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Die heutige Stereoschallplatte

Inhaltsverzeichnis

  1. 2 Die heutige Stereoschallplatte

Neben dem Wechsel vom wenig robusten Schellack zu Polyvinylchlorid gab es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine weitere wichtige Entwicklung: die stereofone Wiedergabe! Nun ist abzusehen gewesen, dass nicht jeder Konsument direkt in den Laden rennen würde, um sich mit einem Stereoplattenspieler den Zugang zur neuen Technikwelt zu erkaufen, vor allem, wenn die vielleicht angeschafften Mono-Platten auf dem neuen nicht mehr laufen würden. Auch das Wechseln von Abtastsystemen wollte man dem Plattenhörer nicht zumuten. Das letztendliche Ergebnis bei der Einführung der Stereotechnik kann sich immer noch sehen lassen: Nicht nur sind Stereo-Tonabnehmersysteme abwärtskompatibel, die Stereoplatten sind es auch. Man konnte also sowohl Mono- als auch Stereoplatten sowohl auf Mono- als auch Stereoplattenspielern ohne signifikante Beeinträchtigungen laufen lassen.

Stereoschrift: linker Kanal
Bei der Stereoschrift handelt es sich um eine Kombination aus Tiefen- und Seitenschrift. Die Schneideeinheit wird dabei um 45° gedreht. Hier wird gerade der linke Kanal geschrieben …

Die heute verwendete Stereorille ist ohne Modulation durch ein Signal nur 40 Mikrometer breit, das ist weniger (!) als bei einer Monorille. Wie eine solche Stereorille aussieht, ist interessant, denn prinzipiell stellt sich ja schon die Frage: Wie können zwei Signale – linker und rechter Kanal – mit nur einer Nadel abgetastet werden?

Wie man auf den Grafiken erkennt, hat die Rille einer Schallplatte eine V-Form. Die beiden Flanken, also die beiden Seiten des „V“ haben zueinander einen rechten Winkel. Da beide dieser Flanken je nach Signal in der Höhe verändert sind, kann jeweils eine Flanke die Nadel – und damit den (zumeist) x-förmigen Generator am anderen Ende des Nadelträgers – dergestalt auslenken, dass jeweils einen „Strich“ des X bewegt wird, und zwar um die Achse des anderen „Strichs“ herum. Bei der anderen Flanke verhält es natürlich genau umgekehrt. Da in das Spulenpaar, welches als Drehachse dient, keine Spannung induziert wird, wird nur ein Kanal angesprochen.


… und hier der rechte Kanal. Durch die angesprochene Drehung der Schneideeinheit wird jeder Kanal sozusagen halb vertikal, halb horizontal geschnitten

Bislang ist alles ganz einfach: Eine Seite der Rille ist der linke, die andere Seite der rechte Kanal. Allerdings gibt es eine Besonderheit, denn der rechte Kanal funktioniert „andersherum“ als der linke. Wenn sich ein Signal nur auf dem linken Kanal befindet und die Flanke sich nach oben bewegt, würde das gleiche Signal auf dem rechten Kanal dafür sorgen, dass die Flanke eine Bewegung nach unten macht. Der rechte Kanal ist somit phaseninvertiert, was soviel wie „verpolt“ bedeutet. Klanglich negativ ist das keinesfalls, denn im System des Plattenspielers wird einfach der rechte Kanal andersherum betrieben, womit sich diese Invertierung wieder aufhebt.

Diese Flankenschrift hat nun einige Vorteile. Wenn beispielsweise das Signal links und rechts identisch ist (also ein reines Monosignal vorliegt), dann ist dadurch die effektive Auslenkung der Rille genau horizontal, also nach dem Seitenschriftprinzip! Dies ist der Grund für die bidirektionale Kompatibilität. Ob nun eine Monoplatte mit einem Stereosystem abgetastet wird oder eine Stereoplatte mit einer Mononadel, es funktioniert einfach, da nur die Seitenschrift eine Rolle spielt.

Ein Monosignal wird effektiv wieder nach dem (reinen) Seitenschriftprinzip geschnitten
Ein Monosignal wird effektiv wieder nach dem (reinen) Seitenschriftprinzip geschnitten, deshalb die Kompatibilität

Die Stereoinformation ist nach dem Prinzip der Flankenschrift in der Höhe untergebracht, da aber aus technisch-praktischen Gründen der Schneidestichel um 45° gedreht wird, resultiert aus einer Differenz zwischen links und rechts (nichts weiter ist Stereoinformation eigentlich) eine halb vertikale, halb horizontale Bewegung von Schneidestichel und Abtastnadel.

