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ErpfenBrass – Hart Verzwungen Vol.I

April 2015 / Victoriah Szirmai

Vinyl-Junkies wie ich bedauern nicht nur, dass mit der Vorherrschaft der CD das vielzitierte Knistern aus der Musik verschwunden ist – wir beklagen auch die unschöne Tatsache, dass die ehemals so opulente Coverkunst im Wortsinne auf ein Minimum reduziert wurde. Dass es auch anders geht, beweist die Verpackung des fünf Jahre gereiften „Erpfensounds“ der schwabenälbischen Blechbläsertruppe ErpfenBrass, die das CD-Format mit einer beidseitig aufklappbaren Kartonhülle und zwei Einsteckschlitzen für Booklet und CD – von Kennern auch als achtseitige Booklet-CD-Digifile beziehungsweise als Profilepac bezeichnet – derart ausreizt, dass es allen Vinylhüllennostalgikern ein Hauptspaß ist. Zu ihnen gehört auch ErpfenBrass-Manager, -Tenorhorn- und -Tubaspieler Sebastian Jäger, der einräumt: „Besser noch als unsere Musik gefällt uns unser Design.“

ErpfenBrass | Hart Verzwungen Vol. I Cover

Indessen muss sich der Inhalt hinter seiner außergewöhnlich aufwändigen Verpackung keineswegs verstecken. Den Auftakt macht „Sometimes“ mit einer pupsenden Basstuba, der sich eine gutgelaunte Gitarre zugesellt, sekundiert von einem funky Bläsersatz. Spätestens der Gesang stellt dann endgültig klar, dass wir es hier mit einer ausgewachsenen Funk-Platte zu tun kriegen werden. Mit dem ursprünglich für die James Brown Band geschriebenen, 1968er Pee-Wee-Ellis-Klassiker „The Chicken“ folgt dann auch ein bassgetriebener Uptempo-Wohlfühler auf dem Fuße, wohingegen „Smokin‘ Good!“ in elegant-erotische Latin-Gefilde entführt und mit einem Solo, das gern free-er wäre als der Rahmen des Stückes zulässt, deutlich macht, dass der Sound der Erpfenhausener eben doch im Jazz verwurzelt ist. Das zeigen auch die „Henno Times“ mit ihrer swingenden, engen Stimmführung, die wir ähnlich beim Christian Meyers Quintet gehört haben, und einem feinen Solo von Erpfen-Altsaxophonist Christoph „ChriKo“ Konnerth, der gleichzeitig als Urheber des Stücks verantwortlich zeichnet.

ErpfenBrass | Hart Verzwungen Vol. I CD Cover
Foto: design-quartier.de

Mein persönlicher Favorit ist „Acousticon“, die Interpretation eines Stückes der Youngblood Brass Band, die sich seit Ende der 1990er-Jahre ihrerseits in Nordamerika um die Fusion von Blasmusik mit Jazz, Funk und HipHop verdient gemacht hat. Ich stehe nun mal auf diesen schleppenden, ja: verschleppten Groove, der einen nach Auf-, ach was, nach Erlösung lechzen lässt! Soliert wird, wie schon auf „Smokin‘ Good!“, auf Posaune und Trompete von Jan Jäger und Christian „Grischi“ Grässlin. „Muckel“, eine Komposition des Sloweniers Slavko Avsenik, der in seinem ersten Leben Skispringer in der jugoslawischen Nationalmannschaft war, ruft mit seinen Rührtrommeln zunächst zum Appell, verfrachtet den Hörer dann aber geradewegs wieder in die Alpen. Als Teenager hätte ich das „total uncool“ gefunden – mittlerweile habe ich jedoch nicht nur eine Art subversives Vergnügen an Alpineskem aller Art entwickelt, sondern freue mich an dieser Stelle ganz besonders darüber, hier mal das ansonsten eher selten anzutreffende Tenorhorn farbgebend zu vernehmen! Apropos uncool: Gemessen an der BPM-Zahl könnte „Muckel“ locker in jedem Technoclub dieser Welt bestehen.

Volkstümlich bleibt es mit „Sjaaranka“, wobei „volkstümlich“ hier im Sinne von „zünftig“ zu verstehen ist, und das wiederum in dem Sinne, dass hier die Liner Notes, die sich in „Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/Ich sauf ne Halbe rein/ …“ erschöpfen, perfekt passen. Wohl nicht ohne Grund zählt Königsbräu, die Traditionsbrauerei von der Schwäbischen Alb, zu den Unterstützern von ErpfenBrass. Da tut ein weiterer Zwischenstopp in Lateinamerika mit Tomàs Perez aus Puerto Rico an Congas & Co. auf „Cold Duck Time“ ganz gut – übrigens die Interpretation eines Stückes von Eddie Harris‘ Swiss Movement, dem legendären Montreux-Jazz-Festival Mitschnitt von 1969, der bis heute als eine der besten Jazz-Funk-Alben der Sechzigerjahre gehandelt wird. ErpfenBrass machen es zum Latin Funk – geiler E-Bass, geile Bläser, ach, was soll der Geiz: geiles alles!

ErpfenBrass | Hart Verzwungen Vol. I Studio

ErpfenBrass | Hart Verzwungen Vol. I Studio 22

Und dann kommt Stück Nummer neun, das zunächst wie ein James-Bond-Soundtrack auf erpfisch klingt, tatsächlich aber der All-Time-Klassiker „Sunny“ ist. Dank der Reihe A Collection Of Various Interpretations Of – „Sunny“ und „Sunny Part 2“ habe ich den Song zweiunddreißigfach in meiner Musiksammlung (und da sind populäre Interpretationen wie jene von Boney M. nicht mitgezählt!), kann mich aber dessen ungeachtet an der Neuauflage durch ErpfenBrass mit jedem weiteren Hören mehr erfreuen. Nicht zuletzt bringt das Stück mich, die ich bekanntermaßen keine Freundin von Gitarren im Jazz bin, auf den Gedanken, das könnte vielleicht daran liegen, dass es so wenige Gitarristen wie Westcoast-Blues-Legende Alex Schultz gibt, der hier zum Gastspiel gebeten wurde – und sich nicht lange bitten ließ. ErpfenBrass-Hausgitarrist Andreas Schmid lässt auf seiner Eigenkomposition „Itsy Bitsy“ eine nicht minder meisterhafte, knochentrockene Funkgitarre hören, während er sich auf dem Schlusstrack „Halbe rein“, das ebenfalls aus seiner Feder stammt, obendrein als formidabler Funk-Bassist erweist. Wenn Hart Verzwungen Vol. I das Repertoire aus den ersten fünf Bandjahren von ErpfenBrass umfasst, freue ich mich jetzt schon auf Vol. II.

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