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2Raumwohnung | Reverend & The Makers | Frau Contra Bass

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August 2009 / Victoriah Szirmai

Wer hat ihn nicht noch im Kopf, den Sommerhit des Jahres 2007: Die Luft flirrte vor Hitze, der Asphalt glühte, und auch ich radelte laut mitsingend und munter ins Büro und zurück, im Ohr die ebenso rotzig-vernuschelte wie lasziv-verhauchte Kleinmädchenstimme Inga Humpes: „36 Grad und es wird noch heißer / mach den Beat nie wieder leiser / 36 Grad, kein Ventilator / das Leben kommt mir gar nicht hart vor / 36 Gra-aaaa-aaaad, aaaaaa-aaaaa-ahhhhhhhhh.“

Jetzt, nach einem ganzen Sommer ohne neues 2Raumwohnungalbum, legen Inga Humpe und Tommi Eckart endlich nach: Lasso heißt das neue Werk, und wer dabei in erster Linie an Cowboys denkt, ist schief gewickelt, handelt es sich hier doch vielmehr (auch) um eine versteckte Hommage an Orlando di Lasso, den vielseitigen princeps musicorum („Fürst der Musiker“ ) der Hochrenaissance.

Was aber hat der bereits im Knabenalter wegen seines herrlichen Diskants vom sizilianischen Vizekönig Entführte, der später vor allem mit seinen Motetten bleibenden Ruhm ernten sollte, mit den beiden Berlinern gemein? Nun, wollten wir uns ein bisschen aus dem Fenster lehnen (und warum schließlich nicht? es ist ja Sommer!), könnten wir behaupten, dass di Lasso als umfassend gebildeter und sensibler Geistesmensch die Stimmung und das Wesen seiner Zeit ebenso idealtypisch verkörperte wie Humpe und Eckart den Nerv des modernen Hauptstädters treffen. Wohl nicht umsonst sagt man ihnen nach, dass sie es verstehen, das Lebensgefühl der Berliner in allgemeinverständliche Musiksprache umzusetzen. Und in der Tat scheint es kaum einen Einwohner der Kapitale zu geben, der sich von 2Raumwohnung nicht in irgendeiner Weise angesprochen fühlt. Ihr breites Publikum reicht vom Friedrichshainer Politpunker über die alleinerziehende Lichtenberger Mutter hin zum Zehlendorfer Zahnarztsohn; und auch als erst kürzlich Zugezogener kann man sich, hört man 2Raumwohnung, so schön lokalpatriotisch und den ganzen „Provinzlern“ überlegen wähnen. Ostalgisch obendrein ob des Namens. Der Sound von 2Raumwohnung schafft Konsens mittels Zeitgeist.

2Raumwohnung

Dieses (Luxus-)Problem war um die Jahrtausendwende herum lediglich Bands wie Kruder&Dorfmeister oder Portishead vorbehalten. Heterogene, wenn nicht gar verfeindete Gruppierungen mussten feststellen, dass „die anderen“ mit einem Mal auch „die eigene“ Musik mochten. Gesunde Abgrenzung funktioniert so nicht. Nicht zuletzt entdeckte auch die werbetreibende Wirtschaft die Konsensfähigkeit des 2Raumwohnung’schen Sounds. Nach dem Zigarettenhersteller Cabinet, der den ersten 2Raumwohnung-Song Wir trafen uns in einem Garten für seine Kinospots einsetzte (und aufgrund dessen sich die Band überhaupt erst gründete), untermalte auch die HypoVereinsbank ihren TV-Spot zur Einführung des Euros mit dem Titel 2 von Millionen von Sternen, während die AOK den Song Besser geht’s nicht für ihre Werbefilme bemüht. Es verwundert wohl kaum, dass die Musik der Band fortan als hedonistisch verschrien war; ihrer ungeheuren Popularität tat dies jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil. Und vielleicht können wir so den Kreis zu di Lasso schließen, dessen Werk ebenfalls schon zu seinen Lebzeiten uneingeschränkten Anklang fand, wohin er auch kam. Nur begeisterte man sich damals für Motetten, während man heute hauptstädtischen Electro-Pop bevorzugt …

Dabei wollen 2Raumwohnung keinesfalls in solcherlei Schubladen verschwinden, leisten jedoch gleichzeitig dem Klischee der Berlinvertoner selbst Vorschub, indem sie in Interviews stets betonen, ihre Musik sei keinem bestimmten Genre zuzuordnen, am ehesten aber „urban“. Und was heutzutage nicht alles urban ist! Es gibt sogar Urban Plush – das sind diese auch Ugly Dolls oder Monsterdolls genannten neuartigen Plüsch- bzw. Stofffiguren wie z.B. in Opels C’mon!-Werbung. Die Schönheit des Hässlichen! Sprich: Alles, was erst durch ein paar Ecken und Kanten schön wird, ist urban. Also auch urbaner Sound, wobei sich gewisse Rezensentenkollegen gar zu der Feststellung versteigen, der Sound von Lasso sei nun „noch urbaner“ als jener der Vorgängeralben.