Stereosignal
Beim Stereosignal geht der Stichel hoch und runter, nach links und nach rechts

Je größer die Auslenkungen sind, vor allem bei Unterschiedlichkeit zwischen den beiden Flanken, desto mehr Platz wird auf der Platte benötigt. Dies gilt insbesondere für tieffrequente Anteile, die für eine deutlich stärkere Auslenkung sorgen. Allerdings ist die Kapazität einer Schallplattenseite ein wichtiges Thema. Mit der sogenannten Füllschrift schmiegt sich eine Rille so nah wie möglich an die außen liegende – das spart dadurch Platz, dass die Stege zwischen den Rillen nicht unnötig breit sind. So wird entweder eine längere Laufzeit pro Plattenseite oder eine höhere Aussteuerbarkeit beim Schnitt möglich – oder eben eine vernünftige Mischung aus beidem.

(Un)erwünschte Artefakte

Wollte man eine gelungene Audiomischung linear – also ohne Veränderung des Frequenzgangs – auf Schallplatte bannen, hätte man ein Problem: Die Auslenkungen tiefer Frequenzen wären enorm und würden die Spieldauer sehr stark verkürzen, zudem würden die Hochmitten und Höhen mit ihren geringen Pegeln nur mit sehr geringer Dynamik aufgezeichnet werden – Signalanteile mit geringerem Pegel, etwa Obertöne mancher Instrumente, würden im Systemrauschen untergehen. Um dies zu vermeiden, wird vor dem Schnitt der Schallplattenrille ein Equalizersystem eingesetzt, welches vereinfacht gesprochen die Höhen anhebt und die Mitten/Tiefen absenkt. Wer einmal, ob versehentlich oder nicht, seinen Plattenspieler an den unkorrigierten CD- oder sonstigen Eingang angeschlossen hat, wird festgestellt haben, dass es grauselig kratzig klingt. Aus diesem Grund verfügen Phono-Eingänge über eine Eingangsentzerrung, welche die bewusst eingesetzte Verzerrung bei der Aufnahme spiegelt, eben wieder entzerrt. Nach einem Wust an verschiedenen Schneidkurven hat sich heute allgemein die RIAA-Kurve durchgesetzt, welche zwar fest definiert ist, aber teilweise recht vage umgesetzt wird. Und der tatsächliche Frequenzgehalt ist nicht zuletzt von Mischung und Premastering in der Musikproduktion abhängig.

RIAA-Kurve
RIAA-Kurven

Im System Schallplatte wirken viele Kräfte, von denen man im Grunde nur jene haben will, die die Abtastnadel entsprechend des Rillenverlaufs auslenken. Alles Weitere kann zu Problemen führen und ist prinzipiell unerwünscht. Damit beispielsweise die Nadel auch den Höhen gut folgen kann (und natürlich die Wiedergabe sicher und unterbrechungsfrei ist), sollte sie mit einer ausreichenden Auflagekraft den Rillen folgen. Ist diese zu hoch, wird allerdings der Abrieb an der Platte kritisch, schließlich möchte man die Rillen nur auslesen, nicht mit Diamant oder Saphir rundfeilen. Eine absolute Wissenschaft stellt – auch im Zusammenhang mit dem vorgenannten Thema – die genaue Form der Nadel dar. Die jeweiligen Schliffe haben Vor- und Nachteile; wichtig zu wissen ist, dass es auch nicht-rotationssymmetrische Formen gibt.

Schnitt der Lackfoli

Schneidesysteme arbeiten als Tangentialsysteme (siehe obige Grafik), die meisten Tonarme hingegen verfügen über einen fixen Drehpunkt außerhalb des Plattentellers. Dadurch entstehen geometrische Besonderheiten. Jeder Plattenspielerbesitzer kennt die Antiskatingeinstellung, bei der der Zug des Tonarms durch die Reibung zwischen Rille und Nadel nach innen (!) eingeschränkt werden muss. Diese Einstellung erfolgt mit einem Gegengewicht – und ist nicht unerheblich vom Schliff der Nadel, der Auflagekraft und der Wiedergabegeschwindigkeit abhängig.

