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Sophie Hunger – Supermoon

Juni 2015 / Victoriah Szirmai

Neulich erreichte mich Leserpost. Genauer, ein elektronischer Brief zur aktuellen Platte von Veronika Harcsa und Bálint Gyémánt, der von einer „ernstzunehmenden Alternative zu den vielen Girl With Guitar-Platten da draußen“ sprach. Damit hat er natürlich Recht, gab mir aber gleichzeitig die Idee ein, mich mal wieder unter den Gitarrenmädchenplatten umzutun.

Sophie Hunger | Supermoon Cover

Nun ist die gebürtige Schweizerin und derzeitige Wahlberlinerin Sophie Hunger zwar schon immer weit mehr als ein Mädchen mit Gitarre gewesen – und das nicht nur, weil sie auch das Klavier ganz formidabel zu bedienen weiß –, doch letzten Endes lassen sich ihre Stücke aufs klassische Singer/Songwritertum herunterbrechen. Und so entstehen sie auch: an der Gitarre. Auch Supermoon, Hungers fünftes Studioalbum, pirscht sich zunächst mit sanften Akustikgitarrenklängen an, doch zeichnet sich schon im titelgebenden Opener ab, was den Charakter dieser Platte ausmachen soll: die Produktion als integraler Bestandteil der Musik, ja: das Studio ganz im Sinne des englischen Toningenieurs Jon Meek als gleichberechtigtes Instrument. Mit dessen Musik beschäftigte sich Hunger, während ihre eigene Platte, auf der sich die Meek’sche Philosophie in Form von Hall-gewaltigen, nachgerade sphärischen Klängen spiegelt, langsam Gestalt annahm.

Sphärisches aller Art ist der Thematik dieses, ich möchte fast meinen: Konzeptalbums, auf dem es um nichts weniger geht als die im Sinnbild des Mondes verkörperte Dialektik von Ausgeschlossensein und Dazugehören, auch durchaus angemessen: Nachdem Hunger, ausgebrannt vom Erfolg der letzten Alben und Tourneen, auf der Suche nach Stille nach Kalifornien floh, verschlug es sie erst einmal ins Museum. Dort lernte sie, dass eine der Theorien zur bis heute umstrittenen Entstehung des Mondes besagt, dieser sei aus einer Kollision von Erde und dem etwa marsgroßen Himmelskörper Theia hervorgegangen, nämlich als Neubildung aus der bei der Kollision entstandenen, sich in der Erdumlaufbahn sammelnden Bruchstücke. Die Kollisionstheorie beeindruckte Hunger, bedeutet sie simpel ausgedrückt doch, dass der Mond aus alter Erde besteht. Wir wenden uns in unserer Sehnsucht nach dem Fremden an ihn, dabei ist er integraler Bestandteil von uns. Die Idee zu Supermoon war geboren, und es verwundert nicht mehr, dass Hunger ihren Mond singen lässt: „I was cut out of your stone/I am empty but I’m never alone“.

Sophie Hunger | Supermoon 1

Auch die „Mad Miles“, eine Hommage ans Verreisen, das hier eher einer Flucht gleichkommt, an einen weitentfernten Ort „where no one can see me/where nobody needs me”, wabert zunächst schwerelos, dabei leicht schläfrig, aus den Boxen, bis es zum klanggewordenen Roadmovie explodiert, das bald schon seine ganze indiepoppige Pracht entfalten soll. Unterwegssein ist das Stichwort, denn Hunger stilisiert ihr lyrisches Ich hier nicht zuletzt mittels verzerrungsreicher Effekte als Gequälte, Getriebene, die nie an einem – wie auch immer gearteten – Ziel ankommt. Selbst die Liebe bleibt in diesem Kosmos jegliche Antwort schuldig („Love Is Not The Answer“), macht dafür aber umso mehr Spaß, kommt sie doch als psychedelische Funk-Nummer daher, deren Grundstruktur von Sly & The Family Stone oder deren modernen Wiedergängern wie Lenny Kravitz, Nikka Costa & Co. entlehnt sein könnte. Ohnehin ist Spaß die Parole der Stunde, denn das bienenschwarmartige „Superman/woman“ besticht mit einem munteren Beat, dem sich ein trockener Gitarrenlick zugesellt, gekrönt von einer ausgelassenen Rockabilly-Atmosphäre. Es könnte aber auch problemlos als Beatles-auf-Speed-spielen-Motown durchgehen, denn die Zutatenliste, angefangen von den Bläsersätzen über das Hau-Drauf-Schlagzeug und die Doo-Wop-Chöre bis hin zum animierenden Fingerschnippen, ist komplett. Das ist wild in einem Regina Spektor’schen Sinne und verströmt obenrein einen Hauch von Woodstock – was für eine super(woman) Mischung.

