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DePHazz | MisSiss | BudZillus | Alex Clare | Parov Stelar | Kira | Anna Luca | Jeanette Hubert

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 DePHazz | MisSiss | BudZillus | Alex Clare | Parov Stelar | Kira | Anna Luca | Jeanette Hubert

Victoriah Szirmai / Juli 2012

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: DePhazz | MisSiss | BudZillus | Alex Clare |Parov Stelar |Kira| Anna Luca | Jeanette Hubert

DePhazz | Audio Elastique

DePHazz Audio Elastique

Im letzten Jahrzehnt des alten Millenniums, als ich mich mit der damaligen Mädchenmusik an der Grenze zwischen R&B und HipHop, dem sogenannten New Jill Swing, fürchterlich zu langweilen begann und stattdessen just den Acid Jazz à la Incognito für mich entdeckt hatte, trat mit einem Mal eine völlig neue Musik auf den Plan, die sowohl den Jazz- als auch den elektronischen Gedanken noch weiter spann, und manchmal nicht einmal mehr klassische Songstrukturen erkennen ließ.

Während mich Techno & Co. damals komplett kalt ließen – mittlerweile kann ich Minimal und Deep House durchaus etwas abgewinnen –, war ich sofort geflasht von diesen hypnotischen, düsteren, quälend langsamen und dubbigen Klängen, die mit allerlei LoFi-Effekten wie Schallplattengeknister oder Bänderrauschen versetzt waren und menschlichen Stimmen, die, wenn nicht dem Vorhof der Hölle, so doch zumindest frisch dem Vocoder entsprungen schienen. TripHop nannte man dieses von Künstlern wie Portishead, Tricky, Massive Attack, Morcheeba, Waldeck oder Nightmares on Wax erzeugte wundervolle Geräusch, und mit Mädchenmusik hatte es tatsächlich nicht mehr viel gemein.

Später kamen Spielarten wie Ambient, Downtempo, NuJazz oder auch Electrotango, Electropolka, Electro-Was-auch-immer hinzu – und auch das massenkompatiblere Super-Genre Lounge, das ich jenseits aller Café del Mar-Niederungen für durchaus hörenswert hielt, stellte es doch oftmals den kleinsten gemeinsamen Nenner in puncto Musikgeschmack bei meinen berüchtigten Spätsommernachteinladungen dar.

Lounge aber war undenkbar ohne unserer aller heimlichen Heroen DePhazz, deren sexy Sounds damals auf keiner einschlägigen Compilation fehlen durften, seien es die Bar Lounge Classics, sei es Hotel Costes oder gar Erotic Lounge. Irgendwann aber hatten sich die Menschen an den chilligen Klanglandschaften überhört und wollten wieder handgemachte Musik: Das Singer/Songwriter-Revival beziehungsweise die Neo-Folk-Welle inklusive weinerlich-wehklagender Vollbartträger, die mit ihrem ungezähmten Bartwuchs aussahen, als seien sie just der DDR-Bürgerrechtsbewegung entsprungen, ließ nun nicht mehr lange auf sich warten. Lounge wurde selbst zum historischen Genre, die meisten seiner Protagonisten begingen Fahnenflucht. Nicht so De-Phazz. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie, kongenial gespiegelt im Albumtitel „Lala 2.0“ (2010) hielten die selbsternannten „Godfathers of Lounge“ die Fahne für das neue Jahrzehnt hoch.

DePHazz Audio Elastique

Audio Elastique macht nun da weiter, wo Lala aufgehört hat. Und so will man mit diesem Album dann auch „zunächst einmal wieder auftauchen“, wie mir DePhazz-Mastermind Pit Baumgartner im Interview anvertraut. Der Albumopener „Prelude (Elastique)“ klingt dann auch nach einer klassischen Lounge-Nummer, die man ohne Probleme im Hintergrund zum eleganten Dinner laufen lassen kann; aber schon ab Track 2 zeigen uns die Heidelberger, dass sie mehr drauf haben als gepflegte Klangtapete: „Our Relationship“ mit seiner gedämpften Trompete swingt derart, dass man einfach nicht still sitzen bleiben kann – und besticht darüber hinaus mit dem unglaublich großartig wie beiläufig wirkenden Gesang Pat Appletons, dem treue fairaudio-Leser zuletzt auf Bossa Nova Just Smells Funky und Bossa Nova Just Smells Funky Remixed begegnet sind.

