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Für immer und alle

März 2017 / Victoriah Szirmai

Rumer – This Girls in Love

Es fällt mir oft schwer abzuschätzen, wann eine Plattenempfehlung auf Sie trifft. Da schreibe ich beispielsweise an einem herrlichen Hochsommerabend begeistert über Chillout-Klänge maritimer Provenienz, und Sie, gebeutelt von ersten Herbststürmen, denken, was soll mir denn jetzt dieser Ibiza-Beat?

Rumer Cover

Für Künstler ist dieser Spagat noch viel größer. Die nehmen, wie etwa Barbara Dennerlein, ihre Weihnachtslieder schon mal bei tropischen zweiunddreißig Grad auf, um sie zur rechten Zeit an den Hörer zu bringen, denn natürlich funktionieren Platten saisonal. Die, die es nicht tun, nennt man nicht ohne Grund Klassiker. Und genau solche habe ich heute mitgebracht. Für Traditionalisten. Für Sinnsucher. Für Dinnermusikhörer. Für Deprisoundtrackbraucher. Für Weihnachtshasser. Für Neubeginner. Denn auch das zeichnet den Klassiker aus: Er funktioniert nicht nur immer, sondern auch: für alle.

Rumer Cover back

So auch Rumers Bacharach & David-Songbook This Girl’s In Love in liebevoll ausgestatteter Vinylausgabe. Anders als etwa Lucia Cadotsch mit ihrem Trio Speak Low bürstet die britische Singer-Songwriterin mit den pakistanischen Wurzeln die Evergreens hier nicht gegen den Strich, sondern gibt sie derart schnörkellos wieder, dass man sich sofort an andere Königinnen des Understatements, wie etwa Adele in der Royal Albert Hall, erinnert fühlt. Doch während Letztere auch eine durchaus formidable Bond-Sängerin abgibt, wäre das bei Rumer undenkbar – viel zu wenig Diventum steckt in ihren zarten Interpretationen, die umso berührender sind. Es ist vor allem die Stimme, die das Besondere, ja: den Zauber dieser Platte ausmacht. Schließlich sagt der legendäre Burt Bacharach auch nicht alle Tage von einer Interpretin seiner Stücke, sie habe ein goldenes Organ.

Rumer Packshot

Schon nach Veröffentlichung von Rumers 2010er-Debüt Seasons Of The Soul lud der „King of Smooth“ die 1979 als Sarah Joyce geborene Sängerin in sein kalifornisches Haus ein, nur um sie singen zu hören. Der Mann hat Geschmack. Allein das vorab veröffentlichte „(They Long To Be) Close To You“ lief bei mir in tagelanger Rotation, ohne dass ich seiner auch nur eine Sekunde lang überdrüssig geworden wäre. Und auch jetzt, wo ich die ganze Platte kenne, halte ich das Stück nach wie vor für das mit Abstand schönste dieser an schönen Stücken nicht gerade armen Kollektion, die von Dionne-Warwick-Arrangeur John Robert „Rob“ Shirakbari – der, ganz nebenbei, seit etwa einem Jahr auch Rumers Ehemann ist – produziert, arrangiert und dirigiert wurde.

Rumer 1.3

Schon ihr sanfter Zeitlupen-Opener „The Look Of Love“ macht keine Experimente, berührt in seiner Geradlinigkeit aber umso mehr. Es gibt ein paar angedeutete Blue Notes, einige zurückhaltende Streicher und ganz, ganz viel Rumer, deren Stimme von Shirakbaris Piano umspielt, mehr noch: umgarnt wird – eine perfekte Mischung, die Programm ist für das gesamte 12-Song-Album. Und selbst dort, wo die Streicher wie auf „A House Is Not A Home“ mal mehr aufdrehen, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, Rumer und Shirakbari beim intimen ehelichen Dialog zu belauschen. Das gilt umso mehr für den lässig gesungenen Überklassiker „Walk On By“, dem die beiden scheinbar zwischen Pastateigausrollen und Katzenfüttern beizukommen trachten, und tatsächlich: alles richtig gemacht.

