach hin- und hergesandt wird, ist es offenbar kein typischer fairaudio-Test …
Habt ihr durch solche redaktionellen Korrekturanfragen Autoren verloren?
Wir haben im Laufe der Jahre einige wenige Autoren verloren, aber das lag vornehmlich an Veränderungen in ihrem persönlichen oder beruflichen Leben, wie Familie/Kinder oder größere Verantwortung bei der Arbeit. Für uns zu schreiben bedeutet nicht, gemütlich auf den Zug der kostenlosen Leihgeräte aufzuspringen … Aber unsere Atmosphäre ist sehr freundlich und kollegial und wir sind flexibel, wenn ein Autor eine Auszeit vom Schreiben braucht oder mehr arbeiten möchte.
Würdest du sagen, dass sich eure Wachstumskurve inzwischen abgeflacht hat, oder siehst du immer noch Potenzial?
Wie ein Handwerksbetrieb, der etabliert ist und gute Arbeit abliefert, wachsen wir immer noch. Natürlich hat sich das Tempo verlangsamt. Wenn du bei null anfängst, musst du anfangs steil nach oben gehen. Dieses Tempo lässt sich nicht ewig aufrechterhalten. Es gibt eine gewisse Sättigung. Aber es ist nicht so, dass der Expansionsprozess gestoppt ist, er ist alles andere als abgeschlossen. Mit Blick auf Corona, den Cocooning-Effekt und die Homeoffice-Tendenz hat die Hifi-Branche natürlich zusätzlich profitiert. Die Menschen verbringen mehr Zeit zu Hause – und mehr mit Musikhören.
In diesem Zusammenhang: Wie sieht dein persönlicher Musikkonsum aus: Streaming auf Abruf, lokal gespeicherte Dateien, physische Medien?
Nur digital und hauptsächlich Musik, die ich besitze. Meine Hauptquellen sind mittlerweile Qobuz und Bandcamp, wenn mir etwas gefällt, drücke ich gerne auf den kostenpflichtigen Downloadknopf – eine Form der Wertschätzung des Gebotenen und des Künstlers, finde ich.“
Wie viel neue Musik kaufst du heutzutage pro Monat?
Drei bis vier Alben. Ich bin sehr wählerisch. Ich kaufe keine Musik, nur um sie zu besitzen. Sie muss mir wirklich gefallen. Dafür muss sie sich von dem unterscheiden, was ich schon habe. Endlos mehr vom Gleichen hat keinen Reiz.
Wie gehst du mit den Routineaspekten dieses Jobs vs. ständiger Begeisterung und Motivation um?
Das ist keine Hifi-Frage, sondern des Lebens im Allgemeinen. Wenn wir älter werden, wiederholen sich mehr und mehr Dinge. Das ist ganz normal. Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht von ergebnisorientiertem Denken konditionieren lassen. Wir sollten uns daran erinnern, dass der Weg das Ziel ist. Früher habe ich diesen Spruch überhaupt nicht verstanden. Ich glaube, jetzt verstehe ich ihn. Sagen wir, in zwei Tagen steht irgendeine Prüfung an. Wenn das alles ist, was ich sehe, könnte ich angespannt und gestresst sein. Jetzt geht es nur darum, das Ziel zu erreichen. Das führt womöglich dazu, dass die Räder im Schlamm stecken bleiben und sich ohne Bodenhaftung drehen.
Vor ein paar Jahren erwischte ich mich in einer kurzen Phase, in der die Dinge mechanischer wurden und die innere Motivation ein wenig nachließ. Das machte vor allem Dingen das Schreiben schwieriger. Daraus habe ich gelernt, dass ich am besten schreibe, wenn ich mir keine Erwartungen auferlege. Ich sehe, dass ich Zeit zum Schreiben habe. Ich setze mich hin und fange einfach an. Und wenn ich entspannt bleibe, passiert das Wechselspiel aus Schreiben und Hören seltsamerweise einfach so. Das einzige, was mich dabei stört, bin ich selbst. Also kann ich mir genauso gut erlauben, Spaß zu haben. Natürlich geht das nicht immer so einfach. Da ich meinen Lebensunterhalt damit verdiene, geht es auch darum, Geld zu verdienen, Verantwortung zu übernehmen, Fristen einzuhalten und auch dann hart zu arbeiten, wenn Körper und Geist eigentlich schon lange Feierabend machen wollen. Hören und Schreiben ist ja nur Teil meiner Arbeit, den Löwenanteil beanspruchen mittlerweile andere Dinge wie Redigieren, Kommunikation mit unserem Team und Herstellern, die IT sowie die ganze alltägliche Administration.
Vermisst du die Messen?
An sich nicht. Aber ich freue mich, auf Messen die Leute zu sehen, mit denen ich sonst nur E-Mails schreibe oder telefoniere: Die Hersteller, mit denen wir zusammenarbeiten, oder die Kollegen im Team, die nicht in Berlin wohnen. Diesen Teil vermisse ich. Was ich nicht vermisse, sind die allgemeine Hektik, die schlechte Luft, die Reizüberflutung, wunde Füße und zu weiche Hotelmatratzen.
Zwei abschließende Fragen, eine davon eine persönliche Neugierde, weil ich denke, dass sie oft übersehen wird. Wie können Menschen bessere Musikhörer werden?
Sollten sie das überhaupt wollen? Was ist falsch daran, wie sie jetzt zuhören? Zu Studi-Zeiten kauften wir Rotwein für 5 Mark pro Flasche und hatten einen Riesenspaß. Für besondere Anlässe haben wir bis zu 10 Mark pro Flasche ausgegeben. Heute komme ich nicht mehr so billig weg. Wenn es dir besser geht, meinst du oft, du musst höher hinausgehen. Auch daran gewöhnt man sich. Aber hat man am Ende tatsächlich mehr Spaß?
Guter Punkt. Und zu guter Letzt: Was würdest du den fairaudio.de-Lesern zum Abschluss dieses Interviews sagen?
Habt Spaß! Das ist es. Das ist es, worauf es wirklich ankommt. Wenn der Spaß darunter leidet, ist etwas schiefgelaufen und es ist Zeit für eine Korrektur oder einen Reset. Das klingt sehr einfach und sollte es auch sein, aber es wird oft genug vergessen. Jetzt ist es an der Zeit, daran erinnert zu werden.
Sanftes Paddeln oder gar kein Paddeln. Die Wasserfälle und ihre Geräusche machen wir alle selbst. Danke, Käpt’n Jörg. Die Rettungsbojen sind jetzt alle im Wasser. Oder ist das ein Meer aus billigem Rotwein? Over and out!