Beim dritten Track „Dog Run“ drehen DePhazz dann richtig auf, und schnell wird klar: Das hier ist eher Soundtrack zur Electro Swing Revolution als zum Dinner. Schließlich lassen sich, so Baumgartner weiter, Zeilen wie „Wait on the Lord because the Lord will come“ mit einem Martini in der Hand nicht so gut verarbeiten! Lala hin, Bubblegum-Elastizität her: Bei DePhazz ist in der Tat aktives Zuhören gefordert; immerhin lege man, so Pat Appleton, „viel Wert auf unsere Texte, und ich hoffe, dass wir mit den Texten ein bisschen von dem wegkommen, was man gefällig nennt“.

Das hält die Band, die sich selbst als für Individualisten offenes Klangkollektiv sieht, allerdings nicht davon ab, die Ernsthaftigkeit gleich beim nächsten Track („The Story of It All“) wieder mit einem ironisch das Genre konterkarierend eingeworfenen „Bum-Tschak“ zu unterlaufen. Wer sich die Mühe macht, DePhazz‘ Platten, und das gilt nicht nur für die aktuelle, einmal genau zu hören, wird nicht umhin kommen festzustellen, wie subversiv diese Band eigentlich ist. Anstatt den Lounge-Sektor einfach nur zu bedienen, machen sich die Lounge-Punks unterschwellig darüber lustig, indem sie munter uns so manches Mal bis zur Parodie mit den Genre-immanenten Klischees spielen.

DePHazz Audio Elastique Singlecover

Lustigerweise gefällt „Audio Elastique“ dennoch gleich beim ersten Hören. Großartig die Swingdancenummer „The Ball Is My Friend“, eine ironischen Hommage an das Fußballspiel, während „Desir au Maximum“ mit seiner genretypischen Vorliebe für gedämpfte Trompetensounds und weite Klangflächen wieder sehr an die gediegenen DePhazz for Dinner erinnert. Mit der „Good Morning Suite“ dann eröffnet ein eher schwerverdaulicher Track die zweite Hälfte des Albums, mehr Hörspiel als Formatradio.

Grandios bösartig der vordergründig zuckersüße Sechsachtler „Not Sally“ mit Gast-Sängerin Sandie Wollasch, der beim vordergründige Hören wie beliebiger Starbucks-Jazz klingt, dessen Text es aber in sich hat: „My name is not Sally and I’m not cute“, statementet Wollasch und erklärt auch gleich noch ausführlich, weshalb nicht: „Just because you’re the doctor/does’nt mean that I’m sick“. Ein weiteres Highlight ist sicherlich „Männer, die Pokale küssen“ mit einer wieder unglaublich großartig wie beiläufig wirkenden Appleton, aber ich wiederhole mich …

Einzig Track 6 kann ich nicht leiden, der nervt irgendwie, und die Waltzes und Tangos sagen mir so überhaupt nichts, obwohl ich beiden Genres sehr verbunden bin. Was der Mambochacharumbarefrain da soll, das wird auf ewig Geheimnis Baumgartners bleiben. Ätzenderweise ist es genau dieser Refrain, der im Hirn bleibt – und zwar tagelang. Nachdem er dort dreißigmal nudelte, ist man so gehirngewaschen, dass man anfängt, den Song super zu finden. Und dann ist das Wunder geschehen: „Waltzes and Tangos“ ist mittlerweile mein liebster „Audio Elastique“-Song. Wieder einmal haben die subversiven Lounge-Punks zugeschlagen.

MisSiss | Soulistics

mississ soulistics

Wer sich jetzt mit DePhazz eingeelectroswungen hat, kann mit Soulistics, dem neuen Album von Soultango-Queen MisSiss, gleich im Groove bleiben. Schon der Opener „Diva“ lässt mit seinem wie durch ein altes Bändchenmikrophon leicht angezerrt wirkenden Gesang den Eindruck von Charlestontänzern, Absinthflaschen und Roulettetischen entstehen, weist sich aber dank seiner clubbigen Beats als absolut jetztzeitgemäß aus. Da verwundert es nicht, dass sich das französische Produzentenduo Bart&Baker, das aus der Zwanzigerjahreszene nicht mehr wegzudenken ist, des Songs angenommen und für die Partyreihe Electro Swing Revolution einen Remix kreiert hat, der als digitale Single zu haben ist.

Doch auch für die Albumversion von „Diva“ allein lohnt sich schon die Anschaffung des Albums. Dieses setzt sich allerdings komplett anders fort, als man nun erwarten könnte: Weder ziehen sich die Retro-Sounds konsequent weiter durch das Album, noch findet man auf Soulistics auch nur ein Fitzelchen Soultango, den man von MisSiss‘ erstem Album Sissita’s Soul Tangos gewohnt ist.

