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Nils Wülker – Up

März 2015 / Victoriah Szirmai

Wie Nils Wogram mit seinen Nwog Records betreibt Namensvetter Wülker mit Ear Treat seine eigene, unabhängige Plattenfirma. Hier veröffentlicht er hübsche, teilweise auch recht experimentelle Platten. Für Up indessen ist er bei dem Majorlabel Warner Music untergekommen, um dort, so steht zu befürchten, das zu machen, was Konstellationen wie diese üblicherweise zum Ergebnis haben: kommerzielle Ware für den Massenmarkt. Das ist zwar durchaus legitim, schließlich muss ein jeder von etwas leben, stimmt selbsternannte Klangconnaisseure und Besserhörer in Bezug auf das Album jedoch nicht unbedingt erwartungsfroh.

Nils Wülker | Up Cover

Umso weniger, wenn man in Betracht zieht, dass die Scheibe ihren Ausgangspunkt in einer Songwritingsession mit dem Mannheimer Priestersohn Xaviar Naidoo nahm, der sich nicht nur jüngst politisch, sondern schon längst auch musikalisch diskreditiert hat. Up macht es einem nicht leicht. Zum unvoreingenommenen Hören muss man sich schon überreden (lassen). Letzten Endes siegt die Neugier, will man doch mit eigenen Ohren erleben, was dieses im Moment so schamlos gehypte Album denn nun tatsächlich in petto hat.

Das pirscht sich mit „Dawn“ dank der einen oder anderen Blue Note soft, aber gar nicht mal trivial an, wobei mir die Trompete hier fast als Pinsel erscheinen will, mit dem der Musiker in die von seiner Band bereiteten Landscapes kalligraphisch-sparsame Akzente setzt. Doch schon mit „Season“ wird Wülkers Sound weitaus weichgespülter und läuft Gefahr, in die Beliebigkeit abzugleiten – bis die Vocals von Max Mutzke einsetzen, dem es gelingt, eine durchaus annehmbare Ballade aus der Nummer zu machen. Singen kann der Mann, auch wenn ich mir persönlich hier jemanden mit mehr Biss gewünscht hätte, um einen Kontrapunkt zum watteweichen Bandsound zu setzen.

Wülker 1.2

Auf „A Fine Line“ hat sich dann aber auch der Trompetenton wieder gefangen, marschiert frohgemut nach vorn und nimmt den Hörer mit. Das Zwischenspiel erinnert von fern an Totos „Hold The Line“, und zum Schluss dreht der Song sogar richtig auf. Kann man so machen. Dann kommt mit „I Just Want To Play“ auch schon die Sache mit Naidoo. Die gute Nachricht: Er klingt hier nicht wie auf einer Xaviar-Naidoo-Platte. Die schlechte: Der Song in seiner gänzlichen Belanglosigkeit wäre noch am besten im Formatradio aufgehoben, wobei er eigentlich selbst dafür zu wenig zündet und stattdessen seltsam zurückgenommen im Pseudo-Rock-Modus verharrt. Ist überhaupt nicht mein Ding, aber wie für die ganze Platte bislang gilt auch hier: Kann man so machen.

Bei „Confluence“ dann scheint das Beethoven’sche Schicksal anzuklopfen, um gleich darauf von einer Gershwinade geschluckt zu werden, bis sich nach knapp zwei Minuten ein Groove auftut, schleppend, zwingend, hypnotisch, kurz: großartig. Die Streicher, die direkt aus seligen Isaac-Hayes-Zeiten zu stammen scheinen, geben der schwülen Atmosphäre den Rest. Hell, yeah! Über dem Ganzen liegt eine Improvisation, die in Kollaboration mit dem Jethro-Tull-Keyboarder Peter-John Vettel in London entstanden ist. „Kann man so machen“ hat sich in diesem Moment erledigt, denn das hier ist wegweisend! „Homeless Diamond“ hält den Spannungsbogen und erinnert dank der Vocals von Lauren Flynn an die Zusammenarbeit des Trompeters Roy Hargrove mit Sängerin Stephanie McKay. Low-Key-Funk wäre ein schönes Etikett dafür, entspannt und trotzdem voller Groove. Fein, das!

Funk, vielleicht nicht unbedingt härterer, aber auf jeden Fall schnellerer Gangart finden wir bei „Three Grains of Saffron“. Die Stimme von Gastvokalist David McAlmont ist mir noch von Gabrielles Always im Ohr, und auch dieser Song klingt nach Britsoulacidjazz à la Brand New Heavies, Des’ree, Lighthouse Family oder dem frühen Seal. Zum Durchatmen kommt die cinematoskopische, auf Arve-Henriksen-Art ECM-eske Ballade „Kelvingrove“ gerade recht. Die ist Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem schottischen Filmmusikkomponisten Craig Armstrong, der vielen vor allem vom Romeo+Juliet-Soundtrack und seinen Arbeiten für Massive Attack oder Madonna ein Begriff ist, während ich ihm immer noch tagtäglich für sein von Cocteau-Twins-Vokalistin Elizabeth Fraser gesungenes „This Love“ einen kleinen Altar in meinem Herzen errichte.

Wülker 1.3

Und schon wartet Up mit einer weiteren musikalischen Heroin von mir auf: NuSoul-Ikone Jill Scott. Die klingt auf „Worth The Wait“ jedoch auch nicht unbedingt nach der Sängerin, als die ich sie kenne, was jedoch in erster Linie an dem eher uninspirierten Song liegt. Falls noch nicht geschehen, hören Sie für einen Vergleich mal in ein paar frühe Scott-Titel wie „The Way“ oder „A Long Walk“ rein! Den Vergleich nicht scheuen muss dagegen Wülkers „Bridges“, ein funky Instrumental, das ich geneigt bin, als coolste Nummer des Albums zu bezeichnen. Für mich hätte es durchaus eine ganze Platte in diesem Stil geben können, denn Nils Wülker, und darin liegt die Tragik von Up begründet, benötigt seine ganzen namhaften Gäste im Grunde gar nicht.

Wülker 1.4

„Keeps On Walking“ indessen scheint nicht ganz von der Idee eines Wülker’schen P-Funk-Universums lassen zu wollen. Ob Sasha dafür der richtige Vokalist ist? Singen kann der umtriebige Nordrhein-Westfale zweifellos, dennoch bleibt, wie bei vielen Chartstürmern, ein Rest Skepsis. Der ist aber nichts im Vergleich zu dem Unbehagen, das beim von Ozark Henry gesungenen „Reading Kafka On The Shore“ befällt. Trotz des plakativ intellektuellen Titels ist dieses Stück einfach einmal zu oft in den Weichspülertopf gefallen! Nicht zuletzt fällt spätestens hier auf, dass die unterschiedlichen Gastsänger mehr Unruhe in dieses Album bringen, als ihm gut tut. Da lob ich mir das soundtrackaffine „Prism“, das sich mit sanftem Trompetenton ins Ohr schleicht, der von einem extraweichen Bass getragen wird, bis das Schlagzeug in Verbund mit einer schlicht glücklich stimmenden Gitarre und einem ein bisschen mehr aus sich herausgehenden Wülker einen locker-verträumten Groove kreiert, der aus dem Fenster gucken, lächeln und denken lässt, ja, kann man so machen. Bis auf wenige Abstriche scheint Wülker den Wechsel zu Warner unbeschadet überstanden zu haben. Wer hätte das gedacht!

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