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Musik-Rezension: Shabbat Night Fever CD-Kritik-5

Inhaltsverzeichnis

  1. 5 Musik-Rezension: Shabbat Night Fever CD-Kritik-5

Jenseits des Klezmer-Klischees: Shabbat Night Fever – Groove Sounds from Israel

shabbat night fever

Unter dem Motto „Wir brauchen dringend einige Verrückte – seht, wo uns die Normalen hingebracht haben“ gründete sich im September 2007 der Berliner Verein „interkult unterwegs – jung, visionär und aus dem prenzlauer berg“. Laut Satzung möchte er nicht nur aktiv gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und andere dazu anstiften, sondern auch mit lebendigen Ideen Horizonte erweitern und kulturelle Identität global denken. Dazu gehört auch zu ändern, dass israelische Musiker mit ihren beeindruckenden Stilmixes einerseits noch viel zu selten in der hiesigen Clublandschaft zu finden sind, andererseits die Mehrheit beim Stichwort „Musik aus Israel“ nach wie vor an Klezmermusik denkt – obgleich Klezmer im Neuen Staat verpönt war, wollte man doch nicht in die osteuropäische Vergangenheit, sondern auf eine nationale israelische Zukunft verweisen.

Das diesjährige Projekt von „interkult unterwegs“, ILanD, will diese Wissenslücke schließen und gleichzeitig eine musikalische Brücke zwischen aktuellen Klängen aus Israel und Deutschland schlagen. Ende Mai entstanden in Workshops gemeinsame Konzertprogramme deutscher und israelischer Musiker, die dann in Köln, Leipzig, Cottbus und Brandenburg/Havel ihre Premiere erlebten und yuri gurzhyihren Höhepunkt in einem einmaligen Konzertfestival am 1. Juni in Berlin fanden. Die musikalische Bandbreite der Zusammenarbeit reichte von Folk und Worldmusic bis hin zu Reggae, Funk, Soul und HipHop. Dafür, dass auch elektronische Grooves nicht zu kurz kommen, sorgte schon allein Russendisko-DJ Yuriy Gurzhy mit seinem wilden Mix aus „Kosher Grooves“ und „Klezmer Punk“ sowie Produzent und Ausnahmebassist Yossi Fine, der seinem Instrument immer wieder ungeahnte Sounds entlockte.

Allen, die am 1. Juni in Berlin nicht dabei sein konnten, sei der im Rahmen des ILanD-Festivals entstandene Sampler Shabbat Night Fever – Groove Sounds from Israel, ans Herz gelegt, der die aufregendsten Vertreter der neuen israelischen Musikszene präsentiert – erschienen bei Fly Fast/Lieblingslied Records, zwei jungen Berliner Labels um George Lindt, die sich einerseits die Förderung von Punk, Indie/Alternative und Folk-Rock aus (Fern)Ost auf die Fahnen geschrieben haben, andererseits für ihre mit Herzblut gemachten umfangreichen CD-Begleitbücher (von Booklets zu reden, würde es an ihrer Stelle nicht annähernd treffen!) bekannt sind.

Und so könnte es dann auch fast passieren, dass man die Musik-CD erst einmal übersieht, schlägt man das CD-Buch zu Shabbat Night Fever auf. Mehr als 100 Buchseiten lang führen deutsch-englische Texte den Leser in die facettenreiche Kulturgeschichte Israels ein, in die alternative Musikszene und ihre Protagonisten.

Abgerundet wird dieser Ausflug mit einem Portrait des Nachtlebens von Israels Partymetropole Tel Aviv, Songtexten und natürlich vielen Fotografien der jungen israelischen Musikergeneration, deren starker Hang zu musikalischen Kooperationen und Experimenten den Boden für einen einzigartigen globalen Sound bildet.

Mit von der Partie sind beispielsweise Kutiman feat. Karolina, Radio Trip,mook e Funk’n’Stein, Habanot Nechama, Hadag Nachash, Boom Pam, Tomer Yosef, The Apples oder auch der Taufpate des hebräischen Rap, Mook E, der bereits auf der einschlägigen Compilation Shtetl Superstars – Funky Jewish Sounds From Around The World von 2006 dabei war. Darauf, dass deren Titel ironisch gemeint war und israelische elektronische Musik mindestens genauso hip ist wie die westliche, muss wohl nicht gesondert verwiesen werden! Und auch auf Shabbat Night Fever wird der kulturelle Reichtum eines Einwandererlandes auf den Tanzflächen der Clubs und in den Klanglaboren kreativer Künstlerkollektive einer Verjüngungskur unterzogen: Da trifft in schräger Mischung hebräischer Rap auf orientalische Klänge, kalifornische Surfgitarren auf Balkan-Beats und traditionelle Instrumente wie die Oud auf funky Bläser.

So beispielsweise lässt sich der ekstatische Stilmix von Boom Pam am ehesten als „Hot-Balkan-Surf-Rock mit jeder Menge Groove“ beschreiben, als klanggewordene Mischung aus Tarantino und Kusturica. Treffen hier mediterrane Musik, Balkansounds, jüdische Melodien und Surf-Rock aufeinander, ist Soul-Diva Karolina eher dem Bigbeat verfallen: Funk, NuSoul, TripHop und Reggae geben sich hier die Klinke in die Hand. Die Jungs von HaDag Nachash wiederum geben ein groovendes Funk-HipHop-Gemisch zum Besten und rappen den jungen Leuten Tel Avivs direkt aus der Seele.

Natürlich dürfen auf der Compilation auch unsere alten Bekannten von Balkan Beat Box nicht fehlen, die das Stück „Adir Adirim“ beisteuerten, welches man hierzulande schon auf dem in der fairaudio-Juni-Ausgabe besprochenen Album Nu-Made im Nickodemus Remix hören konnte. Sänger Tomer Yosef verfolgt neben seinem erfolgreichen Musikprojekt aber auch eine Solokarriere und ist in Israel auch ohne die international erfolgreiche Band ein Star, unter anderem als DJ, Schauspieler und Stand-up Comedian. Seinen Solo-Cocktail mixt er aus ein paar handvoll Reggae, Dub, Rock & Fusion und krönt ihn mit einer winzigen Prise mediterran-orientalischer Klänge. Natürlich leben auch seine – wie die meisten auf Shabbat Night Fever vertretenen – Texte von einer in der jüdischen Tradition tief verwurzelten Portion selbstironischen Augenzwinkerns – auch über den manchmal nicht ganz so entspannten Alltag in Israel.

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