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Norma Winstone | Distances

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  1. 1 Norma Winstone | Distances

Mai 2008 / Victoriah Szirmai

Seitdem auch die Musikindustrie das Käuferpotenzial, welches mit einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft einhergeht, nicht nur erkannt hat, sondern auch aktiv bedient, indem sie zunehmend auf zahlungskräftige Mittvierziger abzielt, kann man sich vor solcherlei (auch „Adult Music“ genannten) Edel-Produktionen kaum noch retten.

Gehobene Unterhaltung wäre wohl der passende deutsche Terminus. Böse Zungen sprechen gar von „Akustikmöbeln“ und meinen damit keine Phono-Schränke … Sondern: Gediegene Kerzenlichtdinner. Die Lounge-Ecke im Club, bequeme und vor allem teure Ledermöbel. Aber auch ein gewisses Maß an Kälte, viel Glas und Chrom, in welche nun mittels einfühlsamer, aber nie aufdringlicher Musik ein Hauch von Persönlichkeit, ja: Seele gezaubert werden soll. Voller komplexer Emotionen und gelernter Lektionen.

Nun, manche Musik mag sich für diesen Zweck vortrefflich missbrauchen lassen, verkommt dann jedoch zu nicht mehr als seichter Hintergrundberieselung. Ernst nehmen kann man sie nur noch schwerlich. Und manche Musik mag zwar dasselbe Publikum ansprechen, wird sich für dieses jedoch schon bald zu einer echten Überraschung auswachsen, hat es in seiner Eile doch nur in den ersten Track hineingehört und von diesem auf den Rest des Albums geschlossen. Und mit einem Mal noch sanft eingelullt, reißen es so gar nicht ins schöne Schema passen wollende Töne aus seiner Selbstgefälligkeit. Huch, das hat ja Anspruch! Das ist ja gar nicht nur „schöner“ Jazz. War da nicht gar etwas Atonales?

Im Falle von Norma Winstones neuem ECM-Album hätte der Adult Music-Käufer bereits mit einem simplen Blick auf das Label wissen können, Achtung Anspruch, ist doch hier allein schon die Plattenfirma Garant für Hörerlebnisse jenseits des Herkömmlichen, irgendwo zwischen moderner Jazz-Improvisation und Neuer Musik – man denke nur an das wegweisende Officium Jan Garbareks. Nomen ist im Falle ECMs auf jeden Falle Omen, steht das Akronym doch für „Edition of Contemporary Music“.

Und auch wenn es den vielbeschworenen ECM-Sound zumindest Label-Gründer Manfred Eicher zufolge nicht gibt – zu facettenreich sei das veröffentlichte Spektrum -, so begründet doch schon dessen rein nach persönlichem Geschmack erfolgende Auswahl der Künstler („All that can really be said about ECM sound at this point is that the sound that you hear is the sound that we like.“) einen ganz bestimmten, wenn nicht Sound, so doch Stil.

Am Beispiel von Norma Winstone heißt dies, dass sie zwar seit mehr als einer Dekade – 14 Jahre, um genau zu sein – nichts mehr für ECM aufgenommen hat, jedoch auch in der Zwischenzeit wie eine „typische“ ECM-Künstlerin geklungen hat, die nun konsequenterweise den Weg in ihre akustische Heimat zurück gefunden hat. Es ist die pure Hingabe an die Musik, das große Einfühlungsvermögen der britischen Sängerin, welche in der Lage ist, ihre Hommagen an Coltrane und Pasolini, ihre Cover von Cole Porter und Peter Gabriel, ihre von Eric Satie inspirierten Stücke sowie ihre Eigenkompositionen wie aus einem Guss klingen zu lassen. Als stammten sie alle aus ein- und derselben Feder.

Vielfältig zwar, doch unverkennbar. Dies ist der Punkt, an dem die Grenzen zwischen Original und Interpretation verwischen. Es ist die Stimme Winstones, die in der Lage ist, sich nahezu jede Musik ganz zu eigen zu machen und so seit mittlerweile fünf Jahrzehnten eine völlig eigene, empfindsame Klangwelt schafft. Die mittlerweile 66-jährige Lady, die 1971 vom Melody Maker als „beste Jazzsängerin“ bezeichnet wurde, singt, atmet und lebt den Geist von ECM, hörbar gemacht durch „understatement, stillness, technical precision and quiet soulfulness“, wie der Kritiker John Fordham am 28. März im Guardian schreibt.

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Plattenkritik: Norma Winstone | Distances

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