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Elac Vela

Rhythmus & Struktur

Februar 2017 / Lorina Speder

Radian – On Dark Silent Off

Das sechste Album des österreichischen Trios Radian überzeugt mit Klängen und Strukturen, die auf Platte wie auch live eine beeindruckende Wirkung haben. Die Gruppe ist in der Szene für ihre elektronischen Sounds schon seit Langem ein Vorreiter – und existiert seit fast 20 Jahren. Radian arbeiten damit, das meiste an Störgeräuschen und Elektrosignalen aus ihren Instrumenten herauszuholen. Entgegen der wirren Vorstellung von „chaotischer Musik“, die man bei dieser Aussage bekommen könnte, klingt das neue Album aber geradezu wie eine Maschine, die ständig in Bewegung ist – mal schneller, dynamischer und dann plötzlich doch wieder langsamer. Assoziationen zur Filmmusik kommen sofort auf, weil die Musik eine besondere Atmosphäre kreiert. Deshalb wundert es einen nicht, dass Radian zuvor auch schon Filmmusik geschrieben haben.

Radian – On Dark Silent Off

Es geht der Band um das Reduzieren von Tönen und um das Aufbauen einer bestimmten Komposition. Daher auch ihre Aussage, dass ihre Musik „architektonisch“ zu verstehen sei. In ihren Liedern versuchen sie, mit Geräuschen und Elektrosignalen Spannungen zu erzeugen und übereinander zu bauen – die Produktion der Songs findet am Computer statt. Häufig wird hierbei mit Klängen wie dem Rasseln des Beckens, der Snare oder vereinzelten Flageoletttönen der Gitarre gearbeitet. Durch die Fokussierung auf Geräusche kommen freilich selten klassische Harmonien oder Akkorde vor. Das in den meisten Produktionen als störend wahrgenommene Feedback oder das dumpfe Brummen der Elektronik im Bass werden hier besonders hervorgehoben. Im Titelsong „On dark silent off“ wird das Brummen der Instrumenten-Elektronik zum Beispiel ein taktgebendes Element des Stücks.

Die Anordnung der Geräusche ist bei Radian deshalb so interessant, weil sie damit Rhythmen erzeugen. Die Band baut eine besondere Dynamik auf. Deshalb klingt die Musik auch nicht fremd – Radian schaffen es, ein abstraktes Musik-Genre auch für Außenstehende greifbar zu machen, denn die pulsierenden Rhythmen sind nicht nur überraschend, sondernd auch unterhaltend.

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Meshuggah – The Violent Sleep of Reason

Wie man Meshuggahs Musik kategorisieren sollte, ist eine schwierige Frage. Die harten Riffs und Verzerrungen lassen schnell auf Metal schließen – aber das komplexe Timing des Schlagzeugs, bei dem das Tempo öfter gewechselt wird als man hörend nachvollziehen kann sowie die jazzigen Ausflüge mit anderen Instrumenten sind sehr außergewöhnlich für dieses Genre. Deshalb sprengt Meshuggahs Musik die Gattung Metal eigentlich – die Band ist experimenteller und progressiver. Am einfachsten ist es da noch, die Musik der schwedischen Band von ihrem Bandnamen abzuleiten. „Meschuga“ kommt aus dem Hebräischen und bedeutet „verrückt“. Und verrückt ist so einiges an der Musik dieser Band.

Meshuggah – The violent Sleep of Reason

Oft wird das Schlagzeug in den Recording-Sessions einfach von einem Drumcomputer übernommen – so komplex ist die Polyrhythmik in den Drum-Spuren. Die einzelnen Elemente eines Schlagzeugs spielen komplett losgelöste und unterschiedliche Takte. Wird die Hi-Hat in einem 3/4-Takt gespielt, werden die Snare-Betonungen parallel dazu etwa in einem 7/8-Takt angeschlagen. Obwohl bei den Aufnahmen der Computer oft den Job übernimmt, kann Drummer Tomas Haake die Schlagzeugspuren auch live perfekt spielen – und der Verdacht liegt nahe, dass er wahrscheinlich auch der einzige Schlagzeuger ist, der das kann. Aber nicht nur die Rhythmik ist bei Meshuggah verrückt – auch die Tonalität in den Gitarren, die so tief gestimmt sind, dass sie einen einzigartigen Sound haben, lässt sich nicht wirklich greifen. Die meisten Soli oder Riffs stützen sich auf keine definierten Harmonien. Und dass keine festgelegten Tonarten existieren, wirkt viel freier, als es das Genre Jazz eigentlich erlauben würde – solche Details sind typisch für Meshuggahs ganz eigenen Stil.

