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Frank Herzberg Trio – Handmade

August 2013 / Victoriah Szirmai

Handgemachte Dinge brauchen Zeit. Ob es nun das selbstgekochte Abendessen ist, dessen Zubereitung schon mal einen ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen kann, der selbstgestrickte Schal, an dem man nächtelang werkelt oder die handgemachte Musik des Frank Herzberg Trios, die in Brasilien, der Wahlheimat des Kontrabassisten Frank Herzberg, schon 2011 veröffentlicht wurde, bei uns bislang aber nur als Hochpreis-Import erhältlich und ergo nur einigen eingefleischten Freaks geläufig war. Das hat sich letzten Monat geändert. Handmade ist jetzt – endlich – auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz direkt zu haben. Und das wurde auch höchste Zeit, denn das Debüt des Frank Herzberg Trios ist schon etwas ganz Besonderes.

Frank Herzberg Trio / Handmade

Und das liegt nicht nur daran, dass nach den Zwischenwelten vom Peter Schwebs Quintet und den Solo Bass Works von Charnett Moffett der Bass hier mit der wohl vornehmsten aller Jazz-Besetzungen, dem Trio, am Start ist. Es liegt vor allem an der Unvorhersehbarkeit der Herzberg’schen Musik, die einen mal in Sicherheit wiegt, mal alarmiert, weshalb sie auch nie mit Unordnung verwechselt werden darf. Schließlich sei als strukturgebendes Element, ja, als das Ur-Deutsche in der Musik, der Bach im Geiste immer dabei, wie der Kontrabassist im Interview gutgelaunt zu Protokoll gibt. Auch immer dabei ist der klassische Ansatz des Pianisten Alexandre Zamith, mit dem sich Schlagzeuger und Brasil-Jazz-Urgestein Zé Eduardo Nazário anfänglich etwas schwer tat. Er spiele nicht jazzig genug, warf er ihm vor, während Herzberg selbst eine Herangehensweise jenseits der Jazzpolizei schon damals für erfrischender und interessanter hielt. Das war vor gut zehn Jahren.

Man traf sich, raufte sich zusammen, spielte ungezählte Live-Konzerte – und irgendwann war der Punkt erreicht, wo man das eigene Zusammenspiel, diese nicht näher definierbare alchimistische Mélange zwischen konkreter Kommunikation und intuitivem Verstehen, sowie die Eigenkompositionen für wertvoll genug befand, auf CD geb(r)annt zu werden. Und das ging dann überraschend schnell: In nur zwei mal vier Stunden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen war Handmade im Kasten. Man wäre sogar mit der Hälfte der Zeit ausgekommen, denn was auf dem Album zu hören ist, ist in den meisten Fällen gleich der erste Take. Gegen den Zauber der ersten Aufnahme komme einfach nichts an, so Herzberg, denn selbst wenn man bei der zweiten oder dritten vielleicht technisch ausgefeiltere Spielchen anstelle – die Improvisation werde nie wieder so originell ausfallen wie beim ersten Mal. Im Gegenteil: Je mehr Zeit einem zur Verfügung stünde, desto eher gäbe man sich der Versuchung der Wiederholung hin. Und Jazz, davon ist Herzberg überzeugt, kann man einfach nicht wiederholen.

Frank Herzberg Trio

In diesem Sinne wird der Hörer auf Handmade Zeuge einer hochdynamischen Live-Session – auch wenn er immer noch nicht weiß, was er da eigentlich hört. Ist das improvisierter Jazz mit Latin-Einschlag? Oder moderne Klassik mit Vorliebe für Jazz-Grooves? In die Nähe Letztgenannter bewegt sich Handmade vor allem durch die viersätzige Suite, die das Album abschließt. Es gehört schon Mut dazu, so etwas auf ein ansonsten aus Einzelnummern zusammengesetztes Album zu packen. Das hat konzeptionell schon eher etwas von Piazolla & Co., und tatsächlich geht fröhlich-flockiges Easy Listening anders. Gerade der erste Satz der Suite, „The Drums“, ist dann schon sehr, sehr special interest und verlangt Otto-Normal-Hörer so einiges ab, denn seien wir ehrlich: So eine gut einminütige Improvisation für Solo-Schlagzeug, die hört man sonst nur, wenn man an den einschlägigen Proberäumen der Hochschule vorbeigeht. Oder selbst Schlagzeug spielt. Dann aber setzt die Band ein, und alles löst sich in Wohlgefallen auf, um nicht zu sagen, in einen Blues: Zwölf Töne, zwölf Takte = Blues.

