Der Samstag ist den Ausstellern im Radisson Sobieski vorbehalten. Immerhin 66 Räume gilt es zu besuchen. Hier sind neben großen Namen auch viele kleinere, häufig nur auf dem heimischen polnischen Markt tätige Hersteller und Produzenten zu finden. Dort herrscht oft ein ziemliches Gedränge, obwohl oder gerade weil sie mehrheitlich sehr erschwingliche Produkte anbieten.
Eine angenehme Hifi-Begeisterung lässt sich unseren polnischen Nachbarn jedenfalls nicht absprechen. Auffallend ruhig und konzentriert bei der Sache hören sie sich die Vorführungen an. Man gewinnt rasch den Eindruck, Musikreproduktion habe hier generell noch eine andere, höhere Wertigkeit. Eben die eines Kulturgutes und nicht die einer immer und überall verfügbaren Dauerberieselung. Dazu scheint der Altersdurchschnitt der Messebesucher gut und gerne 15 Jahre unter dem bei uns gewohnten Level zu liegen.
Im Erdgeschoss des Radisson treffe ich auf die Marke Taga Harmony. Mir bisher unbekannt, erfahre ich, dass der Hersteller durchaus weltweit operiert. Das Portfolio umfasst nicht nur Röhren- und Hybridamps, sondern auch Lautsprecher, wobei es neben Hifi-Lautsprechern auch welche für den Garten und die In-Wall-Montage gibt. Ergänzt wird das Portfolio von Kabeln, Steckerleisten und anderem nützlichen Zubehör. Angelockt hat mich eine munter aufspielende Kette aus dem KT-88 bewehrten Röhrenvollverstärker TTA100 und den Standlautsprechern Platinum F120 V3. Etwa 1650 Euro werden für den Amp fällig, für ein Paar der Platinum-Schallwandler gar nur umgerechnet 1150 Euro. Die auf einem Gold Note Schallplattenspieler rotierende Scheibe „Conversations“ der Jazzsängerin Anne Bisson und des Cellisten Vincent Belanger tönt unerwartet natürlich, die Anlage bildet die Musiker sehr ordentlich zwischen den Lautsprechersäulen ab und kann auch dynamisch durchaus bei mir punkten. Kurz gesagt, eine Performance, welche ich bei Komponenten in diesem Preissegment nicht unbedingt erwartet hätte.
In Banbury, Oxforshire, also in Großbritannien residiert Audio Art Technology, deren Schallwandler offensichtlich dem omnidirektionalen Prinzip folgen und eine 360°-Schallabstrahlung ermöglichen sollen. Daneben erinnern die Schallwandler mächtig an große Vasen, während die mannsgroßen Subwoofer, zumindest in Schwarz eine gewisse Ähnlichkeit mit einem gewissen Star-Wars-Protagonisten nicht verhehlen können. Klanglich befleißigen sie sich nicht ganz unerwartet einer sehr luftigen, mehrdimensionalen Raumabbildung. Insgesamt allerdings ein Klang, dem mehr Fokus und Substanz bei den Klangkörpern sicher ganz gut stünde. Auch bei der Einbindung der Subs gibt es noch Raum für Verbesserungen.
Als klangliches Schwergewicht hingegen entpuppt sich, ebenfalls nicht völlig unerwartet, der von Peter Trenner und Andreas Friedl (https://www.trenner-friedl.com/) nach Warschau mitgebrachte Top-Schallwandler Taliesin. Nach einem Barden des Mittelalters benannt, ist der Taliesin ein Statement zum 25-jährigen Bestehen des österreichischen Herstellers. Talisien hieß vor über einem Vierteljahrhundert bereits der erste Referenzlautsprecher Trenner + Friedls, sozusagen der Schallwandler-Urmeter der Lautsprechermanufaktur.
Der heutige Taliesin bringt nicht nur knappe 100 kg auf die Waage, sondern birgt auch innere Werte, wie besonders wertvolle Weichenbauteile, Naturschafswolle für die innere Dämpfung, einen 18-Zöller für den Bass und ein 12-Zoll-Pendant für den Mitteltonbereich, um nur einige der Besonderheiten zu nennen. Das wichtigste ist aber der extrem breitbandige Klang, zu dem der Schallwandler fähig ist. Der Taliesin scheint kaum Limitierungen zu kennen, und wenn solche hörbar werden, dann dürften sie eher der Quelle oder der Verstärkung anzulasten sein, als diesem Ausnahmelautsprecher. Im Vergleich zu anderen Superschallwandlern mag der Preis von 69900 Euro pro Paar ja durchaus in Ordnung gehen, doch leider gilt das nicht für die Kompatibilität mit meinem Bankkonto.
Insgesamt ein wenig kleiner, aber nicht weniger fein geht es im Zimmer von Reinhard Thöress und Hyun Lee von Tedeska zu. Der hauseigene Tonarm des Cantano-Laufwerks führt das Tedeska MC DST 201u, während Verstärkung und Schallwandler vom Aachener Röhren- und Lautsprecherspezialisten Thöress beigesteuert werden. Als stimmig, kohärent und musikalisch richtig ließe sich das erzeugte Klangbild sicherlich gut charakterisieren. Für mich ein willkommener Ruhepol inmitten des typischerweise von Superlativen geprägten hektischen Messetrubels.