Dies liegt daran, dass dieses Album, obgleich als zweites veröffentlicht, eigentlich MisSiss‘ erstes ist. Die Arbeit daran, so erklärt sie im Interview, begann schon vor sechs Jahren. Damals war die Wienerin mit ihrem Vokalquartett Soulistics, nach dem sie ihr aktuelles Album benannt hat, vor allem als Soul- und Gospelsängerin unterwegs. Irgendwann sind ihr dann die Soultangos dazwischengekommen.

Nun aber hat MisSiss vollendet, was vor Jahren seinen Anfang nahm – und das ist vor allem großes Balladen-Kino, denn auf den Opener „Diva“ folgen mit „Thanks“, „I Can’t Keep“ und „In The Rain“ erst einmal eine Handvoll Balladen. Wem das zu weichgespült klingt, muss indessen keine Angst haben: MisSiss ist keine Hochglanzvokalistin à la Celine Dion, Mariah Carey oder Whitney Houston, die ihre Emotionen technischer Perfektion opfert. Obgleich sie es stimmlich mit den genannten Damen locker aufnehmen könnte, klingt ihr Gesang wunderbar entspannt, manchmal nahezu absichtslos und federleicht.

mississ

Mit „Revelation Day“, einem puren Gospel, nimmt das Album kurzzeitig wieder an Fahrt auf, um bei „For Our Best“ gleich wieder in einer Großen Ballade zu ankern, wo der zuckrige Zwiegesang mit dem begleitenden Streichquartett tatsächlich eine Spur too much ist, obgleich Trackproduzent Ariel Gato eigentlich ein Händchen für Streicherarrangements hat.

Dann aber kommt mit „Two Steps Back“ wieder ein absolut heißer Electro-Swing-Track, irgendwo zwischen Retro und Club. Den kann man zu Hause hören, klar, vor allem aber kann man dazu abtanzen. In das gleiche Horn stößt „Parfum“, der dem grandiosen „Diva“ in nichts nachsteht. Mit „Last October“ kommt dann endlich eine Ballade, die ganz nach meinem Geschmack ist. Es ist kein Geheimnis, dass ich auf Sechsachtler stehe; und dieser Beat ist nun einmal im Gospel und dem daraus entsprungenen frühen Soul zu Hause. Im Sechsachteltakt, so meine Überzeugung, fühlt sich der Mensch einfach wohl. Aus einem geheimnisvollen Grund scheint uns dieser Beat einfach zu entsprechen.

mississ soulistics

„Will We Make It?“ und „Leave!“ dagegen sind schon sehr Contemporary R&B und damit typische „Mädchenmusik“, die ich an dieser Stelle den Fans von Destinys Child & Co. überlassen möchte. Allerdings kann ich nicht umhin, auch hier der perfekten Produktion Hannes Breitschädels und Florian Hirschmanns sowie dem Additional Engineering Ariel Gatos Respekt zu zollen – die Songs klingen sogar auf dem Küchenradio gut! (wenngleich dies manch Audiophiler wohl eher als Warnhinweis verstehen wird ;-), die Hifi-Kollegen)

„I Want More“ fährt wieder das aus Sebastian Masci (Violine), Elizabeth Ridolfi (Viola), Jorge Bergero (Cello) und Lucas Bianco (Bass) bestehende Streichquartett auf, welches sich mit dem getragenen Klavierspiel von Alejandro Devriers paart und von einem Gospelbeat durch Schlagzuger Leandro Savelón unterlegt wird. Was seltsam ist: Diesen hochkarätigen Tango-Musikern, die schon auf Sissita’s Soul Tangos zu hören waren, scheint ihr angestammtes Genre viel näher zu liegen, denn sie beziehungsweise ihre Arrangements haben mir auf dem letzten Album einfach um Klassen besser gefallen. Und erstmals habe ich hier auch Schwierigkeiten mit dem in schwindelerregende Höhen steigenden Gesang. Für diesen Track muss man schon ein großer Soul- und Gospel-Fan sein. Ebenso gospelig setzt „Hard To Love“ mit Gastvolkalistin Ingrid Diem dann auch den Schlusspunkt des Albums.

BudZillus | Auf Gedeih und Verderb

budzillus auf gedei und verderb

Nach so viel Zucker brauche ich Kontrastprogramm. Der Sinn steht mir nach BudZillus, denn bei den fünf Berlinern gibt es Energie in Überdosis, die mich schon damals auf der Stelle umgehauen hat, als ich sie zum ersten Mal im Polizeiruf „Die Gurkenkönigin“ gehört habe. Nicht nur mich, übrigens, denn nach Ausstrahlung des Krimis schoss das Album „Auf Gedeih und Verderb“ in die Top 50 der Amazon- und iTunes-Charts.