Auf Stück Nummer fünf, das zunächst wie ein Cocktail aus Psycho-Soundtrack und TripHop-Blaupause anmutet, singt Sophie Hunger auf Deutsch. Das macht sie zwar seit ihrem Debütalbum Sketches on Sea (2006) und dem darauffolgenden Durchbruchsalbum Monday’s Ghost (2008) regelmäßig, trotzdem ist es immer wieder eine Überraschung, einfach, weil es den Hörer viel unmittelbarer trifft. „Die ganze Welt“, das leicht an „Wenn Es Soweit Ist“ von Anja Krabbe erinnert, verblüfft aber nicht nur mit Muttersprachlichem, sondern vor allem mit unerhörten Soundexperiementen in den letzten dreißig Sekunden. Bei „Fathr“ dann, wo die bislang soundbestimmende Gitarre endlich auch mal vom Klavier abgelöst wird, trifft modernes Streichquartett auf Breakbeat. So etwas ist man von Beyoncé gewohnt, nur hat die nicht Sophie Hungers unaufdringliche, aber umso bezwingendere Stimme. Weitaus experimenteller klingt „The Age Of Lavender“, das ohne größere Schwierigkeiten als ein Stück New Yorker Jazz Poetry durchgehen könnte: Der Gesang wird hier zur Rezitation, die über einem Marimba-artigen Sound schwebt, durchsetzt von dem einen oder anderen dezenten Störgeräusch. Sowas wird ja gern mal anstrengend, doch auch hier sorgt Hungers Unaufgeregtheit dafür, dass sich alles fügt. Im Formatradio indessen wird man Stücke wie diese wohl auch in Zukunft vergeblich suchen.

Sophie Hunger | Supermoon 3

Und dann! Hat sich die 1983 geborene Musikerin ein Remake von Romy Schneiders und Michel Piccolis „La chanson d’Hélène“ vorgenommen, einem der wohl bekanntesten und meistgecoverten – darunter von Künstlern wie Jasmin Tabatabai oder Nouvelle Vague – Chansons Frankreichs, wobei hier Ex-Fußballprofi Éric Cantona den Part von Piccoli spricht. Wer sich – wie Hunger einst im Pariser Olympiastadion – mit „Ne me quitte pas“ an ein französisches Nationalheiligtum gewagt hat, darf auch das. Schnell wird die chansoneske Leichtigkeit wieder abgelöst, denn obgleich sich „We Are Living“ vordergründig als Hymne an das Leben geriert, handelt es sich hierbei recht eigentlich um einen Tanz am Abgrund. Noch einmal durchatmen kann der Hörer mit „Craze“, wo sich Hunger zum eingangs zitierten Akustikgitarrenmädchen wandelt, bevor mit „Heicho“ der emotionale Höhepunkt der Platte erreicht wird. Obgleich auf Schwyzerdütsch dargeboten (was Supermoon zur üblicherweise der Sparte „World“ vorbehaltenen quadrolingualen Platte macht), versteht jeder, dass die aus der Ich-Perspektive erzählende Sängerin hier nach Hause zur Mutter zurückkehrt, um zu sterben. Und die hält schon den Grabstein bereit. Leicht verdaulich ist dies sicherlich nicht, vor allem für jene nicht, die selbst Kinder haben. Auch Hungers Mutter musste, als die Tochter ihr das Demo vorspielte, gehörig schlucken.

Glücklicherweise ist die Reise hier aber nicht zu Ende. Mit der Piano-Vokal-Nummer „Queen Drifter“ fühlt sich der Hörer zumindest etwas getröstet, obgleich auch sie, macht man sich die Mühe, auf den Text zu achten, keinen Grund für Optimismus bereithält: Sophie Hunger ist weiter unterwegs, rastlos, ruhelos, getrieben. Verweilen, Ankommen, gar Erlösung gibt es auf Supermoon nicht. Damit muss man als Hörer auch erst einmal klarkommen. Sollte gerade Mondnacht sein, mag ein Blick aus dem Fenster dabei helfen.

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