Wieder unterwegs, entdecke ich Tri-Art Audio aus Kanada, deren Kette vom Tonarm bis zu den Open-Baffle-Schallwandlern mehr als nur ungewöhnlich scheint, besteht sie doch zu einem großen Teil aus Bambus. Biologisch ist es sicher sinnvoll, sich des rasend schnell nachwachsenden Rohstoffs zu bedienen – aber klanglich? Doch bereits die ersten Töne des Systems sind bei weitem nicht so abgefahren, wie es Material und Optik vermuten lassen. Mit geschlossenen Augen würde man der Anlage sogar eine recht beachtliche Leistung auch unter Hifi-Aspekten zugestehen. Tatsächlich wirkt das Klangbild harmonisch und frei von störenden Artefakten. Noch so eine Insel, die tief entspanntes Hören zulässt. Einen Vertrieb in Deutschland gibt es offenbar bislang noch nicht, wohl aber in Polen und Österreich.
Max Magri stellt im italienischen Bressania Bottarone die Grandinote-Verstärker und -Lautsprecher her. Signore Magri ist unglaublich freundlich und scheint auf die Macht des Lächelns zu setzen. Auch seine Amps fallen auf. Optisch ungewöhnlich gestaltet, heben sich die mit Transistoren bestückten Geräte im Inneren vor allem durch den Einsatz von Ausgangsübertragern vom Gros Kollegen aus der Mehrfüßler-Zunft ab, weshalb man bei Grandinote von Magnetosolid-Verstärkern spricht. Tatsächlich erinnert der Klang, den Magri ihnen entlockt, an eine gelungene Tube-Transistor-Melange. Kraftvoll und klangfarbstark, im Bass differenziert und präzise klingt bereits der „kleine“ Vollverstärker Shinai, mit dem der sympathische Italiener ein ums andere Mal sehr tieftonhaltige Druckwellen in beachtlicher Lautstärke durch das Hotelzimmer jagt.
Da sein Lautsprecher Mach 4 eine schlanke und nicht besonders große Säule ist, trauen viele Besucher den Schallwandlern solch niedrige Frequenzen wohl offenbar nicht zu und suchen instinktiv, sehr zum Vergnügen des Grandinote-Chefs, nach versteckten Subwoofern. Das Gehäuse der 18000 Euro teuren Mach 4 besteht übrigens aus Aluminium. Na gut, irgendwann geraten die kleinen Treiber dann doch an ihre physikalische Grenze und es klingt zu (sehr) hohen Pegeln hin zunehmend angestrengt. Der Vollverstärker Shinai, in Deutschland für 9900 Euro zu haben, macht nichtsdestotrotz einen ausgezeichneten Job und steht ab sofort auf meiner persönlichen Shortlist von Geräten, die es daheim auszuprobieren gilt.
In der siebten Etage – ja tatsächlich, über so viele Ebenen erstreckt sich die Audio Video Show im Radisson- treffe ich wieder einmal auf den slowenischen Lautsprecher Ubiq Model One, dessen Preis nun aufgrund gewissenhafter Produktpflege von ehemals 12500 auf 15000 Euro gestiegen ist. Die vollmundige, recht tief reichende Basswiedergabe verdankt er einem 12-Zoll-Basschassis aus dem Profibereich und auch sonst lässt sich so ziemlich jede Musikrichtung in fast beliebiger Lautstärke realisieren. Diesmal kommt sogar Verstärkung aus eigenem Haus zum Einsatz. Billig ist die allerdings nicht, denn der als Hybrid Integrated Amp bezeichnete Verstärker ist im Prinzip eine klassische Endstufe, die unter anderem mit nicht weniger als sieben Duelund-Kondensatoren versehen wurde und unter deren Deckel man einen MSB Analog-Dac gesteckt hat, dessen Vorstufensektion nun die Vorverstärkung übernimmt und der neben den üblichen Digitaleingängen auch einen Analogeingang vorhält. Im Netz sind leider kaum Infos zum Amp zu erhalten, dafür aber werden bereits Vorbestellungen angenommen. Preis? Ab 33000 Euro.
Die nächsten Schallwandler, die mir auffallen, sind ziemlich klein und tropfenförmig. Klanglich von ungewöhnlicher Klarheit, doch keineswegs zu hell oder schlank abgestimmt, sondern auf den Punkt ausbalanciert. Die Basswiedergabe ist bei so handlichen Schallwandlern natürlich eingeschränkt, nicht aber Bühnenausdehnung und Proportionen der Klangkörper.
