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Max Raabe – Übers Meer

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max rabe übers meer

Auch Entertainer Max Raabe setzt neuerdings auf den unaufdringlichen Zauber von Stimme und Instrument pur. Sein umtriebiges Palast Orchester hat er Zuhause gelassen und stattdessen mit seinem langjährigen Begleiter, dem Pianisten Christoph Israel, sein erstes Solo-Album eingespielt. Treu geblieben ist der „Gentleman der Schellackplatte“ einzig den Chansons und Liedern der 1920er- und 1930er-Jahre. Übers Meer präsentiert eine handverlesene Auswahl aus jenen Tagen, denen heutzutage leider ein Ruf von Skurrilität anhaftet – geschuldet wohl der manchmal theatralisch oder gar affektiert anmutenden Interpretation, die sie nun einmal erfordern. Macht man sich jedoch die Mühe, dem ausgebildeten Bariton – der die Stücke im Übrigen nie überzeichnet, sondern sein Publikum vielmehr behutsam durch die Geschichten führt – wirklich zuzuhören, wird man von einer ungeheuren Zeitlosigkeit überrascht. Gewiss, es mag heute keine Backfische mehr geben, auch das Fräulein vom Amt ist ebenso verschwunden wie die besungenen Hüte im Straßenbild, doch die (allzu) menschlichen Befindlichkeiten, die haben sich nicht geändert.

Eingefangen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit aus Witz, Ironie und Lebenslust einerseits, Trauer, Melancholie und Verzweiflung andererseits, wurden sie von solch mittlerweile legendären Komponisten und Textdichtern wie Fritz Rotter, Robert Gilbert, Walter Jurmann, Austin Egen, Hans May, Walter Reisch oder Werner Richard Heymann – allesamt jüdischer Herkunft übrigens.

max rabe übers meer plattenkritikDas war bekanntlich kurze Zeit später nicht mehr gern gesehen, weshalb die Liedschreiber „übers Meer“ emigrierten und versuchten, fernab von Heimat und geliebter Muttersprache wieder Fuß zu fassen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Vielleicht diesem Umstand geschuldet ist das Album mit seinem Caspar-David-Friedrich-Cover weitaus weniger varieté- und gassenhauerhaft geraten als die Arbeiten mit dem Palast Orchester: Die Liederzyklus-artige Anordnung der 15 Chansons, Schlager und Couplets gib sich musikalisch reduziert, atmosphärisch vorwiegend melancholisch und wehmütig. Nicht umsonst ist das Meer – und damit zwingend einhergehend: Weite und Sehnsucht, Alleinsein und Heimatlosigkeit, kurz: Fernweh und Heimweh – tonangebende Metapher. Liebe und Sehnen, Weggehen und Ankommen sind die zentralen Themen, die Raabe hier behandelt.

Sicher, es gibt auch heitere Stücke auf Übers Meer. Gleich der Opener Weißt du, was du kannst präsentiert in seiner eindeutigen Doppeldeutigkeit einen Humor à la Veronika, der Spargel wächst. Leicht schließt sich auch Erst sagen Sie ja an. Doch schon ab dem dritten Stück breitet sich, hier noch vorsichtig, ein melancholischer Schmelz aus, der den weiteren Liedern des Albums nicht mehr von der Seite weichen wird.

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Und spätestens mit dem Klassiker Ninon sind wir beim dramatischen Teil der Platte angelangt. Lebe wohl, gute Reise wiederum mag zwar vordergründig locker und leicht daherkommen, doch untergründig geht es um die Angst davor, ob die entschwindende Liebe nach ihrer Rückkehr noch so sein wird, wie sie einmal war – womit wir wieder beim Thema wären: Sind Dinge, Schauplätze, Menschen nach Veränderungen wie etwa Reisen oder schlicht dem Verstreichen der Zeit noch so, wie sie einmal waren? Das unlösbare Dilemma „Ich will, dass wieder alles so ist, wie es einmal war“ klingt überall an, ob bei Ohne Worte lass uns scheiden, Irgendwo auf der Welt oder Ganz dahinten wo der Leuchtturm steht. Das zum Heulen schöne Wenn der Wind weht über das Meer schließlich, das Titel und Thema vorgibt, bringt das ebenso verzweifelte wie vergebliche Wehren gegen den unvermeidlichen Wandel auf den Punkt:

Wenn der Wind weht über das Meer,
trägt er mein Lied in die Heimat.
Trägt es zu dir, fragt dich von mir,
wie es dir geht in der Heimat.

Sagtest mir einst du liebst mich so sehr.
Aber wer weiß – heut‘ weißt du’s nicht mehr.
Wenn der Wind weht, träum‘ ich dabei.
Mädel ich träum‘, du bist treu.

Kritiker bezeichnen Übers Meer als „Wiederentdeckung“, ja: „Hommage an das Vermächtnis jüdischer Künstler während der Zeit der Weimarer Republik“, als ein „Wachhalten der Erinnerung an eine längst verschwundene Kultur im Bereich der Unterhaltungsmusik“. Das mag, betrachtet man den historischen Kontext der Stücke, zwar durchaus berechtigt sein, doch würde diese Betrachtungsweise Übers Meer zu sehr zur Geschichtsstunde reduzieren, zur – wenngleich wertvollen – Kuriosität im musikhistorischen Museum.

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Schade wäre das, und gerecht würde es der Arbeit von Raabe und Israel keinesfalls. Übers Meer kann man auch gänzlich unbelastet von musikgeschichtlichen Kenntnissen hören, als durchweg moderne Platte, der ein Publikum zu wünschen ist, das Sinn hat für eine Gesangsphonetik, wie sie sich heutzutage kaum noch finden lässt, für eine musikalische Schlichtheit, die ohne Beats und Bytes auskommt und für fünfzehn einfach nur ganz wunderschöne Songperlen.

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Plattenkritik: Sade | Max Raabe

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