Ideal wäre es, wenn die Nadel eines Plattenspielers exakt den Rillen folgen würde und sich genau so bewegen würde, wie es der Schneidestichel bei der Aufzeichnung getan hat. Das geht aber nicht: Sowohl in der seitlichen als auch vertikalen Auslenkungen kann die Abtastung nicht exakt symmetrisch der „Talsohle“ sowie dem Höhenprofil durch die an- und absteigenden Flanken folgen. So hat beispielsweise eine Wiedergabenadel eine andere Form als der dreieckige Schneidestichel, dessen Aufgabe es ja im Gegensatz zur Nadel ist, Material zu entfernen, nicht nur abzulesen. An einer konischen Nadel lassen sich viele auftretende Probleme sicherlich am besten erkennen: Im Durchschnittprofil ist sie rund und kann daher den Bewegungen nicht immer konsequent folgen. Zudem wird die durch den Stichel geschnittene Rille bei schnellen Seitwärtsbewegungen insgesamt schmaler. Die räumliche Ausdehnung der Nadel bewirkt, dass diese nicht immer mit genau den gleichen Berührungspunkten den Auf- und Ab- sowie Links- und Rechts-Bewegungen der Flanken folgt.

Gegenüberstellung: Schneidestichel und konische Abtastnadel. Wie man sieht, kann diese nicht immer der Bewegung der Aufnahme 1:1 folgen
Gegenüberstellung: Schneidestichel und konische Abtastnadel. Wie man sieht, kann diese nicht immer der Bewegung der Aufnahme 1:1 folgen

Wenn beispielsweise das seitliche Profil der Rille dazu führt, dass die Abtastpunkte der linken und rechten Flanke nicht mehr genau auf dem Radius der Schallplatte, sondern etwas versetzt zueinander liegen, dann handelt es sich um eine Abweichung vom ursprünglichen Signal. Eine derartige Abweichung macht sich klanglich als Verzerrung bemerkbar.

Skatingkraft

Auf weiter innen liegenden Bereichen der Schallplatte laufen die Rillen bedeutend langsamer unter der Nadel hinweg. Eine bestimmte Frequenz muss demnach auf einer Innenrille auf weitaus geringerer Strecke dargestellt werden als auf einer Außenrille. Besonders bei langsamen Umdrehungsgeschwindigkeiten kommt die Wellenlänge in den Dimensionsbereich der Abtastnadel, was einen Höhenverlust bewirkt, da die feinen Details der Rille nicht mehr ausreichend gut in schnelle Bewegungen umgesetzt werden können.

Im Ergebnis jedenfalls weist das Abspielen einer jeden Platte verschiedene Verzerrungen auf. Abhängig sind viele Probleme von der Einstellung des Tonabnehmers und dem Nadelschliff, aber auch schlicht und einfach von der Position auf der Platte: Die inneren Rillen weisen schließlich durch den geringeren Abstand zur Plattenmitte stärkere Krümmungen auf, die Nadel läuft dort bedeutend langsamer als auf der Außenrille. Verzerrungen sind jedoch nicht gleich Verzerrungen: Die sogenannte Spurverzerrung der Tiefenschrift beispielsweise produziert harmonische Verzerrungen. Diese harmonischen Verzerrungen sind gerad- und ungeradzahlige Vielfache der jeweiligen Frequenzen. Da jeder natürliche Klang zu einem gewissen Anteil aus derartigen Komponenten besteht, wirken sie auf uns dem Signal zugehörig. Mehr noch: Bis zu einem gewissen Grad tragen sie sogar zum positiven Empfinden bei. Geradzahlige Teiltöne (darunter besonders die erste Oktave) etwa sind sehr beliebt, da sie Klänge wärmer, aber auch klarer und konturierter erscheinen lassen können – ein Hauptgrund für die noch heute beliebte Verwendung von Triodenröhren. Ungeradzahlige harmonische Verzerrungen, vor allem k3, (oktavierte Quint) k5 und k7, lassen Klänge eher hohl erscheinen. Sie treten beim Abtasten ebenfalls auf.

Vinyl

Zudem wäre es wünschenswert, wenn die beiden Flanken der Stereorille tatsächlich nur für eine mechanische Auslenkung in genau diese eine Richtung sorgen würden und den anderen Kanal jeweils nicht betreffen würden. Da es aber eine solche mechanische Perfektion in praxi nicht gibt, ist es unmöglich, dass sich die beiden Bewegungsrichtungen gegenseitig nicht beeinflussen. Im Resultat führt dies zu einer nicht optimalen Kanaltrennung und einer etwas ungenaueren, weniger scharfen Stereoabbildung. Das muss nicht schlimm sein: Beispielsweise werden ja auch manche Mikrofonierungsverfahren anderen, technisch präziseren vorgezogen, weil das Ergebnis gefälliger klingt.

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