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Jütz – Studio Konzert

Juli 2016 / Victoriah Szirmai

„Vinyl“, schreibt der Zürcher Webkurator und Negative White-Gründer Janosch Tröhler in seinem impulsiven Rant Der digitale Musikjournalismus ist kaputt, „ist mehr als ein hipper Anachronismus. Vinyl ist ein Statement zum langsamen Kulturkonsum in Zeiten atemberaubender Digitalisierung“. Ein guter, ein gewichtiger Grund, heute endlich einmal wieder die Vinyljunkies zum Zuge kommen zu lassen, für die ich, nebenbei bemerkt, den größten Teil der fairaudio-Leser (und -Schreiber) halte. Mehr noch: Die heutige Kolumne wendet sich ausschließlich an die Liebhaber des Schwarzen Goldes, denn die audiophile 180-Gramm-Vinylpressung des Studiokonzertes von Jütz erscheint in handnummeriert limitierter Auflage exklusiv auf Platte. Einen Downloadcode, so will es das streng analoge Konzept, sucht man hier vergeblich.

jütz cover

Stattdessen werden dem geneigten Hörer die Geheimnisse des Signalpfades für die Direct-to-2-Track-Stereo-Analogue-Liveaufnahme per liebevoller Infografik offengelegt, samt des Verweises, nähere Technikinformationen im Innenteil der Platte zu finden. Ein Fest für den, den’s interessiert! Doch auch der Nurmusikhörer kommt bei Studio Konzert auf seine Kosten. Wobei: Was heißt hier „auch“? Vor allem Musikhörer, muss es heißen, kommen hier auf ihre Kosten, auch wenn sich diese Platte grundlegend vom fulminanten Einstand des Schweizerisch-Tiroler Trios, das sich laut eigener Aussage auf „Bergtonreisen und Alpinbeschallung“ spezialisiert hat, unterscheidet. Wo das für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominierte 2015er-Debüt mit einer furiosen Übersetzung folkloristischen Liedguts ins moderne Jazzidiom schmunzeln machte, lässt sich das Studiokonzert gemäßigter an – auch, wenn zu Beginn von „Wengernalp“ der alarmierende Trompetenton Daniel Woodtlis, der gleichzeitig als Komponist verantwortlich zeichnet, zur Aufmerksamkeit ruft. Doch noch während sich der Spieler in archaisch anmutenden Tonfolgen ergeht, wird der Hörer durch sanftes Saitenspiel, butterweichen Bass und nicht zuletzt die ätherischen Vocals von Isa Kurz in einen Zustand meditativer Entspannung versetzt. Das ist tongewordenes Zen!

jütz cover rückseite

Wenn Jütz dann auf dem schon vom Debüt bekannten „Bertescu“ Violine und Wechselbass auspacken, erwacht der Hörer aus seiner Trance und will sich, eingehakt in den Trompetenton, in fröhlichem Volkstanz ergehen, bevor geräuschfreudig Experimentelles, ja: Schräges, aufhorchen, vor allem aber Spaß macht. Und dann kommt auch schon der jodelnde Jauchzer, der für den Bandnamen Pate gestanden hat.

Getreu dem Prinzip von An- und Entspannung entspinnt sich mit der auf einem Kirchenlied aus dem sechzehnten Jahrhundert basierenden feierlichen Moll-Weise „Guggisberg“ ein wehes Violinsolo zum semisakralen Erst-Duett-dann-Terzett, bis ein Pfeifer den Bann für die auf eine Textzeile reduzierte Mär von Hans-Joggeli und Vreneli den Bann bricht, die hier im Zwiegesang dargeboten wird. Mein persönliches Highlight der Platte, wo offenbar über die Balkanroute emigrierte östliche Harmonik auf alpine Melodik trifft. Den Schlussakkord der A-Seite setzen die dank Glockenspiel wiegenliedartig anmutenden „Himmelschlüssl“, besungen, besser: beschworen von einer engelshaften Isa Kurz, deren zarter Gesang viel Raum für Bassist Philipp Moll lässt, der hier einmal in seiner ganzen Großartigkeit ausdrücklich gepriesen sein soll.

