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The Jesus and Mary Chain – Damage and Joy

Neunzehn Jahre lang war quasi Funkstille zwischen den schottischen Brüdern Jim und William Reid – ein paar Gigs im Jahr 2007 wurden zwar gespielt, aber an eine neue kreative Phase oder längere Studiozeit war kaum zu denken, so zerstritten waren die Geschwister. Dann kam ein Anruf des Coachella-Festivals, welches viel Geld für einen erneuten Auftritt bot. Beide Brüder lehnten unabhängig voneinander sofort ab, kamen aber ins Grübeln. Aus welchen Gründen sagte man ab? Eigentlich nicht, weil man nicht spielen wollte … So gab es weitere Anrufe zwischen den Bandgründern und man entdeckte, dass man die eigene Band The Jesus and Mary Chain, die ursprünglich 1983 gegründet wurde, wirklich vermisste. Als Resultat der aktuellsten Annäherung veröffentlichte die Band Ende März 2017 das neue Album Damage and Joy.

The Jesus and Mary Chain - Damage and Joy

Die neue Platte enttäuscht nicht: Bei The Jesus and Mary Chain bekommt man Rock ’n‘ Roll – das hat sich nicht geändert. In den Songs „Los Feliz (Blues and Greens)“ oder „Black and Blues“ ertönen auch akustische Gitarren. Doch typisch für die Rocker enden die Song mit Verzerrungen, Soli und Noise. In der frühen Phase der Band bestanden ganze Konzerte nur aus Feedbacks und Geräuschkulissen.

Damals noch als Protest gegen die glattgebügelte Musikindustrie gerichtet, überzeugten die Noise-Elemente mehr – trotzdem bleiben sich The Jesus and Mary Chain auf dem neuen Album treu und liefern ein solides Werk ab. Erstmals arbeitete die Band mit dem Produzenten Youth zusammen – der Bassist der legendären Killing Joke produzierte einen fetten Sound, der genau richtig zu der harten und auch bluesigen Musik passt. Und obwohl die Spannung zwischen den Brüdern Reid wohl nie verjährt, kann man sich trotz Songzeilen wie „I hate my brother and he hates me“ im Song „Facing up to the Facts“ sicher sein, dass das wohl erst der Anfang einer neuen „The Jesus and Mary Chain“-Phase sein wird.

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JFDR – Brazil

JFDR Brazil

Jófríður Ákadóttir ist erst 22 Jahre alt, doch in ihrer Heimat Island schon eine kleine Berühmtheit. Durch ihr Mitwirken an verschiedenen Musikprojekten wie Samaris, Gangly oder ihr Gesang und Gitarrenspiel in der Band Pascal Pinon, die sie 2009 in jungen Teenagerjahren mit ihrer Zwillingsschwester gründete, machte sie sich nicht nur auf der Heimatinsel einen Namen. Sie spielte ihre Musik auch schon auf Bühnen in Paris, New York und London. JFDR ist das erste Soloprojekt der Isländerin, mit dem sie sich künstlerische Freiheit ohne Kompromisse erlaubt. Der erste Auftritt von JFDR fand im November 2016 bei dem berühmten Iceland-Airwaves-Festival in Reykjavik statt. Nun folgte im März dieses Jahres mit der Veröffentlichung von Brazil die Auskopplung der neuen Songs.

Ákadóttir beschäftigt sich auf dem Album mit dem Wegziehen von zu Hause, dem Suchen und Finden. Mit dem Titel wählte sie ein Land, welches klimatisch und lokal für sie der entfernteste und gegensätzlichste Ort ihrer Heimat sei. Und auch wenn sie noch nie in Brasilien gelebt habe, wohne sie schon seit Jahren nicht mehr richtig an einem Ort. In Interviews überlegte sie kürzlich laut, ob sie nach London oder New York ziehen sollte – dort arbeitete sie mit dem Produzenten zusammen, der zuvor schon an Alben von Laurie Anderson, Lou Reed oder Yoko Ono beteiligt war; Shahzad Ismaily ermutigte die junge Isländerin sogar, an ihrem Soloprojekt zu schreiben. Schließlich nahm sie die Songs auch in seinem New Yorker Studio auf.

