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Dorothee Mields & Stefan Temmingh | Violaine Cochard & Edouard Ferlet | Renaud Capuçon

März 2016 / Stephan Schwarz-Peters

Mit Blockflöte und Singstimme bewaffnet erkunden Stefan Temmingh und Dorothee Mields die Vogelwelt. Dieweil machen sich Violaine Cochard und Édouard Ferlet einen jazzigen Spaß mit dem alten Thomaskantor Bach. Und Renaud Capuçon? Was macht der? Der hält sich an die Klassiker seines Geigen-Repertoires und zeigt, dass selbst die ollsten Kamellen nicht totzukriegen sind, wenn man sie so hinreißend einspielt wie er. Heute haben wir drei neue Klassik-CDs im Angebot, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

mields temmingh cover

Eine Welt ohne Vögel? Das würde bedeuten: eine Welt ohne Musik. Klare Sache, ohne den Gesang von Amsel, Drossel, Fink und Co. wären unsere bärenhäutigen Vorfahren kaum auf die Idee gekommen, sich mit ihren (vermutlich sehr rauen) Stimmen in selbstgebastelten Tonfolgen zu üben, die vielleicht so ähnlich klangen, wie das, was ihnen von den Bäumen entgegenzwitscherte. Später kamen dann die Instrumente dazu. Darunter die Blockflöte, der eine besondere Fähigkeit innewohnt, den Gesang unserer gefiederten Freunde zu imitieren. Einer, der sie virtuos beherrscht, ist der in München lebende Südafrikaner Stefan Temmingh. Dass er es locker mit den Vögeln aufnehmen kann, beweist der 37-Jährige bereits auf dem Cover seiner neuen, bei der Deutschen Harmonia mundi erschienenen CD. Bunt gefiedert hockt er dort auf einem Podest, neben ihm seine musikalische Koornithologin Dorothee Mields, mit der er auf 20 Tracks zur unterhaltsamen Vogelsafari einlädt – das Blasrohr (respektive Blockflöte) im Anschlag. Stünde es nicht in großen Lettern auf dem Cover zu lesen, könnte man den Titel des Albums auch so schon fast erahnen: „Birds“.

Schon der Beginn ist furios. Stefan Temmingh verwandelt sich und seine Mitstreiter von der extrem gut aufeinander eingespielten Gentleman’s Band in einen aufgescheuchten Hühnerhaufen. Im Rameaus witzig arrangiertem Charakterstück „La Poule“ (original für Cembalo) pickt es, scharrt und gickelt es, als wäre mal eben der Fuchs auf einen Sprung auf dem Hühnerhof vorbeigekommen. Ein humoristischer Einstieg, an dessen Ende ein Ei gelegt wird, um im Anschluss zu den eher lyrischen Aspekten des musikalischen Themas „Vogel“ überzuleiten. Der steht für Frühling, Liebe und Erotik, aber auch für Kummer und Herzeleid und erscheint im weiteren Verlauf in großer Artenvielfalt – wobei die symbolträchtigen Vögel wie Nachtigall (Luscinia megarhynchos) und Turteltaube (Streptopelia turtur) natürlich die besten Nistplätze auf der Track-Liste für sich beanspruchen.

Hier kommt Dorothee Mields mit ihrer herrlich reinen und weichen Sopranstimme ins Spiel. Ob in der verträumten Liebesarie „Augelletti, che cantate“ aus Händels „Rinaldo“ (mit einem zum niederknien schönen Blockflötensolo) oder dem ausgedehnten „Sweet Bird“ aus „L’Allegro, il Pensero ed il Moderato“ (ebenfalls Händel) erweist sie sich als Meisterin einer schwebenden Phrasierung, die wie für diese Vögel geschaffen zu sein scheint. Doch auch die ironisch-frechen Töne, die sich die Vögel bisweilen erlauben, sind bei ihr in besten Händen. Etwa in Thomas Arnes schlüpfriger Shakespeare-Adaption „The cuckoo“, dem zum Albtraum aller gehörnten Ehemänner gewordenen Kuckuck, den Stefan Temmingh ebenso keck wie präzise vom Baum aus sekundieren lässt. Eingebettet ins Programm bildet sein Auftritt in Vivaldis berühmtem Distelfink-Konzert „Il Gardellino“ einen weiteren virtuosen Höhepunkt dieser CD, an dem zur Verstärkung der Gentleman’s Band auch Mitglieder des La Folia Barockorchesters beteiligt sind. 72 Minuten, die (um im Bild zu bleiben) wie im Flug vergehen, angeführt von zwei Musikern, die spürbar auf einer Wellenlänge liegen und ein kluges, stimmiges Programm mit Werken von italienischen, französischen, englischen und deutschen Komponisten zusammengestellt haben. Ein musikalischer Vogelatlas, der nicht nur Barock-Fans zur Freude gereichen dürfte.

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Stefan Temmingh und Dorothee Mields – Birds

cochard ferlet cover

Bach und Jazz – kennt man ja. Von Jacques Loussier bis zu den Swingle Singers haben sich schon viele an diesem Themenkomplex versucht. Meist jedoch – sorry to say – beschränkten sich diese Versuche darin, dem alten Thomaskantor einfach an der falschen Stelle ein paar Synkopen unterzujubeln. Wie man es auch anders machen kann, zeigen zwei Musiker aus Frankreich, Violaine Cochard und Édouard Ferlet, die auf ihrem neuen Album „Bach Plucked/Unplucked (erschienen bei Alpha) ihre jeweils eigenen Sichtweisen auf den Komponisten in den Ring geworfen haben.