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Einzig etwas zu easy listening: Das Rhodes-dominierte „The Last One To Be Loved“, das aber sofort vom bezaubernden Titeltrack, auf dem es sich der mittlerweile 88-jährige Bacharach nicht nehmen ließ, höchstselbst das Piano zu spielen, aufgefangen wird – zumindest, bis ab Minute 2:30 der Backgroundchor loslegt und dann auch noch eine Harmonica dazukommt. Hier hat es Shirakbari eindeutig ein bisschen zu gut gemeint! Das gilt auch für den Closer „What The World Needs Now Is Love“, der mal eben ein vielköpfiges Orchester auffährt, bevor Rumers Vocals ganz pur erstrahlen dürfen. Wer sich von einer Stimme so richtig umschmeicheln, einhüllen, in sie hineinfallen lassen will, muss nicht weiter suchen.

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Paul Kelly & Charlie Owen – Death’s Dateless Night

Paul Kelly Charlie Owen Cover

Die Fahrt zur Beerdigung eines gemeinsamen Freundes inspirierte den australischen Singer-Songwriter Paul Kelly und seinen Landsmann, den Multiinstrumentalisten und Produzenten Charlie Owen, zu ihrer jüngsten Kollaboration Death’s Dateless Night. Ausgehend von der Frage, welche Songs üblicherweise auf Beerdigungen gespielt werden und welche man stattdessen lieber hören würde, sammelten die beiden ihre einschlägigen Lieblingsstücke zusammen, die sie mit einigen Originalkompositionen Kellys anreicherten. Alle eint, dass sie weniger auf Düsternis und Verlust fokussieren, als vielmehr auf Wärme und Trost.

Paul Kelly Charlie Owen Packshot

So auch der den Totentanz eröffnende Parlor-Song-Klassiker „Hard Times“ aus der Feder Stephen Fosters, der auch nach 150 Jahren nichts von seinem versöhnlichen Gestus eingebüßt hat, während Townes Van Zandts „To Live Is To Fly“ erstmal nach einem guten Tennessee-Whiskey verlangt. Zum Heulen schön dann „Pretty Bird Tree“ des autochthonen Singer/Songwriters LJ Hill, der in seinen Stücken Einflüsse der Aborigines, Cherokee und Iren mischt, unterdessen das später als „Atlanta Blues“ bekannt gewordene Traditional „Pallet On Your Floor“ einen Hauch lazy bluegrass samt Kommste heute nicht, kommste morgen-Attitüde ins Spiel bringt.

Apropos Traditional: Das Zeug zum modernen Klassiker hat auch die Kelly-Komposition „Nukkunya“, deren see you later-Botschaft (so die wörtliche Übersetzung des aus der Sprache der Narrunga stammenden Begriffs, der in Kellys Heimatort Adelaide längst fixer Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs ist) im schottisch-irischen Traditional „The Parting Glass“ seine Entsprechung findet, das traditionellerweise am Ende einer Zusammenkunft von Freunden gesungen wird. Wer dagegen den reduziert-brüchigen Charakter der späten Johnny-Cash-Sessions schätzt, wird auch an der Kelly-Komposition „Meet Me In The Middle Of The Air“ Freude finden, deren Schwere hervorragend vom laissez faire-Habitus des Cole Porter-Standards „Don’t Fence Me In“ abgefedert wird, wo eine Handvoll Backgroundmiezen die lässige Saloon-Atmosphäre perfekt macht.

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Wer’s dunkler will, wird bei Leonard Cohens „Bird On The Wire“ fündig, das mir persönlich in Kellys Interpretation sogar näher ist als die Originalaufnahme des Meisters von 1968, was für seine „Let It Be“-Wiedergabe nicht unbedingt gilt. Schon 2010 war Kelly Teil des Tributalbums Long Gone Whistle – The Songs of Maurice Frawley. Auf „Good Things“ erweist er dem 2009 verstorbenen Bluesrocker, der Anfang der Achtzigerjahre Gitarrist bei Paul Kelly and the Dots war, einmal mehr seine Reverenz. Mit dem so gar nicht bedrohlich wirken wollenden „Angel of Death“ von „Hillbilly Shakespeare“ Hank Williams schließt dieses versöhnliche Album, das alles andere als traurig zu stimmen weiß.

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