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Alev Lenz | Circlesquare

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  1. 1 Alev Lenz | Circlesquare

März 2009 / Victoriah Szirmai

Alev Lenz / Storytelling Pianoplaying Fräulein

Es gibt Alben, die bekommt man unverhofft auf den Tisch, und die entpuppen sich dann exakt als solche, die man selbst gern gemacht hätte. Zugegebenermaßen passiert das sehr selten. Das von Alev Lenz ist einer dieser Ausnahmefälle. Sollte ich also je eine Platte aufnehmen, wünschte ich, sie klänge so wie Storytelling Pianoplaying Fräulein. Auch wenn ich gar nicht Klavier spielen kann … Es wird schon einen Sinn haben, weshalb Rezensenten rezensieren und Musiker musizieren.

Alev Lenz / Storytelling Pianoplaying Fräullein

Nun, Geschichten erzählen kann ich aber auf jeden Fall, und heute möchte ich die der jungen Deutsch-Türkin und ihres in New York entstandenen Debütalbums erzählen. Inspiriert von einem deutschen Comedian, der nach New York gegangen ist, um dort Open-Mike-Sessions zu bestreiten, beschloss die 26-jährige Alev, die bis dahin einer Rockband ihre Stimme lieh, in das nächste Flugzeug zu steigen und ihr Glück in Big Apple zu (ver-)suchen. Sie blieb sechs Wochen, sang, spielte, liebte und lebte, sog wie ein Schwamm die neuen Eindrücke und die neue Umgebung auf, bis aus Geschichten Songs wurden, und zu Geschichten gewordene Songs wieder aus ihr herausströmten.

Alev Lenz

Eines Abends, Alev traf gerade bei ihrem wöchentlichen Gig in einer kleinen Bar im Greenwich Village ein, zog die Barbesitzerin sie zur Seite: „So, und jetzt erklär’ mir mal … Was machst du eigentlich genau?“ Alev erwiderte: „Ich erzähle Stories.” – „Aha, aber du spielst auch Klavier … also bist du eine storytelling, piano playing … was??? Deutsche?” – „Ja”, gab Alev zurück, und die Frau posaunte: „Also bist du ein Fräulein! Ein storytelling, piano playing Fräulein!“ So kam die Sängerin / Songwriterin zu ihrer neuen Identität und dem Namen, der später der Titel ihres Albums werden sollte.

Eines Albums, das schon beim ersten Hören eine tiefe Musikalität offenbart: Die Lenz versteht es, Emotionen in ein virtuoses Klavierspiel umzusetzen und schreckt stimmlich selbst vor a capella-Darbietungen nicht zurück, deren Schwerpunkt sympathischerweise auf dem Ausdruck anstatt auf technischer Perfektion liegt. Die eigenwilligen Songstrukturen erinnern zum Teil an Tori Amos, gleiten – den Arrangeuren Hans Friedl und Sebastian Studnitzky geschuldet – dann aber wieder ins Kammermusikalische, wie beim ersten Track Breathe, der vom wundervollen Streichquartett bestehend aus Wolf Bender (Erste Violine), David Canisius (Zweite Violine), Juan Lucas Aisemberg (Viola) und Werner Klemm (Cello) abgerundet wird. Das aus dem Viererspiel hervorstechende, unverwechselbar sensible Bratschenspiel des als Kind argentinischer Alev LenzEltern in Budapest geborenen Aisembergs, das momentan viele moderne Tangoproduktionen veredelt, verleiht dem Eröffnungstrack (wie auch den Songs I Watch Too Much TV, Maybe One Day und Flight 1701) eine wohlige Wärme, die Geborgenheit inmitten einer sich distanziert gebenden Musik vermittelt.

Eine weitere ganz persönliche Freude bereitet mir das Mitwirken des (Jazz-)Kontrabassisten Paul Kleber, der – im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen – auch mit dem Bogen gekonnt umzugehen weiß. Das Wechselspiel von Stimme bzw. Klavier und Kontrabass wie auf Biggest Adventure oder Flower of Love ist einfach ein Genuss. Gleiches gilt für den Song Smile – für mich der emotionale Höhepunkt des Albums -, ein Duett zwischen der Lenz’schen Vorstellung und Werner Klemms Cellospiel. Oder bei Your Sweet Love: Stimme, hauchend, flüsternd, bettelnd, schmeichelnd, begleitet nur von Marimbas und Glockenspiel. Schön auch, wenn die Lenz zu den Rhodes greift und dem transportablen Klavierersatz allerlei Zauberklänge entlockt, immer im unmittelbaren Zwiegespräch mit dem jeweiligen Instrument ihrer Wahl, gewissermaßen als (imaginärer) Dialog zwischen zwei guten Freunden, zwischen Frau und Klavier.

Alev Lenz Live

Da zu befürchten ist, dass Alev Lenz hierzulande vor allem mit ihrer Mitsing-Single Guys With Guitars bekannt werden wird, sei an dieser Stelle eindringlich vor dem Yael-Naim-Effekt gewarnt: Die Singleauskopplung, zu der Lenz eine liebevolle Website gestaltet hat (www.iloveguyswithguitars.com), unterscheidet sich in punkto Eingänglichkeit und musikalischem Anspruch – gleich der Naim-Auskopplung New Soul – komplett vom Rest des Albums. Es ist ein schönes, stellenweise sehr schönes Lied, der Text entbehrt nicht eines gewissen Witzes (Guys with guitars / are so much better than guys with skateboards), dennoch ist Fräulein Lenz keinesfalls an diesem radio-tauglichen Track zu messen. Aus diesem Grunde empfehle ich als Anspieltipp dringend die folgenden drei Songs: Breathe, I Watch Too Much TV und Flight 1710, mein absolutes Lieblingslied des Storytelling Pianoplaying Fräuleins.

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Plattenkritik: Alev Lenz | Circlesquare

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