Swing scheint – bislang und ungeplant – das Leitmotiv dieser Ausgabe von Victoriah’s Music zu sein, wobei er bei BudZillus mit Hot Jazz, Reggae, Surf, Punk, Blues, Polka und jeder Menge osteuropäisch-orientalischen Klängen gepaart wird – schließlich muss man dem mit drei Vorgängeralben und unzähligen Livekonzerten inklusive hunderter gerissener Gitarrensaiten begründeten Ruf als Oriental-Swing-Punk-Kapelle gerecht werden. BudZillus in einem Satz? Balkan Beat Box trifft auf Cosmonautix auf King Oliver’s Revolver auf Katzenjammer!

budzillus auf gedeih und verderb

Zum aktuellen Album: Gleich der Opener „It’s Up To You“ ist ein schlicht großartig zu nennender Feger. Was die Band um den Sänger und Gitarristen Robert Kondorosi aber so unglaublich sympathisch macht, ist, dass sie nicht die Welt retten will. Vielmehr kämpfen die Protagonisten ihrer Lieder damit, das eigene Leben auf die Reihe zu kriegen, etwa in „Soviel zu tun“, einer Hymne für alle Prokrastinierer: „So viel zu tun/ich fang gleich an/vielleicht nicht jetzt/doch irgendwann …“

Um das gleiche Thema dreht sich „Immer Weiter“, denn auch, wenn der leicht verpeilte Held klugerweise lieber BWL studieren und Wohneigentum erwerben sollte, tanzt dieser lieber durch die Straßen, verschwendet keinen Gedanken an Karriere und Portemonnaie, sondern macht einfach immer weiter wie bisher – Motive, die wieder einmal das Lebensgefühl der Endzwanziger/Anfangsdreißiger treffen, welche mit einem Mal realisieren müssen, dass das Aufstehen nach einer langen Nacht zunehmend schwerer fällt und man tatsächlich endlich mal „etwas Vernünftiges“ machen sollte.

Doch bis man herausgefunden hat, was das ist, macht man eben einfach immer weiter, hängt rum und feiert, solange man kann – ein Tanz am Abgrund, begleitet von Musikern, die auch einfach immer weiter spielen. Wer sich zum Kreis all jener zählt, für die das Buch „Und plötzlich ist später jetzt“ zur Bibel geworden ist – voilà, hier ist die Platte dazu.

Dann kommt auch schon der Polizeiruf-Song „Roots“. Um diesen zu lieben, muss man etwas für Reggae in der langsamen, hypnotischen, bekifften, basslastigen Variante – und nicht in der munteren I don’t like Reggae/I love it oder der touristischen Red Red Wine-Version – übrig haben.

Ich habe Glück, ich habe mich mit Anfang Zwanzig auf vielen Roots-Reggae-Konzerten herumgetrieben und Legenden wie Third World oder Burning Spear gesehen. Also, wer das mag und dazu noch ein bisschen Sinn für Balkan hat, hat seinen neuen ultimativen Lieblingssong gefunden, denn Reggae wird bei BudZillus zum Balkan-Dancehall oder eben zum Emigrantski Raggamuffin. Coole Sache!

budzillus auf gedeih und verderb

Apropos Balkan: Natürlich gehört auch reichlich Brass dazu; und einen Bläsersatz wie auf „I.H.I.E.I.H.“ habe ich zuletzt auf „Ferriboat“ der Grinen Kuzine gehört – das ist, verglichen mit dem Zucker der Soulistics, zwar auch süß – aber auf solch eine Weise süß, die gleichzeitig schmerzt, der dieser unbestimmte Stachel innewohnt. Den Vorwurf der glatten Produktion kann man BudZillus mit Sicherheit nicht machen. „On The Run“ klezmerklarinettet dann ganz schön vor sich hin – und eigentlich hatte ich ja versprochen, die Victoriah’s Music-Leser mit meiner diesbezüglichen Vorliebe zu verschonen.

Andererseits ist es schon eine ganze Weile her, seit ich die Leser mit Joe Fleischs subversivem, irrwitzig abgedrehtem Klezmer-Punk auch nur ansatzweise in die Nähe dieser Gefilde führte – also wird es mal wieder höchste Zeit! „Nicht Allein“ wiederum könnte locker einem Eastblok-Sampler entsprungen sein, hier skandiert man Parolen wie „kein Kapital, keine Kategorie“ und steckt lieber im Dispo als im Berufsverkehr.

