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The Libertines – Anthems for Doomed Youth | The Maccabees – Marks To Prove It | The Fratellis – Eyes Wide, Tongue Tied

August 2015 / Thomas Winkler

Humor hat er ja, der alte Junkie. „Oh, fuck it, here I go again“, singt Pete Doherty. Und tatsächlich ist es ja so: The Libertines sind wieder zurück und er ist dabei. Jene Band, mit der die Skandalnudel bekannt wurde, mit der er seine ersten Hotelzimmer zerlegte und dank der er Kate Moss kennenlernte. Jene Band aber auch, die er eigentlich niemals wiederbeleben wollte, weil sie geprägt war von der Freundschaft zu Carl Barât, die vom Heroin zugrunde gerichtet wurde. Oh Fuck, singt Doherty und meint: Jetzt geht der Mist wieder von vorne los.

the libertines cover

Noch so ein Witz wartet bereits auf dem Cover der Comeback-CD des berüchtigten Quartetts aus London: Der anscheinend einmal geplante Titel „Hallelujah Day“ ist durchgestrichen, darunter dann „Anthems for Doomed Youth“. Übersetzt mag das wohl heißen: Die glorreichen Tage sind vorbei, was bleibt, sind bloß noch Hymnen für eine verlorene Jugend.

Griffiger könnte man den Zustand des Britpop kaum zusammenfassen. Britpop, das ist doch vor allem Vergangenheit. In den frühen Neunzigerjahren erfanden Oasis, Blur oder Radiohead den britischen Rock, der damals nicht einmal mehr seltsam zu riechen verstand, noch einmal neu. „Cool Britannia“ war geboren und wurde zum dermaßen durchschlagenden Erfolg, dass Premierminister Tony Blair Popmusiker zur Party in die Downing Street Number 10 lud. Dieser Hochzeit folgte ziemlich genau ein Jahrzehnt später ein Revival mit Bands wie Franz Ferdinand, Arctic Monkeys oder eben The Libertines. Die lieferten zwei fulminante Alben ab, das Debüt „Up The Bracket“ von 2002 wurde erst kürzlich vom Musikexpress zum bislang besten Album des 21. Jahrhunderts gekürt.

the libertines 2015

Nun, wiederum eine Dekade später, hat Popmusik, die vornehmlich elektronisch erzeugt wird, nicht nur die Aufgabe übernommen, musikalische Innovationen zu erarbeiten, sondern sich auch im Mainstream etabliert. Rockmusik im Königreich Ihrer Majestät ist dagegen dieser Tage in erster Linie sentimentale Unterhaltung für ein in die Jahre gekommenes Festivalpublikum, eine bisweilen arg verblasste Erinnerung.

Also müssen die alten Helden wieder ran. Schon 2010 fanden die vier Originalmitglieder der Libertines zu einigen überraschend harmonischen Reunion-Auftritten zusammen. Trotzdem kam die Ankündigung, dass sich Doherty und Barât auf Dauer wieder zusammengerauft hatten und sogar ein neues Album planten, im vergangenen Herbst überraschend. Seitdem warten die Fans auf das neue, insgesamt erst dritte Werk der Bandgeschichte.

Nahezu zehn Monate nach der ersten Ankündigung erscheint „Anthems for Doomed Youth“ nun endlich – und enttäuscht überraschenderweise die hohen Erwartungen nicht. Eine musikalische Entwicklung ist zwar beim besten Willen nicht zu diagnostizieren, aber warum sollte man Großartigkeit nicht einfach immer weiter fröhlich kopieren? Also spielen die Libertines ihre von Doherty und Barât, einem der besten Songwriter-Duos der Popgeschichte, klassisch konstruierten Songs mit einem aus dem Punk geklauten Dilettantismus, versetzen das mit ein paar nahezu kindlichen Folk-Melodien, einem fast schon jazzartigen Gespür für Rhythmuswechsel und natürlich ausreichend Pathos. Was diese Band aber wirklich einzigartig macht, ist, wie sie die Antipoden müde Nachlässigkeit und hingerotzte Wut in allergrößter Selbstverständlichkeit miteinander in Einklang bringen. So hingeschludert haben Ohrwümer noch nie geklungen.