Für die neue Platte „The Violent Sleep of Reason“ ging die Band zusammen ins Studio. Ja, diesmal spielten sie die Songs tatsächlich live und gemeinsam ein. Was sonst vom Computer oder in einzelnen separaten Takes passierte, wurde nun zusammengeführt. Dass dabei „Fehler“ passieren, ist bei den komplexen Songs fast unvermeidbar – trotzdem oder gerade deswegen wirkt das Ergebnis organisch und hat eine ganz eigene Energie, die nie von einem Computer oder von editierten Spuren erzeugt werden könnte. So ist es eine wahre Freude, das Drum-Playthrough-Video des neuen Songs „Nostrum“ anzuschauen. Tomas Haakes Spiel kann darin beobachtet werden. Es wird durch den Song hinweg immer intensiver und man fragt sich als Zuschauer unwillkürlich, wie er es schafft, die vielen Fills und Beats mit nur zwei Beinen und zwei Armen zu spielen. Das Lied zeigt auf beeindruckende Weise, wie Meshuggah es schaffen, einen anfangs vergleichsweise sanft groovenden Song derart aufzubauen, dass man sich zum Ende hin in wirren Rhythmen und wirbelnden Soli fast verliert. Auch nach mehrmaligen Hören werden die Strukturen bei Meshuggah nie ganz klar, so viele Details und Finessen sind in den Songs eingebaut. Das neue Album der Band ist ein weiterer Beweis dafür, dass sie sich ihr ganz eigenes (Klang-)Imperium aufgebaut haben.

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Tame Impala – Currents

Das dritte Studioalbum der australischen Rocker von Tame Impala vereint verschiedene Musikrichtungen wie Disco oder psychedelischen Pop und bietet stets auch Gesangsmelodien, die im Ohr bleiben. Einen gewissen Einfluss auf die eingängigen Melodien hatte bestimmt die Zusammenarbeit von Frontmann Kevin Parker mit Hit-Maschine Mark Ronson. In einem Interview gab Parker denn auch zu, dass er durch das Teamwork mit Ronson für dessen Album „Uptown Special“ offener für das Genre Pop geworden sei. Er habe realisiert, dass seine instinktive Rocker-Abwehrhaltung gegen das Genre Pop lächerlich sei – eine gute, eingängige Melodie zu schreiben wäre zur richtigen Aufgabe geworden.

Tame Impala – Currents

Doch trotz der klaren und simplen Gesangsverläufe bleibt Currents kein simples Pop-Album. Wie auf einem Konzept-Album klingen die Lieder oft mehrere Minuten lang aus und laufen ineinander über. Die Single-Auskopplung „Let it happen“ lässt sich beispielsweise mit fast acht Minuten Länge nach einem fulminanten Start in Strophe und Chorus viel Zeit. In dem Song legen Tame Impala neben dem eingängigen Gesang auch einen Fokus auf die instrumentalen Parts. Im minutenlangen Zwischenteil hat das Keyboard mit verschiedenen Effekten über den Tönen einen ausgiebigen Solo-Part, aber auch ein elektronisch klingendes Schlagzeug baut sich gegen Ende des Solos auf.

Die Instrumente an sich klingen nicht wirklich nach Rock-Band. Und es stimmt: Mit Currents legt Tame Impala die Konzentration auf den Gesang und weg von den einzelnen Instrumenten. Die meisten Songs schweben auf einer Akkordwolke aus Keyboards und Synthesizern – Gitarren, die rockig klingen, nimmt man dagegen nicht wahr. Trotzdem ist die Dynamik auf dem Album nur mit einer Gruppe Musiker live erzeugbar. Und bei dieser rasanten Entwicklung der Band über drei Alben hinweg kann man nur gespannt sein, welche Richtung Tame Impala und Songwriter Kevin Parker bei einem weiteren Album einschlagen werden.

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