Ziemlich sicher ist, dass die Songs des gleich in drei Versionen erhältlichen Lasso (als normale Edition, als limitierte Edition mit einer Bonus-Remix-CD sowie als limitiertes Box-Set, bestehend aus CD und Vinylalbum in einer Box) in einer ländlichen Atmosphäre mit höherer sozialer Eingebundenheit und starreren Konventionen weder entstanden sein können noch funktionieren würden. Lasso ist weitaus beatgetriebener, ja: aggressiver als die doch sehr relaxten Vorgängeralben – mit den ersten fünf Songs im Ohr habe ich sensationelle fünfzehn Minuten für den Weg ins Büro gebraucht, wo ich sonst fünfundzwanzig veranschlagen muss!

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Mittlerweile habe der Großstadtdschungel wohl einen größeren Einfluss auf ihr Werk, als ihnen vordergründig bewusst sei, gibt Humpe nach einigem Nachdenken zu. Berlin sei unkontrollierbar, aber nicht so durchgeknallt wie beispielsweise New York. Hier könne man sich getrost „ein bisschen“ aus dem Fenster lehnen, so wie bei Der letzte Abend auf der Welt oder Überall rein – zwei klasse Songs übrigens, die auf Konventionen pfeifen („falsch oder richtig / ist nicht wichtig“) und dem Duo einmal mehr den verabscheuten Ruf des Sprachrohrs einer hedonistischen Bewegung einbringen werden. Was aber ist falsch daran, über den Tanz am Abgrund zu singen (Der letzte Abend auf der Welt – eine Armageddon-Fantasie, die beim Berliner Peter Fox mit Der letzte Tag auch schon funktionierte), über Grenzen- und Orientierungslosigkeit, Gefühle, die so gar nicht zur eigenen Kleidung passen wollen, übers Scheitern, über nicht mehr funktionierende Regeln, Übertreibung, Maß- und Bedingungslosigkeit? Und doch bietet Lasso mehr als Voodootrommelausschweifungen und leichtlebig-ungezügelten Großstadtdschungel-Groove, nämlich dann, wenn die Stücke voller angriffslustiger Sexualität und direkter Texte (Body is Boss) überraschend verträumten Balladen, hart an der Grenze zwischen Tiefgang und Kitsch, weichen (Was ist das, wenn du bei mir liegst). Bei Titeln wie Mosaik, Rette mich später und Lasso wiederum haben wir es mit „typischen“ 2Raumsongs zu tun, so einprägsam, so sehr das eigene Leben beschreibend, dass auch sie wieder das Potenzial haben, mehr als einen Sommer lang unsere treuen Begleiter zu werden. Ratlos bin ich allerdings, wie das musikantenstadleske Angel of Germany zu verstehen ist: ironisch oder nicht? Allerdings fürchte ich, dass diese Verwirrung Zweiraumabsicht ist und wir die Bedeutung nie erfahren werden. Fakt ist, Berlin ist und war noch nie repräsentativ für Germany, und Berliner Elektropop liegt jede volkstümliche Terzseligkeit fern – sollte sich hinter dem Song gar Heile-Welt-Kritik verbergen? Immerhin verstehen sich 2Raumwohnung als politische Band. Wem auch immer etwas dazu einfällt, der möge mir schreiben.

Fazit: Entgegen anderslautender Kritikermeinungen gehen auch die Lasso-Songs gleich beim ersten Hören ins Ohr. Kein Wunder, dass das Album gleich auf Platz 5 in die Media Control Album Charts eingestiegen ist. Ob dem duo infernale damit aber wieder ein Sommerhit à la 36 Grad gelingt? Wir werden sehen … Auf der von hypnotischem Getrommel dominierten ersten Single-Auskopplung wird es jedenfalls – Feuer ist mein Haar / deine Hand ist Kerosin – auch wieder heißer als 36 Grad; vom Rest des Albums werden uns 2Raumwohnung spätestens in ihren Live-Shows, die der Musik meist noch besser bekommen als das sterile Auf-CD-Gepresstsein, bei folgenden Gelegenheiten zu überzeugen verstehen:

26.09.2009 Köln, E-Werk
27.09.2009 CH-Zürich, Maag Event Hall
28.09.2009 München, Tonhalle
29.09.2009 AT-Wien, Gasometer
01.10.2009 Frankfurt, Cocoon
02.10.2009 Hamburg, Grosse Freiheit
03.10.2009 Dresden, Schlachthof
04.10.2009 Berlin, Admiralspalast

Und vielleicht löst sich hier auch das Rätsel um den deutschen Engel.

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Plattenkritik: 2Raumwohnung | Reverend & The Makers | Frau Contra Bass

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