Noch eigenwilliger ist der Integrierte gestaltet, der die Monitore antreibt. Eine organische Form, einem Schildkrötenpanzer nicht unähnlich, ganz in Schwarz, wobei die Bedienknöpfe durch rote Accessoires abgesetzt sind und die ebenfalls roten Verstärkermodule auf dem Rücken des Panzers als Eyecatcher fungieren. Ein stattlicher, freundlicher, wohl in seinen Sechzigern stehender Herr, stellt sich als Kostas Metaxas vor und outet sich dann als Konstrukteur der beschrieben Kette. Das ist also der Raum von Metaxas & Sins, wie Metaxas seine beiden Söhne augenzwinkernd zu nennen pflegt. Bekannt geworden ist er natürlich durch den Verstärkerbau, doch seine Interessen galten und gelten immer schon auch dem Gestalten und Designen ganz allgemein, sowie der Arbeit als Toningenieur. Er ist wahrscheinlich der einzige Aussteller, der ausschließlich mit eigenen Aufnahmen vorführt. Die hier gezeigten Lautsprecher heißen Macrophones und der Integrierte ist so etwas wie eine Reinkarnation des frühen Ikarus-Vollverstärkers aus den Achtzigern. Beide sollen je 25000 Euro kosten. Und natürlich hat Kostas Metaxas, der inzwischen in Amsterdam lebt und arbeitet, noch skurrileres im Programm, etwa einen Kopfhörerverstärker im Totenschädeldesign oder die Lautsprecherskulptur Sirens.
Im Golden Tulip schließlich treffe ich Living Sounds Gerhart Hirt, der bei vollbesetzten Auditorium eine Kette von Ayon-Geräten an Lumen White-Schallwandlern präsentiert. Als Quelle dient ihm dabei der CD/SACD-Spieler CD 35 HF Limited, der nun in einer auf 50 Stück limitierten Sonderserie gebaut wird. Genau ein einziger wird im Monat von Ayon gefertigt. Ein exklusives Vergnügen, dass mit 20000 Euro auch seinen Preis hat. Die vorgeführte Anlage zeichnet sich durch rasante Dynamik und unerhörte Transparenz aus. Dabei stehen Sänger und Instrumente plastisch und nahezu greifbar im Raum. Eine Hörerfahrung, die dank sorgfältiger akustischer Behandlung des großen Saals nicht allein für die Hörer im Sweet Spot möglich wird, sondern auch auf vielen der umliegenden Sitzplätze.
Zu selten bekommt man ein großes Laufwerk des Herstellers DaVinciAudio aus der Schweiz zu sehen und zu hören. Im Golden Tulip kann das Reference Turntable Mk.2 in der Ausführung mit zwei Tonarmen bewundert werden. Zusammen mit Jadis-Röhrenverstärkern und den Schallwandlern Ktema des italienischen Herstellers Franco Serblin ist dies eine Anlage, bei der die kunstvolle manuelle Fertigung ein bestimmendes, gemeinsames Merkmal aller Komponenten ist und neben den klanglichen Aspekten den ganz besonderen Wert dieser Kette ausmacht.
Bevor es wieder daran geht, den Koffer für den Rückflug zu packen, ist noch Zeit für einen kurzen Besuch im Saal Tulip 2 wo Sound by Hari die wirklich beeindruckend großen Schallwandler Maat von Sigma Acoustics vorführt. Da der Inhaber Hari Strukelj auch die legendären Verstärker von FM-Acoustics vertreibt, kommen natürlich nur die goldfarbenen Amps aus der Schweiz als Verstärkung in Frage. FM 123 und FM 245 dienen der Vorverstärkung, die Schwerstarbeit müssen die putzigen Monos FM 108 übernehmen. Die leisten ultrastabile 70 Watt und kosten nicht besonders putzige 20000 Euro, Schweizer Wertarbeit eben. Tatsächlich liefern die riesigen Maat eine Performance ab, als würden ihnen Mega-Amps mit hunderten von Watt gehörig Beine machen und nicht die Schweizer Winzlinge. Mit dem Laufwerk Vertere SG-1 Standard Groove steht eine Quelle zur Verfügung, die den bändchenbewehrten Maats fast alles an Feinzeichnung und Details abringt, zu denen sie fähig sind. Vollkommen mühelos und ohne jede Anstrengung füllen die mächtigen Schallwandler den Saal mit ihren kraftvollen Mitten und ultratiefen Bässen. Ein seltenes Erlebnis und auch Sigma Acoustics Entwickler Aldo Zarinello scheint mit der Performance seiner großen und mit immerhin 187000 Euro auch ziemlich wertvollen „Babys“ mehr als zufrieden.
Am Sonntagabend liegen drei kurzweilige Tage hinter mir und die Fahrt im vollbesetzten Bus zum Flughafen Chopin vor mir. Geboten wurde ein gelungener Mix aus großem High-End und kleineren, spannenden Marken, die es häufig noch nicht bis in unsere Breitengrade geschafft haben. Das Publikum scheint dies ebenfalls zu goutieren, denn laut Veranstalter haben etwa 14000 Interessierte die Audio Video Show 2017 in Warschau besucht. Wirklich nicht schlecht für ein Wochenende.
Messebericht: Audio Video Show Warschau 2017