Frank Herzberg Trio

Ohnehin kämen im Grunde alle Kompositionen der Platte irgendwie aus dem Blues, sinniert Herzberg. Und wenn man erst einmal etwas für Schlagzeug geschrieben hab, müsse man den anderen eben auch ein Solo geben. So entstanden Satz 2, „The Bass“, mit einem gar fein swingenden Groove, Satz 3, „The Piano“, mit Alexandre Zamiths sinnlich-perlendem Klavierklang, und der alles abrundende Satz 4, „The Band“, der mit einem schlafwandlerisch sicher anmutendem Zusammenspiel besticht. Wobei das mit dem Abrunden so eigentlich nicht stimmt, denn das Stück, und damit das Album, endet auf einen verminderten G7-Akkord, der alles offen lässt. Das sei einerseits eine philosophische Erwägung, denn schließlich wisse man im Leben ja auch nicht, was als Frank Herzberg Trionächstes käme, habe andererseits aber auch ganz handfeste Gründe: Eigentlich habe Herzberg für das Album nämlich noch ein weiteres Stück geschrieben, welches einen richtigen Schlusspunkt gesetzt hätte. Mit der Qualität der Aufnahme sei er jedoch so unzufrieden gewesen, dass er es nicht auf die CD genommen hätte.

Aber wir wollen den Gaul nicht von hinten aufzäumen. Bevor der Hörer an jenem Punkt angelangt ist, wo er über das offene Ende von Handmade philosophieren kann, muss er sich erst einmal durch das Album arbeiten. Gleich auf dem Opener „Don’t Talk Crazy“ wird er mit Herzbergs gestrichenem Solo-Kontrabass konfrontiert, bevor sich Schlagwerk und Piano dazugesellen. Ein bisschen unheimlich ist das in den ersten anderthalb Minuten, und das verwundert nicht, schrieb Herzberg es doch für einen Freund, der vom Ende der Welt besessen ist. Erst mit dem 5/4-Rhythmus kommt ein probater Nun-lass-doch-mal-gut-sein-Groove hinzu. Auch im weiteren Verlauf des Albums soll der eine oder andere odd-meterige Rhythmus dann auch alles bleiben, was hier „irgendwie brasilianisch“ ist. Selbst wenn es die Latin-Groove-Aficionados unter Ihnen enttäuschen mag: Handmade klingt, da schließe ich mich den Kollegen von All About Jazz an, „eher wie ein in Brasilien entstandenes Jazz-Album als nach einem brasilianischen Jazz-Album“. Dies mag darin begründet liegen, dass sich Herzberg mehr an Harmonie, Kontrapunktierung und Polytonalität interessiert zeigt als an vordergründig afro-brasilianischen Rhythmen.

Frank Herzberg Trio

All dies macht Handmade nicht gerade zu einem einfach zu konsumierenden Album. Ich persönlich habe ganze drei Stücke benötigt, um mich einzuhören. Erst das speedreiche, von Zamith als Hommage an den gleichnamigen spanischen Dichter geschriebene „Llorca“, das nicht nur mit seinem seltsam vertrauten Klavierthema für wohlige Vertrautheit sorgt, sondern vor allem mit seinem angezerrten Bass-Solo dank Gitarren-Distortion und Octaver für ein elektrisierendes Nigel-Kennedy-spielt-Jimi-Hendrix-Gedächtnis-Gefühl, hatte mich voll und ganz in seinen Bann gezogen. Das liebste Stück ist mir jedoch das zwischen „Llorca“ und der „Twelve Bars Down The Road I Met You“ genannten Suite versteckte „Too Much Charlie“ mit seinem prägnanten Stop-and-Go-Groove, der gleichzeitig den Kopf nicken, die Schulter zucken und den Fuß wippen lässt. Der Titel verdankt sich einem oft genutzten Ausspruch von Herzbergs Lehrer Charlie Banacos, den er als höchste Form des Lobes verwendete, wenn jemand gut gespielt hat. So gut wie das Frank Herzberg Trio, beispielsweise.

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