jütz in L

Seite B nähert sich ouvertürenartig mit zitterndem Akkordeonton, allerlei Klopfgeräusch und Naturtonklang, die in dieser Kombination dazu angetan sind, den Hörer augenblicklich von den Bauer Studios in Ludwigsburg ins alpine Panorama zu versetzen. Erst der Bass läutet das eigentliche Traditional „Le Ranz des Vaches“ ein, das weiterhin vom Horn dominiert wird, dem jetzt aber so gar kein alarmierender Signalcharakter mehr zukommt, sondern das vielmehr völlig entspannt und unter Zuhilfenahme vieler blauer Noten seine Geschichte erzählt, als säße man mit ihm zur Brotzeit zusammen und beobachtete den Kuhabtrieb, während der auch vor dem gestrichenen Ton nicht zurückscheuende Bass raffiniert klappernd in die Szenerie drängt, zusammengehalten von einem unaufgeregten Akkordeon, das im Hintergrund seine Netze spinnt. Solche sieben Minuten sind das! Klar, dass das Applaus gibt, den Tonmeister Philipp Heck nicht herausgeschnitten hat und der einer der wenigen Momente ist, an denen ins Bewusstsein drängt, dass wir es hier tatsächlich mit einer Live-Aufnahme zu tun haben.

jütz 02

Der von Florian Pedarnig im Alla-breve-Takt komponierte und von Sepp Pedarnig betextete Marsch „Dem Land Tirol die Treue“ kann sich im Jütz’schen Arrangement nicht entscheiden, ob er Streichquartett, Donauwalzer oder volkstümlicher Biergartensoundtrack sein will, und wenn der Bass hier, von kurzen Ausflügen in den Jazzclub unterbrochen, die pupsende Tuba gibt, scheint auch wieder der Humor des Debütalbums auf. Amüsanter ist das wahrscheinlich nur noch, wenn man die Musiker auch sehen kann, worauf man sich umgehend ins Studiopublikum wünscht. Auf „Mantua“, einer Komposition von Bassist Moll, bereitet sich Sängerin Isa Kurz am Akkordeon selbst einen bordunartigen Teppich, bevor sie auch an den Tasten zum Solieren anhebt, abgelöst vom meditativen Einzelspiel des Basses, das zur Gedankenreise einlädt: Hier weiß jemand, dass Klang immer auch der Pause, der Stille bedarf, um überhaupt Klang zu sein. Das Prinzip von Ruhe und Bewegung wird auch dann weitergeführt, wenn Akkordeon und Horn behutsam wieder einsetzen. Umso wirkungsvoller das Crescendo der letzten Minute, das sich allen Metronomwerten zum Trotz wie eine Temposteigerung anfühlt, bevor die Gesangszeile des Beginns die Klammer schließt.

jütz coverbild

Dem Vokalen treu bleibt das abschließende, auch als „Schwalbenlied“ bekannte Stück „Aus der Jugendzeit“, dessen Text von Friedrich Rückert vermutlich von 1818 datiert und durch die 1859 von Robert Radecke komponierte Melodie bekannt wurde. Im Trioarrangement kommt es mit gedämpfter Trompete und Hackbrettbegleitung daher, der immer auch ein spinettartiger Barockcharakter innewohnt, bis der warme Bass es schlussendlich wieder in den Jazzclub heimholt. Stücke wie diese, die sich zunächst so gar nicht mit dem überschäumenden Debütalbum in Verbindung bringen lassen wollen, beweisen: Die sich gegenseitig bedingende Grundregel von Chaos und Ordnung, Anspannung und Relaxation ist bei Jütz nicht nur eine stückimmanente, sondern gilt auch für die Band selbst. Wie gerne wäre man doch live dabei gewesen!

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