Ákadóttirs Musik auf Brasil ist atmosphärisch und ruhig. Besonders ihre hypnotische Stimme, mit der sie manchmal nur haucht und summt, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Die sphärenartige Klanguntermalung der Gitarre oder des Klaviers hüllt den Hörer wie eine sanfte Umarmung ein. In „Higher State“ klingen aber auch verzerrte Sounds neben den sonst üblichen sanften Tönen.

Ákadóttirs Bewusstsein für die Umwelt und Umgebung, welches sie für das Beschreiben von Gefühlen benutzt, ist ein tragendes Element auf dem Album. Es kommt besonders im Songtext des ersten Stücks namens „White Sun“ zum Ausdruck. Mit Sätzen wie „There are no days, there never is night in the icy lands of eternal, ceaseless calmness“ wird ihre Verbundenheit zur Natur auf poetische Weise deutlich. So macht sich bei Ákadóttir die naturgebundene Intuition, die besonders oft bei Isländischen Künstlern zu finden ist, musikalisch bemerkbar. So unabhängig wie die Natur richtet sich Ákadóttirs auch in ihren Songstrukturen nach ihrem Gefühl: Ihre vokale Melodieführung trägt den Song phrasenweise und geht nie in einen Chorus über. Die Musikerin erzählt von Islands naturgebundenen Wundern des Wassers, der Vögel und der Nacht. Das ist so schön, dass es einer Liebeserklärung an ihre Heimat gleicht.

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Future Island – The Far Field

Future Island - The Far Field

Die Band Future Islands erreichte durch die bizarren Tanzauftritte des Sängers Samuel T. Herring im Late-Night-TV bei David Letterman vor einigen Jahren Kultstatus. Anfang April erschien das bereits fünfte Album The Far Field der Synthiepopper aus Baltimore – und es wird nicht nur in den USA bejubelt. Auch in Berlin wurde das fürs kleine Astra gebuchte Konzert im März in die doppelt so große Columbiahalle verlegt, doch auch diese war mit knapp 3500 Besuchern sofort ausverkauft.

Wie für die Gruppe typisch, dominieren in den zwölf neuen Songs des Albums die groovigen Bassläufe, Synthies und der herausragende und markante Gesang Herrings. Die Stimme des Frontmans trägt die Lieder durchwegs und ist der interessanteste Aspekt der Gruppe – denn auch wenn die Musik groovy ist, sind Future Island bestimmt nicht die einzige Band, welche diese Art von Klängen produzieren. Der Erfolg der Band rührt von ihrem Frontman her, seinem Auftreten und seinem Gesang.

Mal heult Herring Joe-Cocker-mäßig, schreit und lässt seine Stimme brechen, das andere mal verleiht er seinem Gesang viel Nachdruck. Wie im dritten Song des Albums, „Ran“: Die Fragen, die Herring in der Strophe stellt, scheinen fast mit Pathos belegt zu sein – und doch versucht man als Hörer immer dahinterzukommen, ob Herring das absurde Tanzen und sein abwechslungsreiches Singen ernst meint. Sätze wie „I can’t take this world without you“ klingen im Englischen zwar immer noch weniger emphatisch als im Deutschen, doch es bleibt ein herrliches Spiel knapp am Kitsch vorbei, das der Sänger seinem Publikum bietet. Die Varietät seines Stimmorgans ist in diesem Genre einzigartig. Beim Durchhören der Platte und Anschauen der Liveauftritte kommt man dann aber immer wieder zu dem Schluss, dass das wirklich Herring selbst ist – so etwas kann man gar nicht spielen, das muss echt und einfach nur grandios sein.

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