Krönender Abschluss des auch durch sein tolles Artwork bestechenden Albums aber ist der Seefahrer-Waltz „The Ship Is Sinkin’“ – ja, den Drunken Sailor haben BudZillus auch drauf. Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Wann und wo spielen die Jungs demnächst mal wieder live? Da muss ich hin!

Alex Clare | The Lateness of the Hour

alex clare the lateness of the hour

Auch Alex Clare hat so ein tolles Artwork, dass man sein Album allein schon deshalb kaufen möchte. Allerdings greift die Alex-Manie dann doch aus musikalischen Gründen um sich, denn hier ist, und mehr wäre eigentlich nicht nötig zu sagen, der Mann mit der aktuell besten Stimme – sorry Thomas Dybdahl! – am Werke. Meine hardrockliebende Freundin ist Clare genauso verfallen wie ein im Technogeblubber heimischer Ex-Liebhaber, kurz: Die persönliche Genre-Vorliebe wird in Sachen Clare egal, denn der Mann kann singen. Und wie der singen kann!

alex clare too close

Wer den 25-jährigen Londoner bislang lediglich von der schmeichelnden Unplugged-Version seiner Retro-Soul-Single „Too Close“ kennt, die in sämtlichen Kanälen hinauf- und hinunterrotiert, wird vom Opener „Up All Night“ eventuell erschrocken sein, denn hier handelt es sich um eine ausgewachsene Uptempo-Rock-Nummer mitsamt verzerrten Gitarren und allem, was da so dazu gehört. Der Schreck legt sich jedoch, je mehr man feststellt, dass der Opener mit dem Rest des Albums wenig gemein hat. Vielmehr weisen die blubbernden Beats auf Track zwei („Treading Water“), sprich in die für den Rest des Albums bezeichnende Richtung, denn Alex Clare macht keinen Rock, sondern im Grunde eine moderne Variante von Drum&Bass.

alex clare too close singlecover

„Relax My Beloved“ ist klanggewordener Herbst, und wäre Terence Trent D’Arby ein bedeutend besserer Sänger gewesen, er würde heute so klingen. Für Songs wie diesen gibt es diese Kolumne – und mit Songs wie diesen soll es weiter gehen, denn jetzt kommt auch schon „Too Close“. Dieser Mann, hier wiederhole ich mich gern, hat eine Stimme! Ein bisschen wie Adam Levine vielleicht, und auch die Musik erinnert an die frühen Maroon 5 von 2002, weist sich durch die von Diplo und Switch zu verantwortenden Dubstep- und Drum&Bass-Elemente aber als absolut 2012 aus.

Wer auch immer sich gefragt hat, wo moderne Soul-Sänger nach Ende der Retro-Welle ihre Zukunft finden, bekommt bei Alex Clare die Antwort. Was er macht, ist musikalisch neu, knüpft aber an die klassische Vokaltradition der großen Crooner an. Prince verkörperte in seinen aufregendsten Zeiten solch einen Innovator; und so ist es auch nur folgerichtig, dass Clare „When Doves Cry“ von Prince‘ 1984-er Erfolgsalbum „Purple Rain“ covert und auch daraus etwas absolut Zeitgemäßes macht.

alex clare too close

„Hands Are Clever“ kommt dann aber doch sehr Merriweather-mäßig daher und könnte glatt als ein aus den Sechzigern zeitgereister Soulsong durchgehen, mit einem etwas wilderen und kräftigen P-Funk-Einschlag, mehr Georg Clinton als James Brown. Was soll man sich beschweren, das Ding hebt ab, und mehr kann man von einem guten Dance Track ja wohl nicht erwarten!

Mit dem so vor sich hin dubsteppenden „Tight Rope“ ist die Zeitreise dann auch schon zu Ende, während „Whispering“ einmal mehr zeigt, was dieser Mann kann: singen! Wieder werden Erinnerungen an die melancholischeren Stücke D’Arbys wach, ob „If You All Get To Heaven“ oder „Seven More Days“ – wäre der damals nicht zu Sananda Maitreya geworden, er könnte heute so klingen wie Alex Clare.

Und wo wir schon mal bei „heute“ sind: So wie Clares „I Love You“ müssen 2012 Liebeslieder klingen! „I Won’t Let You Down“ ist ein großartiger Abschluss eines grandiosen Albums – und beweist einmal mehr, dass Alex Clare vermutlich der aktuell beste Sänger ist, den diese Welt zu bieten hat.

Billboard
H-E-A-R Tellurium

Plattenkritik: DePHazz | MisSiss | BudZillus | Alex Clare |Parov Stelar | Kira | Anna Luca | Jeanette Hubert

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