Nein, hier stehen keine originalen Werke von Bach auf dem Programm. Sie dienen dem gewieften Jazzpianisten und Komponisten Ferlet lediglich als Grundlage für die Stücke, die er für diese CD geschrieben hat. Er selbst übernimmt den Klavierpart, den Clou steuert seine musikalische Partnerin Violaine Cochard auf dem Cembalo bei. Nun sitzen sich hier ein alter Jazzhase und eine mit allen Wassern der historischen Aufführungspraxis gewaschene Expertin für Alte Musik an zwei doch sehr unterschiedlichen Instrumenten gegenüber. Und man fragt sich: Wie passt das zusammen? Ziemlich gut, auch wenn – vorweggesagt – das Ergebnis weniger jazzig klingt, als man zunächst angenommen hätte. Zwar improvisieren die beiden um die Wette, wie es im Jazz, aber auch in der Barockmusik üblich ist. Die musikalische Struktur bleibt an vielen Stellen aber doch deutlich beim strengen Kontrapunkt-Fetischisten Bach verhaftet. Das zwingt zu einer gewissen Disziplin, die allzu wilde Improvisation anscheinend unmöglich macht und das Gesamtergebnis oft eher wie Minimal Music klingen lässt. Besonders deutlich gleich im ersten Track „Je me Souviens“, der konsequent mit dem triolischen Rhythmus von Bachs Gigue aus der ersten Partita spielt. Dass das Ganze aber nie einschläfernd wirkt, ist vor allem an der reizvollen Verbindung der beiden Instrumente Klavier und Cembalo geschuldet. Und hier leisten Cochard und Ferlet eine beeindruckende klangliche Tüftelarbeit.

Da ist alles bis in die kleinste Nuance durchgelauscht. Oft vermischt sich der Klang der beiden Instrumente so innig, dass man kaum unterscheiden kann, wer hier was spielt. Hinzu kommen gezielt eingesetzte Verfremdungen wie das Zupfen oder Abdämpfen von Saiten oder ganz unglaubliche, nie gehörte Legato-Effekte im Klavier (wie im zweiten Stück „Aparté“), über die sich die zirpenden Klänge des Cembalos wie kleine Regentropfen legen. Ein Wahnsinnskontrast. Und an manchen Stellen kommt dann doch das wahre Gefühl von Jazz auf, allem voran in Track 6, „Phénix“, der wie eine vogelwilde Jazz-Version der „Goldberg-Variationen“ durch die Ohren rauscht. Ob jedoch das vielgescholtene Wort Cross-Over dieser CD gerecht wird, muss jeder für sich selbst entscheiden. Mehr als nur ein Experiment jedoch ist sie auf jeden Fall.

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Violaine Cochard & Edouard Ferlet – Plucked/Unplucked

capucon cover

Lalo, Sarasate und Bruch heißen die Komponisten, deren Werke das Programm der neuen Warner-CD von Renaud Capuçon bestücken. Drei romantische Schmachtfetzen des 19. Jahrhunderts, Standard-Repertoire für jeden Geiger, das sich auch aus diskografischer Sicht nicht über stiefmütterliche Behandlung beklagen kann. Im Gegenteil! Wer Lalos „Symphonie espagnol“, Sarasates „Zigeunerweisen“ und das unvermeidliche Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruch aufnimmt, muss angesichts der Überfülle an Einspielungen einen guten Grund haben. Nun ja, der liegt bei Capuçon auf der Hand: Der Mann ist einfach ein fantastischer Geiger. Und es wäre schade, wenn man sich nicht seine Version dieser Stücke immer und immer wieder auf CD anhören könnte. Zumal er mit dem Dirigenten Paavo Järvi und dem Orchestre de Paris Partner gefunden hat, die ihn wie auf Wolken tragen. Doch der Reihe nach.

Flamboyant träumt sich Renaud Capuçon zunächst ins Sehnsuchtsspanien der Belle Époche. Mit einzigartiger Technik und einem ebenso einzigartigen Sinn für kleinste und feinste Übergänge bringt er Lalos Hybrid aus Violinkonzert und Sinfonie in spanischsten Farben zum Leuchten. Wie es ihm dabei gelingt, seinen so kraftvollen, eher deutschen als französischen Ton so elegant verströmen zu lassen, scheint eine Art Betriebsgeheimnis zu sein. Als Virtuose legt er sich in den richtigen Stellen ins Zeug, gibt dem Stück – wie auch den nachfolgenden „Zigeunerweisen“ – was sie brauchen, und dem sensationshungrigen Publikum, wonach ihm verlangt. Capuçon weiß, dass die Effekte bedient werden müssen, bettet sie aber so sensibel in den Gesamtkontext ein, dass die „Musik“ dahinter niemals verschwindet. Wer hören möchte, wie intelligent diese Stücke komponiert wurden, lausche Capuçons Version dieser Stücke. Das ist wirklich groß!

Und auch wer meint, Bruchs Violinkonzert nicht mehr hören zu können, hätte mit Capuçons Hilfe die Möglichkeit eines Sinneswandels. Zupackend gibt er dem Stück im Kontext des Albums eine schöne Prise mediterraner Frische mit auf den Weg, ohne ihm die romantische Schwelgerei (zweiter Satz!) zu versagen. Deutsche Innerlichkeit und sonnenbeschienene Leichtigkeit – hier sind sie mustergültig miteinander vereint.

Auf Amazon anhören:
Renaud Capuçon – Lalo / Sarasate / Bruch

 

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