the libertines teaser

Die ehemaligen Streithähne Doherty und Barât haben, so klingt es jedenfalls, die größten Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt und singen im Titelsong oder in „Iceman“ rührende Duette. Ansonsten wird – wie schon einst – viel geflucht in den Songs, und der mittlerweile 36-jährige Doherty schildert schon mal detailliert jene Drogenabstürze und Sauftouren, die ihn zwischenzeitlich zum Liebling der britischen Boulevardpresse hatten werden lassen. Aber was soll’s, einer wie er kann eben nicht anders, oder, wie er selbst singt: „I can’t help that I’m a bastard in the morning.“ Kurz: Das womöglich größte verschwendete Popgenie seiner Generation ist zurück in jener Konstellation, die das Beste aus ihm herausholt.

the maccabees cover

Dagegen hat die zweite Liga keine echte Chance. The Maccabees, gegründet 2004 in London, konnten die Rolle als Nachzügler nie so richtig loswerden. Daran wird auch ihr viertes Album „Marks To Prove It“ nichts Grundsätzliches ändern können. Doch die Maccabees sind immerhin in der Lage, mit ihrer Situation ironisch umzugehen: Nach exakt 34 Sekunden setzt ein Schrei ein, der ziemlich offensichtlich jenes legendäre Gegröle zitiert, mit dem das Titelstück von „Up The Bracket“ beginnt. Mit diesem Verweis auf die Libertines leiten die Maccabees ein solides Album voller knackiger Gitarren ein, das nach zuletzt eher behäbigen Veröffentlichungen so nicht zu erwarten war. Dabei beziehen sie sich weniger auf ihre Zeitgenossen, sondern auf Oasis und die Britpop-Großväter The Kinks.

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Diese Erinnerungen sind naturgemäß eher wehmütig. Songs wie „Kamakura“ werden sanft hingetupft, um dann im Refrain doch noch trotzig und laut und raumgreifend zu werden, aber die Wut bleibt stets schaumgebremst. Während die Libertines noch einmal erfolgreich die alten Zeiten wiederaufleben lassen, scheinen die Maccabees das Wissen darum, dass der Britpop seine goldenen Jahre lange hinter sich hat, – wenn wohl auch eher unbewusst – in Töne zu fassen. Immer wieder brechen die Songs aus, versuchen sich ins Pathos zu retten oder doch wenigstens in eine rebellisch anmutende Atonalität, nur um dann doch wieder eingefangen und domestiziert zu werden.

the fratellis cover

Nicht einmal diese innere Zerrissenheit können The Fratellis noch aufbringen. Auch ihr neues Album ist ihr viertes. Doch „Eyes Wide, Tongue Tied“ kennt keine Zweifel, sondern nur den Weg nach vorne. Das Tempo ist meist hoch, das Klavier kann Boogie, die Stimmung ist weitgehend aufgeräumt und die Melodien sind zum Mitgrölen geeignet. Man kann der Band aus Glasgow beileibe nicht absprechen, sich jenes Talent zur Eingängigkeit bewahrt zu haben, dank dem sie 2006 bekannt wurden. Damals wurde der Song „Chelsea Dagger“, eine arg primitive, aber hochinfektiöse Glamrock-Nummer in einem nur leidlich gebrochenen Marschrhythmus, nicht nur zum Renner in britischen Pubs und Fußball-Stadien, sondern sogar bei den Fans von Juventus Turin.

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Nun, acht Jahre später, wirken ihre Bemühungen zwar ziemlich oft hittauglich, aber halt auch eindimensional. Ihre Idee von Britpop wäre vor zwanzig Jahren vielleicht noch aufregend gewesen, heute aber wirkt sie viel zu naiv und schrammt nur haarscharf an der Karikatur vorbei. The Libertines dagegen wussten von Anfang an, dass sie bloß versuchen, ein Pferd zu reiten, das längst tot ist. Wenn sie sich nun noch einmal aufs Gerippe quälen, wissen sie wenigstens, wie man die alten, abgenagten Knochen noch einmal zum Klappern bringt.

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