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Poolstar* – 4

Inhaltsverzeichnis

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Ich weiß nicht, ob „Rock vs. Pop“ weiterhin eine Glaubensfrage ist, wie in den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren, geschweige denn, ob es heutzutage überhaupt noch zulässig ist, hier eine kategorische Unterscheidung vorzunehmen: Die coolen Mädels sind die Rock-Chicks in ihren Röhrenjeans und spitzen Stiefeletten, die spießigen Jungs hingegen die Popper mit ihren aufgestellten Polohemdkrägen? Mittlerweile halten sich auch die langweiligsten Knäblein für harte Rocker, und selbst das coolste Mädchen wird seinen einen oder anderen schwachen Pop-Moment haben …

Poolstar* - 4

Wie dem auch sei, ich zumindest bemühe mich, die derzeit nur noch künstlich aufrechterhaltenen, angeblich unversöhnlichen Genregrenzen innerhalb der populären Musik so weit wie möglich zu ignorieren – nichts scheint doch unsinniger (und bisweilen peinlicher), als die nach Sparten sortierten CDs in den heutigen Medienmärkten, wo sich ein und derselbe Künstler je nach Gusto des diensthabenden Verkäufers mal in dieser, mal in jener Kategorie wiederfindet, oft auch geschuldet hanebüchenem Unwissen, das zuweilen bizarre Blüten treibt:

So beispielsweise erinnere ich mich an die Einordnung einer CD des argentinischen Tango-Erneuerers Astor Piazolla unter die Rubrik „Klezmer“, gesehen in einem großen Berliner Kulturkaufhaus an der Friedrichstraße im Frühsommer 2005. Unter uns: Der wiederholten Einbettung in sogenannte Klezmer-Tango-Abende zum Trotze wird Piazolla um keinen Deut Klezmer-er. Und selbst wenn diese Einordnung absichtlich erfolgte, weil sich das eine Label besser verkauft als das andere, kann es doch nicht Sinn und Zweck einer Marktstrategie sein, bewusst Falschwissen zu verbreiten.

Einmal mehr möchte ich an dieser Stelle dafür plädieren, anstatt eines Unterschiedes zwischen den verschiedenen Spielarten der populären Musik einfach den zwischen „guter Musik“ und „schlechter Musik“ zu machen. Glauben Sie mir, auch die meisten Musiker denken nicht darüber nach, welches Etikett man ihrer Musik nachträglich verpassen wird. Sie machen einfach ihre Musik. Was spräche also dagegen, ihre verschiedenen Spielarten endgültig dem Oberbegriff „Populäre Musik“ zu subsumieren und damit gleichzeitig den anachronistischen Grabenkämpfen der Anhänger der verschiedenen Lager die Grundlage zu entziehen? Wir sollten uns heutzutage nicht mehr damit aufhalten, als Punk den Rocker, als Rocker den Popper, als Popper den Jazzer etc. krampfhaft in eine andere Schublade stecken zu wollen, allein schon deshalb, weil eine Differenzierung zunehmend schwerer fällt – wer spielt schon noch ein Sub-Genre in Reinform?

Poolstar* - 4

Die populäre Musik entwickelt sich weiter, mit zunehmender Globalisierung rücken (Sub-)Kulturen näher zusammen, beeinflussen, beborgen, beerben einander, und auch die Hörer sind schon lange nicht mehr einseitig auf „ihr“ Subgenre festgelegt. Interesse an der Aufrechterhaltung eines überkommenen Kategoriendenkens scheinen nur noch geplagte Marketingstrategen, CD-Verkäufer und andere Schubladisierer zu haben, und nahezu diebisch freue ich mich auf die vorhersehbaren Schwierigkeiten dieser mit der neuen Poolstar*-CD.

Wo die Pressemitteilung großspurig von „melodiösem, partytauglichem und tanzbarem RockPunkRock mit Eiern und Ohrwurmalarm“ kündet, löst wiederum ein großer Online-Händler seine Einordnungsschwierigkeiten, indem er das Berliner Quartett sicherheitshalber sowohl unter „Rock“, „Alternative“ als auch „Punk & Hardcore“ listet. Über Sinn und Unsinn lässt sich hier vortrefflich streiten – bitte tun Sie das auch und schreiben Sie mir!

Aber wie auch immer man die Musik des Hauptstadtvierers bezeichnen möchte, eins steht fest: Sie bringt den Laptop (und bei dem, der hat: die dicken Boxen) zum Vibrieren. Das ist Musik, die, egal mit welcher Tonstärke abgespielt, schlicht LAUT ist. Laut und gut, um genau zu sein. Poolstar* haben mit 4 eine CD gemacht, die bei jedem Hören besser wird, eine CD, zu der ich gern noch einmal jung wäre, so richtig jung meine ich, sorg- und verantwortungslos, gerade den Führerschein in der Tasche, Poolstar* im Autoradio, ein spontaner Trip zur See oder sonst wohin, egal, man muss morgen nirgendwo sein, die Schule kann man auch mal Schule sein lassen, einen Arbeitgeber gibt es nicht, man hat nicht dafür Sorge zu tragen, auch nächsten Monat die Miete zahlen zu können und etwas Anständiges auf den Tisch zu bringen … So eine CD ist das.

poostar* - 4

Neulich erst fragte mich ein – vermutlich auch seiner jugendlichen Unbeschwertheit hinterher trauernder – Kollege, ob ich denn wüsste, was menschliches Leben sei. „Nun, manchmal habe ich so eine Ahnung davon“, entgegnete ich vorsichtig, da ich nicht wusste, worauf er hinaus wollte. „Menschliches Leben“, setzte er wieder an, „beginnt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund tot!“

Oder wenn man das neue Album des aus Töff Malstroem (Gesang), Felix Kinniro (Gitarre), Aalbert von Spree (Bass) und HouZa (Schlagzeug) bestehenden Viererpacks gaaaaanz laut aufdreht. Insbesondere empfehle ich dafür Tracks 1 (I Killed Someone), 5 (Schicksal?) und den mit einem großartigen, spacig-exotischen Halbton-Motiv spielenden 6 (My Rapture). Hinter verwandten, aber etablierteren Bands wie Billy Talent, Motorpsycho, Die Happy, The Offspring oder Green Day müssen sich Poolstar* fortan jedenfalls nicht mehr verstecken, sind sie doch mit 4 endgültig über ein „Klingt wie“ oder „Erinnert an“ hinausgewachsen.

poolstar* - 4

Das Schöne an Poolstar* ist, dass sie schlicht authentisch klingen. Sie unterwerfen sich keinen Trends, experimentieren nicht mit Soundeffekten herum und machen auch sonst kein großes Brimborium, sondern einfach Musik. Die ist so schön und einfach, wie der Titel ihres – übrigens dritten – Albums. Leider geht die Nummerierung nicht weiter: Nach Nouvelle Vague mit 3 und jetzt Poolstar* mit 4 bleibt nämlich nur zu bedauern, dass es Lenny Kravitz mit 5 schon gibt – sonst hätten wir etwas gehabt, worauf wir uns im nächsten Monat freuen könnten.

Ich finde aber etwas anderes für Sie, versprochen.

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Plattenkritik: A Fine Frenzy | Poolstar*

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